Schlecht fürs Geschäft

Die VietnamesInnen, die legal in Berlin leben und arbeiten, kämpfen mit den Folgen ihrer pauschalen Kriminalisierung  ■ Aus Berlin Kathi Seefeld

Seit Stunden hat niemand etwas gekauft. Nguyen Luong Hang blickt schwermütig auf die Stapel buntbestickter Blusen. Auch an den glänzenden weißen Leggins ist keiner interessiert, schon seit Tagen nicht. „Schlechte Zeiten für Geschäfte“, sagt der junge Vietnamese und wendet sich im Halbdunkel der Markthalle wieder seiner Go- Partie zu.

Die neueröffnete Frisierstube zählt nur einen Kunden. Lediglich dort, wo es für fünf Mark eine große Schüssel Nudeln mit Huhn und frischen Kräutern gibt, herrscht etwas Betrieb. „Vietnamesen sind Mörder, Erpresser, kriminelle Zigarettenhändler. Das hat überall in den deutschen Zeitungen gestanden. Unsere Kunden sind sehr verunsichert“, versucht Ngo Thi Thang zu erklären.

Die Chefin der ersten asiatischen Markthalle in Berlin ist von Beruf Pädagogin. Sie kam 1986 in die DDR, um ihre Doktorarbeit zu schreiben, und nennt sich heute Initiatorin dessen, was hinter der heruntergekommenen Fassade einer ehemaligen Mikroelektronik- Werkstatt einmal zu einem „europäisch-asiatischen Handels-, Dienstleistungs- und Kulturzentrum“ werden soll. Ngo Thi Thang macht sich Sorgen. Nur wenige Straßenecken weiter, im Neubaubezirk Marzahn, waren kürzlich sechs ihrer Landsleute geradezu hingerichtet worden. Auch andernorts fand man Tote, mehr als sechzig inzwischen seit 1992, vor allem in Berlin und den neuen Bundesländern. „Das Mißtrauen ist sehr groß geworden.“

Für die meisten der vierzig Gewerbetreibenden, die sich in der Halle mittlerweile eingemietet haben, könnte das Schlechtgehen der Geschäfte existentiell bedrohlich werden: „Der Verlust des Gewerbes bedeutet für die ehemaligen Vertragsarbeiter, wenn sie keine neue Arbeit finden, den Übergang zur Sozialhilfe.“ Doch diese zu beziehen, erläutert Tamara Hentschel, Mitarbeiterin des Berliner Beratungszentrums „Reistrommel“, komme dem Verlust des Bleiberechtes in Deutschland gleich. Denn der Aufenthaltstitel für frühere DDR-Vertragsarbeiter ist an das Vorhandensein von Wohnraum und Einkommen gekoppelt.

Ngo Thi Thang selbst fürchtet, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen ihr „Lebenstraum“ platzt. Solange die Markthalle keine Gewinne abwerfe, könnten die geplanten Bildungs- und Kulturprojekte nicht verwirklicht werden. „Dabei“, sagt sie, „wäre es sehr wichtig, zum Beispiel Unterrichtshilfen in zwei Sprachen zu geben.“ Kleine Kinder, die in Deutschland geboren worden und aufgewachsen sind, würden von ihren Eltern nicht verstanden. Größere, aus Vietnam nachgekommene Kinder verstünden nicht genau, was man in der Schule von ihnen verlange.

Keine Kredite für die früheren Vetragsarbeiter

Viele Vietnamesen verbringen ihre freie Zeit in den meist mit deutschen Namensschildern getarnten Wohnungen vor dem Fernseher – anfangs aus Angst vor rechtsradikalen Übergriffen, mittlerweile auch aus Furcht vor den Zigarettenbanden. Ein Ort, an dem sie ihren Traditionen, ihrer Kultur nachgehen können, täte not, „damit nicht noch mehr auf die schiefe Bahn geraten“. Doch Tausende von Mark haben Frau Thang und ihr Mann bereits in den Ausbau der Halle gesteckt. „Privat von Freunden und Bekannten geborgtes Geld, denn welche deutsche Bank gibt einem Vietnamesen schon einen Kredit?“

Rechtsstreitigkeiten mit der Vermieterin, der deutschen Immobiliengesellschaft für innovative Centren (ici), verzögerten das Voranschreiten des Projektes. Und noch immer scheint nicht aller Ärger ausgeräumt: „Für 13 Millionen Mark hat mir ici die Halle jetzt zum Kauf angeboten. Ich weiß nicht, was diese Immobilienfirma sich denkt, mit wem sie es zu tun hat.“ Wenn sie allein Mieterin wäre, sagt Ngo Thi Thang, würde sie sich einen anderen Standort suchen. Zumal auch die Kommunalpolitiker von Berlin-Lichtenberg angesichts eines neuen „Ballungszentrums“ von Vietnamesen offenkundig Bauchschmerzen haben. Zur Einweihungsfeier, erzählt die Marktchefin, sei weder die Ausländerbeauftragte noch die PDS-Sozialstadträtin oder der PDS-Bürgermeister gekommen. „Aber natürlich werde ich nicht so einfach aufgeben. Wegen meiner drei Kinder nicht und weil ich das Leben meiner Landsleute nicht kaputtmachen will.“ Ähnliche vietnamesische Großhandelszentren haben in Leipzig und auch in Erfurt bereits manchem ehemaligen Vertragsarbeiter wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Möglichkeit gebracht, die Familie in Vietnam zu unterstützen.

Frau Thang weiß, daß es in Berlin mittlerweile eine Schlange von Interessenten gibt, die sich Gewerberaum von ihr erhoffen. Illegalität und Zigarettenhandel hätten in ihrem Haus keinen Platz, erklärt Ngo Thi Thang. Daß kurz darauf zwei Zollbeamte die Markthalle besuchen, kann sie nicht aus der Ruhe bringen. Auch der Vorsteher des zuständigen Hauptzollamtes Berlin-Marzahn, Eberhard Müller, sieht keinen Grund zur Sorge. Es sei normal, daß Firmen, um die zollrechtliche Bestimmung für ihre eingeführten Waren zu erwerben, Beamte zu sich bestellten. „Gegen Gebühr natürlich, bei uns im Haus wäre es kostenlos.“

Für den Zollbeamten Müller sind die VietnamesInnen kein neuralgisches Problem. „Es ist alles nichts im Vergleich zu dem, was sich beispielweise im Chemikaliensektor abspielt. Die Herren mit den weißen Kragen – da passieren Dinge ...“