: Urlaub am Vegesacker Hafen: Einkaufen und ins Kino gehen
■ Auf dem Lürssen-Gelände, eines der wertvollsten Ufergrundstücke Bremens, wird ein neues Zentrum geplant, das „die Chance“ in punkto Tourismus und Arbeitsmarkt für Vegesack werden soll – wieviel Arbeitsplätze dort geschaffen werden sollen, weiß Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) allerdings noch nicht.
Auf dem Vegesacker Lürssen-Gelände, das als eines der wertvollsten Ufergrundstücke Bremens gilt, soll neben Kneipen, Geschäften und einem Kino unter anderem ein Verbrauchermarkt gebaut werden (siehe taz 27.3). Gegen diesen „Ausverkauf eines Sahnegrundstücks“ (Grüne) haben Beiratsmitglieder und Vegesacker Geschäftsleute protestiert (siehe taz 20.4). Sie haben Zweifel, ob die geplante Bebauung des 90.000 Quadratmeter großen Grundstückes, das der landeseigenen Gesellschaft Hanseatische Industrie-Beteiligungen (HIBEG) (51 Prozent) und der Familie Lürssen (49 Prozent) gehört, tatsächlich die Chance für die wirtschaftliche Entwicklung Vegesacks ist. Um „Ruhe in die Angelegenheit“ zu bringen, wollte Hartmut Perschau (CDU) eigentlich nichts zu dem Thema sagen.
Herr Perschau, es ist ja unglaublich schwer, mit Ihnen ein Interview zum Thema Lürssen-Gelände zu bekommen.
Wirtschaftsenator Hartmut Perschau (CDU): Ja, ich möchte darüber auch nicht so gerne reden.
Warum nicht?
Weil wir mitten in der Vorbereitung für die Entscheidung sind. Und da ist ja auch noch eine ganze Menge zu tun.
Wie ist der Stand der Dinge?
Wir haben zwei potentielle Investoren, die ihre Pläne vorlegen. Es wird irgendwann eine Vertragsgestaltung geben, die dann Voraussetzung ist für irgendeine Vorlage für die Wirtschaftsförderungsausschüsse.
Sie wollen mit irgendeiner Vorlage in die Wirtschaftsförderungsausschüsse gehen? Im neuen Investions-Sonderprogramm sind doch aber schon 80 Millionen Mark für die Wiedernutzung des Lürssen-Geländes reserviert. Wofür soll denn das Geld ausgegeben werden?
Die Problematik ist zunächst einmal so, daß wir das Bahnhofsgelände mit einbezogen haben. Wenn wir dieses bebauen, müssen wir erhebliche Anbindungsmaßnahmen, aber auch Abrüstungsmaßnahmen machen. Weil die Gleise rausgenommen werden müssen, weil das Gelände aufgearbeitet werden muß. Dazu kommen auch die Erschließungskosten auf dem Lürssen-Gelände. Und zusätzliche Stützungsmaßnahmen für das gesamte Vegesack. Wir haben diese Positionen so reingenommen, ohne daß man sie jetzt bis in das letzte Detail spezifizieren kann, weil wir ja risikosicher planen wollen.
Also mit anderen Worten: Sie haben erstmal Geld reserviert, und erst dann gucken Sie, wofür Sie es konkret benötigen?
Ja, das ISP ist ja ein Programm bis 2004. Wenn wir es jetzt nicht reingenommen hätten, dann wäre das Geld verbraucht und anderweitig ausgegeben worden.
Herr Perschau, auf dem Lürssen-Gelände soll unter anderem ein Verbrauchermarkt gebaut werden. In der Vegesacker Innenstadt gibt es allerdings schon drei Warenhäuser und etliche kleinere Geschäfte. In Ihlpohl und Ritterhude gibt es einen Real-Markt, einen Kafu-Verbrauchermarkt, ein Möbelhaus, ein großes Teppichgeschäft, einen Baumarkt und eine High-Tech-Halle. Im Gewerbegebiet Platjenwerbe steht ebenfalls ein SB-Warenhaus, noch ein Möbel-Haus, ein weiterer Teppichmarkt und sogar ein Küchenstudio. In Blumenthal gibt es sogar mehrere SB-Märkte. Lohnt es sich angesichts dieses Angebots überhaupt noch, einen Verbrauchermarkt auf dem Lürssen-Gelände zu bauen?
Zunächst einmal ist es so, daß wenn Sie das Lürssen-Gelände nutzen wollen und von dort aus wirtschaftliche Impulse ausgehen sollen, dann ist es schon wichtig, daß Menschen dort hingehen.
Und die kommen nach Vegesack, weil es dort einen neuen Verbrauchermarkt gibt?
Also, hier handelt es sich ausschließlich um private Investitionen und private Investoren, die ihr privatwirtschaftliches Risiko tragen. Das heißt, dies gehört zu einer touristischen Nutzung des Vegesacker Hafens, des Ufers, der Lesum, der Weser, des Hafenbeckens.
Aber was hat denn Tourismus mit einem Verbrauchermarkt zu tun?
Beides ergänzt sich. Es ist ganz töricht, touristische Möglichkeiten ohne Einkaufsmöglichkeiten zu schaffen.
Heißt das, daß die Menschen nach Vegesack kommen sollen, um dort erst das Schulschiff Deutschland anzugucken und dann im Supermarkt einzukaufen...
Ja, und um abends ins Kino zu gehen.
Und solche Touristen gibt es? Einkaufen und ins Kino gehen, kann man doch auch zu Hause. Dort sind private Investoren mit vollem privaten Risiko. Wir haben als Staat nur zu prüfen, weil ein Teil staatliches Eigentum ist.
Deshalb haben einige Beiratsmitglieder ja auch protestiert. Sie haben gefordert, die Pläne zu überprüfen und das Konzept nicht den privaten Investoren zu überlassen.
Wir prüfen das ja auch. Aber, mein Staatsverständnis ist möglicherweise deutlich unterschiedlich von Ihrem. Ich gehe nicht von diesem total dirigistischen Staat aus, der eine Staatswirtschaft kre-iert. Ich gehe davon aus, daß der Staat dies städtebaulich begleitet und auch kontrolliert, um privatwirtschaftliche Investoren zu binden, so daß sie auch weitere Arbeitsplätze induzieren.
Wieviel Arbeitsplätze wollen Sie denn schaffen?
Ich schaffe die nicht. Der Staat betreibt keinen Einzelhandel, sondern Einzelhandel ergibt sich aus dem privatwirtschaftlichen Risiko.
Also gut, wieviel Arbeitsplätze sollen denn durch die Investoren geschaffen werden?
Das werden wir sehen. Es gibt verschiedene Gutachten. Das hängt jetzt aber auch von dem Konzept ab, für das sich die Wirtschaftsförderungsausschüsse im Zusammenhang mit der Familie Lürssen entscheiden. Und im Moment stellen Sie mir lauter Fragen über ein noch nicht beschlossenes Konzept.
Aber wenn die Bebauung des Lürssen-Geländes die Chance für Bremen-Nord sein soll, müssen Sie doch eine Vorstellung davon haben, wieviel Arbeitsplätze geschaffen werden sollen?
...wir sind in der Vorbereitung mit zwei Investorengruppen, die Interesse daran haben, dieses Gebiet zu beleben, zu vermarkten und zu gestalten. Im Moment sind wir in einer Vorbereitungsphase...
In der noch nicht feststeht, wieviel Arbeitsplätze geschaffen werden sollen?
...und dieses möchte ich in aller Form betonen, man kann lange darüber nachdenken, ob es zweckmäßig war, in einer so sehr frühen Phase diese Diskussion bereits auf den Beirat auszudehnen, weil letztlich man doch eine klare Perspektive für die Entscheidungslinie schaffen muß. Aber ich denke, daß dies in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird.
Sie können also nicht sagen, wieviel Arbeitsplätze durch die Bebauung des Lürssen-Geländes geschaffen werden.
Sie stellen mir alles Fragen, die ich noch nicht beantworten kann.
Über die Kaufkraft, die nach Vegesack gezogen werden soll, gibt es konkretere Vorstellungen: Die Stadtentwicklung Vegesack (STAVE) stützt ihre Pläne, dort einen Verbrauchermarkt und kleinere Läden zu bauen, auf ein Gutachten, das von einem „realen Anstieg der Kaufkraft“ von 4,7 Prozent ausgeht. Die Gutachter gehen davon aus, daß die Vegesacker 1994 8.955 Mark pro Kopf für den privaten Gebrauch ausgegeben haben. Das Gutachten stammt allerdings von vor der Vulkan-Krise. Woher soll denn jetzt die Kaufkraft kommen?
Wissen Sie, ich glaube, daß es hier nicht nur um die Vulkanesen geht. Sondern es geht natürlich in vielfältiger Weise darum, daß Bremen seiner Metropol-Funktion gerecht werden muß.
Was heißt das?
Metropol-Funktion bedeutet, daß man für die Gesamtregion Einkaufsmöglichkeiten vorhält. Und das, was wir wollen, ist ja gerade das, was jede Metropole tun muß, um ihr finanzielles Überleben überhaupt zu sichern. Daß sie Aktivitäten unternehmen muß, um Menschen aus der Region in die Stadt zu holen, damit sie ihr Geld dort ausgeben. Das heißt, man muß versuchen, soviel Kaufkraft wie möglich in die Region, in die Metropole zu ziehen.
Spielen Sie jetzt darauf an, daß die Kaufkraft nach Niedersachsen abfließt, wenn die Leute in Ihlpohl einkaufen?
Also, einmal das. Aber ich glaube, daß Ihlpohl qualitativ sicherlich ein Einkaufszentrum ist, das sicherlich nicht zu den Glanzlichtern der Wettbewerbsfähigkeit gehört. Aber es geht ja hier um was anderes: Wir haben alle eine große Erfahrung mit allen Oberbedenkenträgern, wie Ihnen, die meckern, nölen und alles mögliche machen. Die Belebung des Lürssen-Geländes und die Umgestaltung der Grohner Kaserne sind die beiden zentralen Zukunftsperspektiven zur Verbesserung der Situation in Vegesack und Bremen-Nord. Sie führen in zentraler Weise dazu, daß wir Umsteuern vom Industriebereich in den Dienstleistungsbereich. Diese Umstrukturierung ist für Bremen-Nord von ungeheurer Bedeutung.
Aber wenn Sie noch gar nicht wissen, wieviel Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, woran können Sie dann erkennen, daß die Umstrukturierung inklusive Verbrauchermarkt die Chance für Vegesack ist?
...und auch wenn es die taz anders sieht, es geht jetzt darum, das Ganze nicht mit kleiner Münze kleinzureden.
Auch die Innenstadtkaufleute haben sich kritisch geäußert. Sie fürchten, daß ihnen eine künstliche Konkurrenz vor die Nase gesetzt wird, die sie kaputt macht.
Nein, ganz im Gegenteil. Ganz im Gegenteil. Vegesack braucht einen weiteren Nukleus, einen Kern, um den herum sich kleinteiliger Einzelhandel zusätzlich entwickeln kann, und insgesamt müssen wir ein Angbot schaffen, das Sogwirkung erzeugt. Die Sogwirkung, die zur Zeit da ist, reicht nicht. Jetzt kommt es darauf an, daß es eine Vernetzung des Vegesacker Zentrums mit dem Maßnahmen auf dem Lürssen-Gelände gibt.
Herr Kröger von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft hat die Innenstadtkaufleute auf einer Beiratssitzung im April allerdings dazu aufgefordert, an den Hafen zu ziehen. Gegenüber der taz sagte er sogar, auf einige Läden in der Innenstadt könne man getrost verzichten. Heißt das, daß man die Pleite der Innenstadt in Kauf nimmt?
Es ist so, daß wir in Vegesack auch jetzt gutgehende Geschäfte und weniger gutgehende Geschäfte haben. Insbesondere die weniger gut gehenden Geschäfte befürchten, daß wenn weitere kommen, sie möglicherweise die Käufer nicht binden. Das hat aber nichts mit der Bebauung des Lürssen-Geländes zu tun.
Kommen wir nochmal zurück zu den Touristen, die nach Vegesack gelockt werden sollen...
Ja, diese Touristen kommen nach Bremen wegen der Schlachte, wegen des Musicals, wegen des Space-Parks, wegen des Ocean-Parks, wegen des Lürssen-Geländes, wegen der Altstadt, wegen ganz ganz vieler Dinge. Ein solches Gesamtangebot hat viele Facetten. Wenn ich es segmentiere, dann verliert natürlich die Einzelmaßnahme. Dann würde sie den Münchener nicht nach Bremen locken.
Mit anderen Worten: Sie brauchen den Space-Park und den Ocean-Park, damit sich das Lürssen-Gelände rechnet? Es ist doch aber noch gar nicht sicher, daß diese Parks gebaut werden.
Nein, wir hören jetzt mal auf. Das macht jetzt wirklich keinen Sinn. Ich finde das so unfair. Sie versuchen mit ihren Fragen nichts anderes, als die alternativen Arbeitsplätze die wir dort schaffen, zu sabotieren. Und das finde ich nicht in Ordnung.
Aber Sie haben bisher ja noch nicht verraten wieviele Arbeitsplätze sie dort schaffen wollen. Außerdem ist es ja auch interessant, was für Arbeitsplätze dort geschaffen werden. Schafft der Einzelhandel womöglich nur sogenannte minderwertige Arbeitsplätze auf 580-Mark-Basis?
Die Arbeitsplätze sind überhaupt nicht minderwertig. Ihr macht alle immer dasselbe – daß ihr in einer Situation, in der keine Entscheidungen getroffen werden, sondern vorbereitet werden, alle Ergebnisse vorwegnehmen wollt, um sie zu zerkloppen, und um dann hinterher zu sagen: „Ja, was wollt ihr denn eigentlich noch entscheiden.“ Das Lürssen-Gelände wird gebaut werden. Das wird ein beachtlicher Erfolg werden – mit oder ohne die taz. Und dies werden wir durchsetzen. Und jetzt hören wir mal auf.
Haben Sie recht vielen Dank für dieses Interview, Herr Perschau.
Bitte.
Fragen: Kerstin Schneider
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen