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„Die Oma würde es nicht ertragen“

■ Austreten will Martin K. aus der Neuapostolischen Kirche noch nicht, aber den Psycho-Druck bekämpft er bereits

artin K. (Name geändert) ist ein eher schüchtern wirkender junger Mann. Blaß im Gesicht. Unscheinbar gekleidet. Ja, also, in die Disco gehe er schon, betont er. „Meine Eltern nehmen das hin.“ Denn auf der Tanzfläche und vor den Lautsprecherboxen verrät Martin in ihren Augen seinen Glauben: „Die Gotteskinder der Neuapostolischen Kirche tanzen nicht“, lernte Martin vor Jahren in der Sonntagsschule. „Das hat mich umgehauen, das betrifft ja auch den Walzer und die anderen klassischen Tänze!“ Bei all dem Theater mache er jetzt nicht mehr mit.

Martin ist in die Neuapostolische Kirche (NAK) hineingeboren. Seine Familie, seine Verwandtschaft sind dabei. Viel Zeit hat Martin in dem Haus der 150-„Seelen“-Gemeinde Neustadt/Woltmershausen in der Neustädter Bachstraße zugebracht: Beim Gottesdienst am Mittwoch, zweimal am Sonntag, beim Chor, der Jugendstunde, für Werbeaktionen. Gäste sind herzlich willkommen, steht auf dem Kupferschild neben dem Eingangsportal des Hauses. Unscheinbar, verhalten wirkt die helle Fassade mit einer Handvoll dunklen Glasfenstern. „Wer einmal da war, wird gezielt daheim besucht.“ sagt Martin K. „Früher mußten wir für neue Mitglieder sogar noch von Tür zu Tür laufen und Klinken putzen.“

Seit letztem Sommer geht der 22jährige nicht mehr hin: „Ich will nicht mehr. Wir sollen Auserwählte sein und werden unterdrückt. Beides ist Quatsch und destruktiv.“ Martin hat sich diese Worte offensichtlich überlegt. Angst ist ihm keine anzumerken. Doch wer Zweifel äußert oder ausbricht, rebelliert gegen Gott und gefährdet sein Seelenheil, wird in der NAK gepredigt. In der Öffentlichkeit gilt die NAK oft als harmlose Freikirche mit überaus frommen Mitgliedern (s.a.Kasten). AussteigerInnen erheben jedoch schwere Vorwürfe und sprechen vom Psychodruck in der Gemeinde.

„Das Glaubensdogma der NAK ist mir zu entrückt“, sagt dazu Martin K. entschlossen. Alles sei auf die Wiederkunft Jesu ausgerichtet. „Aber erlöst werden nur wir, und du mußt dazu bereit sein, plötzlich in den Himmel aufzufahren.“ Als Kind durfte er sich deshalb im Karneval nicht verkleiden. Es hätte ja sein können, daß er von Jesus nicht erkannt würde. In der Schule habe er noch versucht, „das“ möglichst zu verstecken. „Ich habe ganz schön darunter gelitten. Zurückhaltend war ich ja sowieso, aber das wurde noch dadurch verstärkt, daß ich mich als Außenseiter empfunden habe.“

Seinen früheren Jugendleiter hat Martin sogar dafür gehaßt. Jugendleiter haben die Kids auf Moral zu trimmen und stehen ziemlich weit unten auf der Hierarchieleiter der NAK. „Die geben viel Druck von oben an uns weiter“, findet Martin. Der alte „Chef“ habe sogar noch Fußball, Videos und Kneipen verboten. Der neue sei jetzt etwas liberaler. „Aber auch der redet zum Beispiel davon, daß Sexualität ausschließlich eine Sache der Ehe sei. Das ist für mich untragbar.“

Eine Freundin hat Martin nicht. „Ich hatte noch nie eine“, fügt der angehende Kaufmann ungefragt hinzu. „Ich war aber auch nicht fähig, jemanden an mich ranzulassen.“ Das so zu sagen zeugt von Mut. Mut brauchte Martin auch, sich in einer evangelischen Jugendgruppe zu outen. Aber seither weiß er, was er will: Nicht aussteigen, nicht überlaufen, sondern „in der NAK etwas verändern“. Briefe an die Hierarchiespitze will er schreiben, und an Leute möchte er herankommen, die echt frustriert seien, aber nicht darüber reden könnten.

Martin operiert nun von außen, bleibt jedoch dabei. Seiner Familie zuliebe. „Das ist zwar inkonsequent, aber ich kann nicht anders. Meine Oma würde das nicht ertragen.“ Mit dem Bruder hat er sich schon verkracht, seine Eltern hören ihm zu, versuchen, seine Entscheidung zu akzeptieren, und gehen weiter in den Gottesdienst. Diese Pflicht haben sie in ihrem Leben nie vernachläßigt: Selbst 1960 nicht, als der damalige NAK-Oberste, der Stammapostel Johann Gottfried Bischoff, starb. Er hatte zuvor verkündet, noch zu seinen Lebzeiten werde Jesus niederfahren. Nichts passierte. Die NAK-Gemeinschaft geriet in eine schwere Krise – bis Bischoffs Nachfolger verkündete, Jesus habe seine Pläne geändert.

sip

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