piwik no script img

Weg mit der Weinerlichkeit

■ Die CSD-Schirmfrauen Lilo Wanders und Krista Sager über schwulesbische Bürgerrechte, neues Selbstbewußtsein und altbekannte Diskriminierungen

Ab heute feiert Hamburg eine Woche lang den Christopher-Street-Day (CSD). Als im Juni 1969 die Polizei mal wieder die Schwulen-Bar Stonewall in der New Yorker Christopher Street per Razzia heimsuchte, setzten sich die US-amerikanischen Schwulen zum ersten Mal zur Wehr – der Geburtstag der Schwulen- und Lesbenbewegung für mehr Bürgerrechte. Seit 1981 wird der CSD in Hamburg gefeiert, diesmal unter dem Motto: „Feiern für gleiche Rechte“; als Schirmfrauen fungieren Lilo Wanders (Stonewall-Veteranin und Moderatorin von „Wa(h)re Liebe“) und Krista Sager (Bundesvorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen) .

taz: Warum wurde gerade euch die Schirmfrauschaft angetragen?

Lilo Wanders: Dahinter steht einerseits das scharfe Kalkül, weil ich ziemlich bekannt bin. Prominente Namen haben ganz klar eine Wirkung. Andererseits bin ich ein politischer Mensch und finde jede Aufmerksamkeit, die auf Homosexuelle weist, erstmal gut.

Krista Sager: Die Anfrage hat mich gefreut und geehrt. Als Politikerin ist es mein Anliegen, daß möglichst viele diese Woche und die Parade nutzen, um sich für Bürgerrechte einzusetzen. Die Präsenz von Lesben und Schwulen im Medien- und Kulturbereich täuscht darüber hinweg, daß es in bezug auf Bürgerrechte noch sehr, sehr schlecht aussieht.

Was meinst du konkret?

Sager: Zum Beispiel gibt es für gleichgeschlechtliche Paare kein Zeugnisverweigerungsrecht, kein Auskunftsrecht im Krankenhaus. Im Erbrecht wird man wie ein Fremder behandelt, die Mietwohnung kann im Todesfall nicht übernommen werden. Da gibt es handfeste materielle Interessen: Einerseits wird das Partnereinkommen auf die Sozialhilfe angerechnet, aber das Recht auf eine Sozialwohnung wird nicht gewährt.

Heute „Schirmfrau“ – und das war's?

Wanders: Von wegen! Ich bin schon vor 18 Jahren mit einem Büchertisch durch die Lande gereist und habe auf Veranstaltungen schwule Literatur angeboten oder mich an Diskussionen beteiligt. Jetzt will ich etwas von dem, was ich habe, abgeben und in Bahnen lenken, die etwas mit meinem Herzen zu tun haben.

Sager: Wir fordern ja schon seit Jahren ein Antidiskriminierungsgesetz. 80 Prozent aller Lesben und Schwule erleben wegen ihrer Homosexualität Benachteiligungen im Beruf. Ein Beispiel: Eine lesbische Krankenschwester an einem katholischen Krankenhaus muß mit Kündigung rechnen, wenn sie sich nicht versteckt.

Wanders: Da kann ich auch was erzählen: Eine Hamburger Versicherung wollte mich für ein Unterhaltungsprogramm buchen. Den Ablauf hatte ich schon zusammengestellt, alle vom Festkomitee waren begeistert. Dann erfuhr der Vorstand davon und sagte alles ab, weil er, ich zitiere, „mit Schwulen und Transvestiten nichts zu tun haben“ will. Nun habe ich alle meine Versicherungen da soweit es geht gekündigt. Aber man muß auch klagen können gegen jemanden, der uns verletzt hat, ohne Angst vor dem finanziellen Ruin. Da könnte ein Antidiskriminierungsgesetzt helfen.

Findet ihr das Motto nicht ein bißchen schlicht?

Wanders: Es ist legitim zu feiern, solange die politischen Forderungen nicht untergehen, sondern durch Fröhlichkeit transportiert werden. Verbissen die Politschiene zu fahren bringt nichts. Das war schon früher scharf getrennt in Lust- und Politfraktion.

Sager: Ich kann mit dem Motto was anfangen, denn ich kenne viele Beispiele, wo es durch Ungleichbehandlung zu brutalen Diskriminierungen kam. Vielleicht gibt es Leute, denen das zu dröge ist, aber es soll auch Spaß machen und Selbstdarstellung ermöglichen. Englisch ausgedrückt wäre es wohl mehr hip, aber es soll ja gerade den anderen, den Heteros, etwas sagen.

1969 flogen in New York Münzen und Steine gegen Polizisten. Heute gibt's Party ...

Wanders: Wir müssen unsere Weinerlichkeit abstreifen! Wir sind da, wir sind! Wir sind nicht in Frage zu stellen. Jeder einzelne persönlich ist so, wie er ist. Und er hat das Recht dazu, er darf das. Ich bin optimistisch, es geht voran.

Sager: Stärke und Selbstbewußtsein ist mehr angesagt als Jammern. Steine schmeißen zeigt Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle. Heute sind Lesben und Schwule in der Gesellschaft stärker als 1969, und sie können diese Stärke auch zeigen wie durch das schrille, laute Dasein.

Was zieht ihr zur Parade an?

Sager: Meine Parteifreunde rieten mir, ganz in Leder zu gehen, aber das ist mir bei diesen Temperaturen viel zu heiß. Ich glaube, ich trage saloppe Sachen. Sachen, die zu mir passen.

Wanders: Ich bin leider gar nicht in Hamburg, wünsche mir aber Sonne, damit die Mädels aus den Federn und zur Parade kommen.

Wirfst du Bombons, Blumen oder Kondome?

Sager: (lacht) Da habe ich mich noch nicht entschieden. Wegen Karies doch lieber Blüten.

Wanders: (lacht auch) Ich kann gar nicht werfen. Aber wenn ich's könnte, dann Kondome.

Fragen: Miguel-Pascal Schaar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen