: 50mal haben Bürger entschieden
■ Ein halbes Jahr nach Einführung sind Bürgerentscheide bayrische Normalität geworden – vor allem zum Verkehr
Nürnberg (taz) – Ein halbes Jahr ist das Gesetz über kommunale Bürgerentscheide in Bayern in Kraft, und noch immer ist das von der CSU prognostizierte Chaos im Freistaat nicht ausgebrochen. Am Sonntag findet bereits der 50. Bürgerentscheid ab, neun weitere stehen unmittelbar bevor, 28 sind eingereicht und knapp 100 angekündigt.
„Schon jetzt ist der Bürgerentscheid ein Stück bayrischer Normalität geworden“, freut sich Thomas Meyer, Geschäftsführer der Aktion „Mehr Demokratie in Bayern“. Die Staatsregierung sieht dagegen keinen Grund zum Jubeln. Die Kommunalpolitik sei „unübersichtlicher und unberechenbarer geworden“, grummelt CSU- Innenstaatssekretär Hermann Regensburger.
Mit Millionenaufwand hatte die CSU im Herbst vergangenen Jahres kurz vor dem Volksentscheid zur Einführung von Bürgerentscheiden den Teufel an die Wand gemalt. Im Falle eines Ja zur direkten Demokratie würden künftig „Gefälligkeitspolitiker“ das Land regieren. Lärmgeschädigte Bürger würden Sport- und Bolzplätze schließen lassen und verunsicherte Firmenchefs fluchtartig den Freistaat verlassen, weil dort die „Diktatur der Minderheit“ der schweigenden Mehrheit erbarmungslos den Marsch blasen würde. Doch all die Horrorszenarien haben nichts genutzt. Mit 57,8 Prozent der Stimmen sagten die Bayern ja zum Bürgerentscheid und fügten der CSU ihre erste Niederlage seit 40 Jahren zu.
Inzwischen hat sich auch die CSU als lernfähig gezeigt und selbst Bürgerbegehren gestartet, beispielsweise zur Untertunnelung Münchens oder zur Gestaltung der Passionsspiele in Oberammergau. Bei den bislang eingereichten Anträgen für ein Bürgerbegehren stehen Bau- und Verkehrsprojekte an der Spitze der Themen, die die Bürger bewegen. So erteilten die Bürger in Augsburg dem Bau einer sündhaft teuren Tiefgarage eine klare Absage, sprachen sich in Passau für den Bau eines Erlebnisbades aus, setzten in Hausham durch, daß ein Bahnübergang offen bleibt, und plädierten in Hattenhofen dafür, daß das Feuerwehrhaus dort bleibt, wo es momentan ist.
In seiner Bilanz legt Thomas Meyer großen Wert darauf, daß die Bürger mehr Sparsamkeit bewiesen hätten als die Politiker. Um so unverständlicher scheint es ihm, daß immer mehr Bürgerentscheide von den Gemeinderäten für unzulässig erklärt werden. Als Begründung wird oft der Verstoß gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ins Feld geführt. Angesichts von über 30 gestoppten Entscheiden bezeichnet es Meyer inzwischen als „Systemfehler“, daß die Gemeinderäte über die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens zu entscheiden hätten. Häufig werde „die rechtliche Prüfung mit einer politischen Bewertung verwechselt“. Meyer findet es besonders dreist, daß der Bayerische Gemeinde- und Städtetag die Gemeinden dazu auch noch ermuntert.
Im Innenministerium sieht man das anders. Dort ist man verärgert, daß man sich schon in den ersten zwei Monaten nach Inkrafttreten mit rund 140 Fragen zum Bürgerentscheid herumschlagen mußte. Daß mit dem Entscheid das Interesse an kommunaler Mitsprache neu erwacht sei, bestreitet Innenstaatssekretär Regensburger vehement. Schließlich, so führt er als Argument an, sei die Beteiligung an den Urnengängen „relativ gering“. Meyer jedoch läßt diesen Einwand nicht gelten. Nach seinen Berechnungen liegt die Beteiligung durchschnittlich bei 52 Prozent. Bernd Siegler
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