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Frau Nachbarin, Ihr Busen!

„Ich hab' schon mehr gelacht“ — am Sonntag beginnt das 2. Jüdische Filmfestival im Arsenal mit klassischen und neuentdeckten Komödien  ■ Von Dorothee Wenner

Es gibt ja eine Menge ehrenwerter Theorien über Witze, aber die ehrlichste ist wohl, daß die gemeinen am besten sind. Wirklich gemein ist aber nur die Realität, weswegen die nächste Umgebung auch in aller Regel die besten Sujets liefert. Beim 2. Jüdischen Filmfestival, das die Freunde der Deutschen Kinemathek gemeinsam mit der Jüdischen Volkshochschule vom 16.bis 23. Juni im Arsenal veranstalten, geht es um „Humor im jüdischen Film“.

14 Programme mit Klassikern wie Mel Brooks „The Producers“, Lubitschs „Sein oder nicht Sein ...“, Alexej Granowskis „Jüdisches Glück“ aus dem Jahr 1925 werden zu sehen sein, aber vor allem Entdeckungen aus den USA, aus England, Frankreich, Deutschland und Ruland. So bunt gemischt die Reihe auch ist – unübersehbar ist die Neigung der Drehbuchautoren, der Porträtierten, der Regisseure, Schauspieler und Komiker, über die eigene Mischpoke herzuziehen.

Wirklich meisterlich, weil kühn, ist zum Beispiel „Alles ist gut“, eine „Show mit Pogromen“ von Juri Chaschtschewatski. Der weißrussische Film aus dem Jahr 1992 ist eine abenteuerliche Mischung von Dokumentaraufnahmen der antisemitischen Pogrome z. B. im Moskauer „Haus der Schriftsteller“ 1991, von amüsanten „Ballettszenen“ ausreisender Juden auf dem Bahnsteig und einem gewissen Kolja, der sich vor seiner Einschiffung nach Tel Aviv im Freizeitanzug zum Abschied an die üppigen Brüste aller Nachbarinnen wirft, die ihm so begegnen.

In 14 Kapiteln mit Titeln wie „Jüdische Sklerose“ oder „To go or not to go?“ erzählt Chaschtschewatski die jüngste Ausreisewelle russischer Juden als Tragikomödie, wo sich die gruseligen Szenen der rechtsradikalen „Pamjat“-Bewegung Tür an Tür mit den komischsten Begegnungen zutragen. „Ich meine,“ so Chaschtschewatski, dessen Vater Jude und dessen Mutter Russin ist, „daß Filme über Juden auch deswegen von Nicht- juden gemacht werden sollten, weil sie sonst zu sehr auf die Tränendrüse drücken.“

Statt dessen montiert Chaschtschewatski historisches Material mit aktuellen Videodokumenten; Szenen des Jüdischen Theaters von Kiew in reichlich verfallenen Hinterhöfen bilden so etwas wie ein kommentierendes Leitmotiv, und zwischendurch folgt er auch mal einem Hirten, der seine Ziegen durch einen Vorort von Kiew spazierenführt: „Ziegen sind eine rein jüdische Beschäftigung!“

Von der Form her wesentlich klassischer ist „Nächstes Mal, lieber Gott, wähl andere aus!“ – eine Hommage von Rex Bloomstein an die großen jüdischen Komiker des US-amerikanischen Showbusineß. Woody Allen, der in Europa oft als Alleinvertreter des jüdisch-amerikanischen Humors gehandelt wird, bekommt in diesem Film ernst zu nehmende Konkurrenz. Bloomstein interviewt und porträtiert mit zuweilen genialen 60er-Jahre-TV- Ausschnitten Leute wie Billy Cristal, Robert Klein, Jackie Mason und Joan Rivers. Und auch „die Wiege“ der jüdischen Gemeinde in Amerika, die New Yorker Lower East Side und der Borscht Belt, werden mit Straßenszenen von gestern und heute vorgestellt: Passanten und Verkäufer, um flotte Sprüche nicht verlegen.

Zwar gehört der Film genaugenommen in das verrufene „talking heads“-Genre – allein, man bemerkt es kaum, schließlich sind die Interviewten allesamt begnadete Unterhalter, die nie um gute Abbremser verlegen sind. Bloomstein versucht eine Charakteristik amerikanisch-jüdischen Humors, und die befragten Experten wissen darauf auch hin und wieder Allgemeingültiges zu antworten. Etwa, daß der jüdische Humor nichts Sakrosanktes kennt – nicht einmal die Thora oder der Rabbi gelten als tabu –, daß Sex und körperliche Behinderungen dagegen kaum als Witzthemen vorkommen und so fort.

In aller Regel aber gibt es zur Illustration der Thesen passende Anekdoten, Witze oder Geschichten, die – und das macht nicht zuletzt den Charme dieses Films aus – den unsichtbaren Regisseur oft dazu bringen, im Hintergrund glucksend zu lachen. Bevor die jüdischen Emigranten nach Amerika kamen – so Bloomsteins Quintessenz – sei es in den USA längst nicht so lustig gewesen, und wer zum Beispiel diese älteren Herren zwischen offenen Särgen im Beerdigungsinstitut sieht, wie sie sich über einen Witwen-blow- job-Witz amüsieren, der glaubt dieser Theorie.

„Gengis Cohn“ heißt ein britischer Film über den gleichnamigen jüdischen Komiker, dessen Geist in den 50er Jahren in einer bayerischen Stadt für Turbulenzen sorgt. Der Regisseur Elijah Moshinsky zeigt Cohn (Antony Sher) zu Beginn mit Szenen aus seiner 30er-Jahre-Hitler-Revue, bevor er in Dachau erschossen wird. Seinem Mörder Otto Schatz (Robert Lindsay) ist Cohn in Erinnerung geblieben, weil dieser ihm vor der Erschießung ein keckes „Küß meinen Arsch!“ zugerufen hatte.

16 Jahre später, als Schatz' bundesdeutsche Polizistenkarriere ihrem Höhepunkt entgegenstrebt und er die Beförderung mit einem kleinen Sexspiel in SS-Uniform zu feiern gedenkt, erscheint KZ- Häftling Cohn im Schlafzimmer und unterbricht den Akt. Schatz flieht aus dem Haus der Geliebten, wird auf dem Heimweg aber von vielen Bürgern in dem verräterischen Aufzug gesehen. Das ist aber nur der Auftakt zu einer Wandlung unter Cohns Regie, die den Exnazi allmählich immer jüdischer werden lassen: plötzlich ißt Schatz gefilte fish, benutzt jiddische Vokabeln und wird schließlich zum Hauptverdächtigen einer kuriosen Serie von Sexmorden im Ort.

So hübsch blutig und rachlustig die Geschichte auch daherkommt – sie ist nicht ganz unpädagogisch. Als schlechtes Gewissen eines Deutschen verfällt der Geist Cohn dann doch ein bißchen in die Opferrolle, aus der der Film ihn ja so gut es geht befreien wollte. Vielleicht liegt es ja daran, daß wo immer Deutsche – und seien es britische Schauspieler, die Deutsche spielen – etwas mit jüdischem Humor zu tun haben, die Sache ernst wird und der Witz baden geht. Aber manchmal geht es den anderen auch nicht besser: So lösten jüngst die französischen Synchronschwimmerinnen mit ihrem Vorschlag, bei den bevorstehenden Olympischen Spielen den Holocaust als Wasserballett nachzustellen, auch nur bittere Debatten aus. Möglicherweise werden die Schwimmerinnen für ihre Kür doch noch auf das US-amerikanische Team der legendären Show „Saturday-Night-Life“ zurückkommen?

Von 16.–23. Juni im Arsenal- Kino, Welser Straße 25, genaues Programm erfragen unter Telefon:

2 18 68 48

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