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Eine Hausfrau bläst zum Marsch

Gesichter der Großstadt: Die Elternratsvorsitzende Barbara Seid vernachlässigt derzeit die eigene Familie und koordiniert die Kreuzberger Schulstreiks  ■ Von Stephanie v. Oppen

„Meine Kinder sind das Wertvollste, was ich habe.“ Die Frau, der derlei Bekenntnisse leicht über die Lippen kommen, ist keine Glucke. Schon rein äußerlich nicht. Barbara Seid ist klein und zierlich. Doch zerbrechlich wirkt sie nicht. Eher zäh. Sie läuft barfuß in der Wohnung rum und trägt Leggins. Ausnahmsweise rennt sie nicht von einer streikenden Schule zur nächsten. Auch das Schulamt kann für vierundzwanzig Stunden verschnaufen. Selbst das Telefon bleibt weitgehend still. Die Bezirkselternratsvorsitzende von Kreuzberg gönnt sich einen freien Tag zu Hause.

Seit einigen Wochen organisiert Barbara Seid die Streiks an etwa acht Schulen im Bezirk. Ihr „36-Stunden-Job“ beginnt morgens um sechs mit dem Anruf von Radiosendern, die die Streiklage abfragen. Dann verläßt sie „fluchtartig“ das Haus. Ein Termin jagt den anderen. Zwischendurch kommt sie nach Hause, klemmt sich das Telefon unters Kinn, während sie „mit der einen Hand im Kochtopf rührt und mit der anderen eine ihrer beiden Töchter streichelt“. Doch Barbara Seid beklagt sich nicht. Denn ein Leben ohne Chaos wäre ihr viel zu langweilig. Chaos – das ist für die leidenschaftliche Salsatänzerin, die davon träumt, Südamerika zu bereisen, „der Süden, wo die Menschen so gut damit umgehen können“.

Seitdem ihre Kinder zur Schule gehen, engagiert sich die gelernte Industriekauffrau und Hausfrau in der Elternvertretung. Zur Bezirkselternratsvorsitzenden wurde sie vor mehr als zwei Jahren gewählt. Am Anfang sei es ihr „nicht geheuer“ gewesen, an die Öffentlichkeit zu treten, gesteht sie. Doch nach dem Besuch von einigen Bezirksverordnetenversammlungen habe sie schnell die Scheu vor Politikern verloren. Viel mehr Probleme habe sie mit Zeitungsinterviews und der Fotografiererei. Barbara Seid will gar nicht so wichtig sein: „Eigentlich bin ich doch austauschbar. Es ist reiner Zufall, daß ich ausgerechnet jetzt in dieser Funktion bin“, sagt sie bescheiden.

An den Schulen ihrer eigenen Kinder wird nicht gestreikt. Die fünfzehnjährige Tochter Deborah findet es ganz angenehm, daß die Mutter „woanders im Einsatz ist“. Der elfjährigen Franziska dagegen paßt das gar nicht. Darum läßt sie schon mal Briefe von streikenden Schulen einfach verschwinden. Den Rest deponiert sie auf dem Schreibtisch von „Bärbel“, wie die Mädchen ihre Mutter nennen.

Seit dem Streik sei sie eine schlechtere Hausfrau geworden, sagt Barbara Seid. Stand das selbstgekochte Mittagessen vorher pünktlich auf dem Tisch, wenn die Kinder nach Hause kamen, müssen sie jetzt oft mit Ravioli aus der Dose vorlieb nehmen. Barbara Seid schiebt eine Vase mit roten Rosen beiseite und stützt ihre Ellbogen auf den Küchentisch: „Die Blumen haben mir die Lehrer von der Jahnschule geschenkt.“

Doch nicht jeder schenkt ihr für ihr Engagement Blumen. Kürzlich kam ein Brief vom Oberschulamt. Darin wurde ihr vorgeworfen, sie habe Schüler „angestiftet“ und sei verantwortlich für Sachbeschädigungen, die bei einer Demo entstanden waren. Auf einen Antrag von den Grünen und der SPD hin wurde dieser Vorwurf inzwischen fallengelassen. Die Beschwerde hat Barbara Seid gelassen zur Kenntnis genommen. Sie weiß, daß mit dem Rückhalt von Lehrern und Eltern rechnen kann. „Wir sind dort schon wie eine Familie.“

Nur die eigene Familie komme eindeutig zu kurz. „Meine Kinder erleben mich entweder gar nicht oder am Telefon“, erzählt sie mit einem Singsang in der Stimme, der ihre Herkunft aus dem Schwäbischen verrät. Barbara Seid ist in Heilbronn aufgewachsen. Dort stieß sie als Jugendliche zu den „Falken“, trug den Schlabberlook der Siebziger, verkehrte mit den „Langhaarigen“ und entdeckte die Beatles. Schließlich schwappte sie mit dem Exodus der „Schwäbischen Landjugend“ nach Berlin und stieg dort in die „Szene“ ein. Barbara Seid holte auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studierte Sozialwisenschaften, bis Deborah geboren wurde. Obwohl es ihr vor vom Leben in einer Kleinfamilie zunächst grauste, ist sie dann doch mit ihrem heutigen Mann zusammengezogen: der Kinder wegen. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ihre Töchter in einen staatlichen Kindergarten zu schicken. Statt dessen hat sie mit Freunden Kinderläden gegründet.

Als dann der „gefährliche Schritt Schule“ kam, konnte sie sich die Menschen, die nun für die Erziehung der Kinder zuständig waren, nicht mehr selbst aussuchen. „Wenn die Lehrer Pflaumen sind – dann ist Kampf angesagt“, hatte sie schon damals erkannt. Barbara Seid will vor allem, daß ihre Kinder „den aufrechten Gang lernen“. Glück und Selbstbewußtsein wünscht sie sich für alle Kinder. Dazu hätte sie auch gern Erwachsenen verholfen. Doch der Traum vom Sozialarbeiterberuf war an der Realität gescheitert: „Die Schicksale sind mir zu nahe gegangen.“

Eine Zeitlang engagierte sich Barbara Seid dann in Frauengruppen. Doch auch die mußten bald ohne sie auskommen. Ständig wurde damals über Vergewaltigung in der Familie diskutiert, erinnert sie sich. Als sie anfing, ihren Mann bei jeder zärtlichen Geste für die Töchter mißtrauisch zu beäugen, ließ Barbara Seid die Frauengruppen lieber wieder sausen. Doch an einem hält sie trotz gegenteiliger Erfahrungen noch immer fest: „Ich glaube an das Gute im Menschen.“

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