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Proteste gegen Abschaffung der Sozialtickets

■ Ab 1. Juli gelten Sozial- und Arbeitslosentickets der BVG nicht mehr. Wer mit alten Karten fährt, muß Strafe zahlen. Mehr Obdachlose werden schwarzfahren

Wer ab 1. Juli bei einer BVG- Kontrolle seine Sozialkarte oder sein Arbeitslosenticket vorzeigt, muß damit rechnen, als Schwarzfahrer 60 Mark zu berappen. Nur wenn „berechtigte Zweifel“ bestünden, daß der Kunde ohne Wissen der neuen Regelungen eingestiegen ist, werde die BVG sich „kulant“ zeigen und auf eine Geldbuße verzichten, erklärte gestern BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Er dementierte jedoch, daß es eine schriftliche Anweisung gebe, wonach Kontrolleure Fahrgäste mit Sozialkarte als Schwarzfahrer behandeln sollen. Ein BVG-Kontrolleur hatte gestern gegenüber der taz von einer schriftlichen Anweisung berichtet, nach der ab 1. Juli Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose als Schwarzfahrer gelten, wenn sie ihre nicht mehr gültige Sozialkarte vorzeigten. Die nicht mehr gültigen Sozialkarten seien einzuziehen.

Die SPD hat die Abschaffung der Karten zum 1. Juli kritisiert. Bei den Beratungen zum Nachtragshaushalt und im Ausschuß für Verkehr und Betriebe habe man die BVG gedrängt, durch betriebsinterne Änderungen Einsparungen zu erzielen und so die Sozialhilfempfänger zu entlasten, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Hans-Peter Seitz. BVG-Sprecher Wazlak konterte, die BVG sei „leider kein Sozial-, sondern ein Verkehrsunternehmen, das sich auf die Wettbewerbssituation im Jahr 2000 vorbereiten muß“. CDU und SPD hatten den jährlichen Zuschuß von 60 Millionen Mark für Sozial- und Arbeitslosentickets im Nachtragshaushalt gestrichen. In einem offenen Brief an Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) appellierten Mitarbeiter der „Gesellschaft zur Betreuung Wohnungsloser“ in Pankow, sich bei der BVG für eine Rücknahme des Beschlusses einzusetzen. Die anstelle der Sozialkarte ab Juli geltende Umweltkarte (West: 93, Ost: 89 Mark) sei für Obdachlose nicht bezahlbar. Schon das jetzige Sozialticket zum Preis von 39 Mark werde von vielen nicht gekauft. Bereits heute verwendeten die Betreuer viel Zeit für Gespräche mit der Inkassofirma Schimmelpfeng, die für die BVG die Bußgelder eintreibt. Sollte die neue Regelung bestehen bleiben, werde die Zahl der Schwarzfahrer unter den Obdachlosen weiter zunehmen.

Die nächste Fahrpreiserhöhung steht am 1. Oktober den Ostberlinern ins Haus. Mit der dann erfolgten Angleichung der Ostgehälter im öffentlichen Dienst an den Westtarif wird die Umweltkarte um 4 auf 93 Mark steigen. Severin Weiland

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