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Hier weicht kein Deich

■ Deicherhöhung statt -rückbau stopft das Haushaltsloch, aber auf neue Biotope wird verzichtet Von Heike Haarhoff

Vor den Deichen will sie weichen: Die Baubehörde wirft alle guten Vorsätze zu umweltverträglichem Hochwasserschutz über Bord. Sieben von zehn Deichen im Süderelberaum zwischen Harburg und Wilhelmsburg sollen nun doch nicht rückverlegt werden. Umweltbehörde und Naturschutzverbänden graust es, daß nun auf tidebeeinflußte Vorlandflächen als natürlicher Flutraum für die Elbe und als Schutz-Reservat für Pflanzen und Tiere großräumig verzichtet wird.

Statt dessen will Bausenator Eugen Wagner (SPD) künftig die alten Deiche lediglich erhöhen und verbreitern. Das macht sie sicherer vor Sturmfluten. Und spart nebenbei 17 Millionen Mark, die im Haushalt eigentlich für die ökologisch wertvolle Rückdeichung vorgesehen war.

In einem vertraulichen 40-Seiten-Entwurf zur „Überprüfung des Konzepts der Deichrückverlegungen“, den der Senat derzeit in seinen Haushaltsberatungen diskutiert, wird der Raubbau genauer erläutert: 57 Kilometer Deiche – rund die Hälfte der gesamten Hamburger Hochwasserschutzlinie – sollen wie geplant bis 1998 ausgebaut werden – und zwar auf bis zu neun Meter Höhe und entsprechend verbreitert. Das entspricht einer durchschnittlichen Erhöhung um 80 Zentimeter, vor allem aber den Vereinbarungen des „Hochwasserschutz-Programms“, das der Senat bereits im April 1995 beschloß.

Von einem Ausgleich für den Eingriff in die Natur hingegen – Flächenfraß durch Deicherhöhung – ist ein Jahr später keine Rede mehr. So sollen die Deiche Zollenspieker, Spadenländer Busch, Ellerholz, Fährinsel (Schweenssand Hauptdeich) und Allerheiligen Sand lediglich „eine Deicherhöhung in der bestehenden Linie bei binnenseitiger Verbreiterung“ erfahren. „Bislang war unser Ziel, 55 Hektar Vorlandflächen durch Rückdeichung zu schaffen“, sagt Baubehörden-Sprecher Matthias Thiede. Dem Geheimpapier zufolge sollen davon jetzt schlappe 15 Hektar übrig bleiben, beklagt Manfred Braasch, Geschäftsführer des Hamburger Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND).

Als Grund für die Kehrtwende der Baubehörde gilt – neben der finanziellen Entlastung – die Schlappe vor dem Oberverwaltungsgericht: Dort war die Behörde im Januar klagenden Landwirten aus Ochsenwerder unterlegen, die sich erfolgreich gegen die geplante Rückverlegung des Gauerter Hauptdeichs wehrten (taz berichtete).

Das Gericht entschied zugunsten der Bauern. Denn nach dem Hamburgischen Naturschutzgesetz ist – im Gegensatz zur Bundesgesetzgebung – ein Natur-Ausgleich für Hochwasserschutzmaßnahmen nicht zwingend vorgeschrieben. Insofern darf man Hamburger Deiche, anders als z.B. in Niedersachsen, aufstocken, ohne sie zugleich landeinwärts verschieben zu müssen. Die Behörde fürchtet nun weitere kostspielige und zeitaufwendige Klagen von AnwohnerInnen und will sich deshalb von dem Projekt verabschieden.

„Hamburg hätte rechtzeitig eine eindeutige Rechtslage schaffen müssen“, weist Dirk Mecklenburg, GAL-Fraktionsabgeordneter aus Harburg, die Schuld für den Öko-Rückschritt der Schnarchnasigkeit der Regierung zu. Umweltbehörden-Sprecher Kai Fabig fände es „bedauerlich“, sollte die Natur vorm Deich den Kürzeren ziehen.

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