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„Fidschiinseln, oder was?“

Diesseits von Mottram Hall: Inmitten einer endlosen Woche beschwört Jürgen Klinsmann die Ruhe und warten andere darauf, daß etwas passieren möge  ■ Von Peter Unfried

Mottram Hall (taz) – Alles ist grün. Nur die engen Sträßlein nicht, die umsäumt sind von steinernen Mäuerchen. Ach ja, ab und zu kommt eine Ansammlung von Ziegelhäusern. Das ist dann rot. Wenn man lang genug durch immer schmaler werdende Sträßlein gekurvt ist, kommt man irgendwann nach Prestbury, dann nach Mottram St. Andrew und dann auch schon nach Mottram Hall. Da herrscht Frieden, Ruhe, Vogts. An so einem Ort wird das Herz leicht.

Es sei denn, es ist gerade Pressekonferenz im weißen Mercedes- Zelt. Das ist praktisch jeden Tag. Das Zelt steht einsam in einer traurigen Ecke des 270 Hektar großen Anwesens. Als es sich im Nordwesten Englands ein bisserl eingeregnet hatte, wurde der Platz vor dem Zelt zu einer Art schmierigem Haufen Schlamm. Gestern haben die Mercedesse aufgejault, als sie darin steckenblieben. Nicht interessant? „Es ist nicht einfach, diese Woche zu überbrücken“, hat Jürgen Klinsmann gesagt, nachdem man ihn in das weiße Zelt geschleift und zum Reden aufgefordert hatte, „für euch Medienvertreter auch nicht.“

Das ist natürlich wahr. In der Panik läßt man sich leicht dazu hinreißen, tagelang über das Schiedsrichterwesen im allgemeinen oder die Bedeutung gelber Karten im besonderen zu räsonnieren. Dies alles, wie der Kapitän Klinsmann leidenschaftslos, aber bestimmt erklärt, „weil bei uns nichts passiert“. Es stimmt ja: Zwar schaltet der auf die Fidschiinseln verbannte Exkapitän Lothar Matthäus alles ab, nur das Handy nicht. Aber: die Fidschis sind weit. Und die Musik spielt hier.

Und jene, die die Musik machen, passen auf. So gut so etwas eben geht. Gestern haben Köpke, Babbel und Helmer „Du mußt ein Schwein sein“ gesungen, mit etwas Hilfe der eingeflogenen Prinzen. Und Thomas Helmer hat, nachdem ihn ein Münchner Blatt beim Waldspaziergang mit seiner Frau erwischt haben wollte, darauf bestanden, daß sie erst am Freitag käme. Babbel hat erklärt, die Aufstellung sei Sache des Trainers, und Köpke räumte ein, er wisse, daß der VfB Stuttgart letzte Saison die zweitschlechteste Abwehr hatte – hinter Frankfurt.

Am Dienstag hatten sich Matthias Sammer und Jürgen Klinsmann auf das Podium gesetzt. Klinsmanns Kopf ist praktisch auf jedem offiziellen DFB-Organ. Und Sammer steht als überlebensgroßes Pappteil vor dem weißen Zelt. „Ich sag' immer“, sagt Sammer, „die Mannschaft ist wichtig.“ Und das 2:0 gegen die Tschechen hat ihm deshalb gefallen, weil „wir uns speziell als Mannschaft präsentiert haben“. Da nickt dann Klinsmann oder auch nicht und erzählt von 1994, „wo wir absolut am Tiefpunkt waren“. Damals war Matthäus noch Chef, flüsterte dem Kumpel Brehme Flöhe ins Ohr, war Völler bemüht, sich ins Spiel zu bringen, und Effenberg, sich heraus. Heute, sagt Klinsmann, „haben wir eine Atmosphäre, in der sich jeder wohl fühlt“.

Nun mag es sein, daß sich der Münchner Kapitän (mit Berater Helmer) und sein international titelloser, aber einflußreicher Dortmunder Co-Chef noch wohler fühlen als der eine oder andere. Klar aber ist: Solange die beiden teilen und herrschen – und dabei gewinnen –, ist Ruhe. Der eine Spielerrat namens Kohler ist davongehumpelt, der andere, Köpke, ist wie Häßler und auch Möller mit seiner Einordnung als Abteilungsleiter zufrieden. Der Rest ist – der Rest. Ein interner Aufstand ist also ausgeschlossen. Könnten Kapitän und Libero aneinandergeraten? Weil Klinsmann in diesen Tagen zwar furchtbar müde aussieht, aber immer wachsam auf der Flucht bleibt, könnte man höchstens bei Sammer ansetzen.

Gerade ist der dabei, dem Dortmunder Kumpel Steffen Freund den Weg ins Team zu ebnen. „Solche Typen brauchen wir“, sagt er. Er meint es: Der Freund ist das perfekte Borussen-Bindeglied zwischen ihm und Möller. Doch Dieter Eilts hat vielleicht in Team und Medien keine Lobby, doch sehr wohl bei Vogts. Den sogenannten Staubsauger hat er gegen Tschechien beeindruckend effektiv gegeben. Muß Klinsmann nach seinen Bayern gucken? Einerseits ist es gut, wenn die Balance stimmt, andererseits macht er nicht den Eindruck, als würde er sich für einen Babbel ungeheuer ins Zeug legen. Eher läßt er so was Helmer erledigen. Und auch wenn er erzählt, wie man sich nach der WM zusammengesetzt habe und „Klartext geredet“ habe: Das „Dinge-an-den- Kopf-Werfen“ ist seine Sache nicht, solange es nicht unbedingt sein muß.

Also redet er, sagt aber im Gegensatz zu Sammer meist gar nichts. Dessen meist kurze und gerne mit „diese Frage finde ich blöde“ eingeleiteten Monologe enthalten bisweilen auch Inhalte, ehe sie irgendwann in den schönen Satz münden: „Aber das entscheidet ja der Trainer.“

Der Trainer ist Berti Vogts. Und um ihn Ruhe.

Gestern kam die Sonne ein bißchen raus. Da sah das Grün gleich grüner, das Rot roter aus. Vielleicht kommt ja wieder ein Telegramm von Fritz Walter. „Männer, das habt ihr toll gemacht“, kabelte der Ehrenspielführer aus Alsenborn nach Mottram Hall. Schön. Aber auch keine veritable Sensation. Es sind immer noch drei Tage bis Old Trafford.

In einem Eckchen stand dieser Tage ein Münchner Fachjournalist und hantierte mit seinem Handy, als Thomas Helmer grinsend des Weges kam. „Fidschiinseln, oder was?“ fragte er im Vorbeigehen freundlich. Es war ein Witz – und doch keiner. Denn gerade Helmer weiß es aus Erfahrung: Ist die Ruhe erst hin, wird das Herz schnell schwer.

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