: Die unselige Allianz von Kreuz und Hakenkreuz
Papst Johannes Paul II. wird am Sonntag die Priester Bernhard Lichtenberg und Karl Leisner seligsprechen. Kirchenkritiker und Historiker fürchten, daß damit die Rolle der Kirche im Dritten Reich beschönigt werden soll ■ Von Bernhard Pötter
Der Höhepunkt des Papstbesuchs in Deutschland wird nur etwa 30 Sekunden dauern. Um 11.30 Uhr am 23.Juni, so das minutiös geplante Protokoll, wird der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky im Olympiastadion Papst Johannes Paul II. offiziell bitten, die Priester Bernhard Lichtenberg und Karl Leisner seligzusprechen. Das Oberhaupt der katholischen Kirche wird mit der Verlesung eines Dekrets antworten, das die Verehrung der beiden Märtyrer in ihren Heimatbistümern erlaubt. Damit, so der Berliner Weihbischof Wolfgang Weider, verkündet die Kirche „die feierliche Anerkennung eines Christenlebens als Orientierung zum Leben nach dem Evangelium“. Und drückt sich gleichzeitig um eine wirkliche Aufarbeitung ihrer Rolle in der Nazizeit, meinen Kirchenkritiker.
Denn für kritische KatholikInnen ist die Seligsprechung von Lichtenberg und Leisner „ein Ärgernis“, wie es Wolfgang Fleischbein von der Berliner „Initative Wir sind die Kirche“ formuliert. Zwar seien beide aufrechte Gegner des Nazi-Regimes gewesen, die zu Recht geehrt würden, „aber mit dem Feigenblatt Lichtenberg will die Kirche doch nur vom eigenen Versäumnis ablenken, nichts gegen Auschwitz getan zu haben“. Mit der Ehrung der Märtyrer solle „die eigene Schuld unter den Teppich gekehrt werden.“ Von Schuld und Verstrickung, von Kollaboration der Kirche mit den Nationalsozialisten, ist in den offiziellen Stellungnahmen zum Papstbesuch tatsächlich kaum etwas zu lesen. Nur versteckt kommt zur Sprache, daß die Kirche mehr hätte tun können gegen Terror, Krieg und Vernichtung. 51 Jahre nach Kriegsende liegt die Betonung bei der kirchlichen Vergangenheitsbewältigung immer noch auf den „vielen, die ihrem Gewissen folgten und gegen das Unrecht aufstanden“, wie es Weider ausdrückt.
In der Tat waren katholische Geistliche und Laien dem Terror der Nazis ausgesetzt. Von den 21.000 katholischen Priestern im Dritten Reich sind nach Angaben des Leipziger Historikers Ulrich von Hehl über die Hälfte in irgendeiner Form politisch verfolgt worden. „Mehr als 400 Priester“, so der Journalist und Kirchenkritiker Peter Hertel, „waren in KZ-Haft; 110 kamen um; weitere 59 wurden hingerichtet.“ Katholische Politiker und Prominente wie der Leiter der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium, Erich Klausener, oder Adalbert Probst aus der katholischen Jugendbewegung wurden ermordet, Zeitungen zensiert und verboten, Klöster geschlossen, Jugendverbände aufgelöst. KatholikInnen wandten sich aus religiösen Motiven gegen das Terrorregime der Nazis und bezahlten dies oft mit dem Leben. Doch die Aktionen blieben die Handlungen einzelner, eine allgemeine offizielle oder inoffizielle Widerstandshaltung der katholischen Kirche gab es nicht. Die Kirchenhistoriker und Theologen Georg Denzler und Volker Fabricius kommen in ihrem Buch „Die Kirchen im Dritten Reich“ zu dem Schluß: „Wenn Widerspruch und Opposition konstatierbar sind, handelte es sich um bewundernswerte Aktivitäten einzelner Christen, die aber, gerade weil sie von der kirchlichen Autorität weder animiert noch armiert worden sind, von der Hierarchie auch nicht als ,ihre‘ Widerstandskämpfer ausgegeben werden dürfen.“
Genau dies aber geschieht. Weihbischof Weider erklärt, es habe „eine Vielzahl von Menschen auch aus der Kirche gegeben, die in dieser Weise ihrem Gewissen gefolgt sind. Wenn man sich über die Stellung der katholischen Kirche ein Urteil bilden möchte, darf man das Leben und Leiden dieser Menschen nicht außer acht lassen.“ Deshalb zeigt die Kirche in Berlin in der Ausstellung „Die katholische Kirche und der Nationalsozialismus – Märtyrer und Zeugen aus Mitteldeutschland“ ihre Version der Geschichte. Aufgeführt sind die Schikanen und Verfolgungen gegen die Kirche, ihre Märtyrer und die Helfer verfolgter Menschen. Auf Schautafeln wird dem Betrachter gezeigt, welcher Angriffe sich der Katholizismus zu erwehren hatte. Mit Erfolg, so das einleitende Fazit des Jesuiten Max Pribilla: „Es ist Tatsache, daß der Protest der christlichen Kirchen gegen den Nationalsozialismus nach Inhalt und Form nicht so scharf und klar gewesen ist, wie wir es als Christen angesichts der ungeheuren Verbrechen in nachträglicher Rückschau wünschen möchten. Gleichwohl bleibt es wahr, daß das gläubige Christentum die einzige Macht war, über die der Nationalsozialismus nicht Herr geworden ist.“
Die Ausstellung zeigt die Kirche nur als Opfer: So wird ein Foto vom Koppelschloß eines Soldaten mit dem Eisernen Kreuz und der Gravur „Gott mit uns“ mit dem Kommentar versehen: „Mißbrauchte Symbole“. Kein Wort dagegen etwa vom „Katholischen Feldgesangbuch“ der Wehrmacht, in dem das „Gebet für Führer, Volk und Wehrmacht“ zu lesen war: „Segne die deutsche Wehrmacht, welche dazu berufen ist, den Frieden zu wahren und den heimischen Herd zu beschützen, und gib ihren Angehörigen die Kraft zum höchsten Opfer für Führer, Volk und Vaterland. Segne besonders unseren Führer und Obersten Befehlshaber in allen Aufgaben, die ihm gestellt sind.“ Konsequent ist dann für die Ausstellung auch die Übernahme des uferlosen Widerstandsbegriffs der Nazis für die Kirche, nämlich ihre Behautung, es habe kirchlichen Widerstand gegeben: „Der Nationalsozialismus“, so ein Literaturzitat, „sah in der Kirche ein Haupthindernis für die Durchsetzung seiner Ziele. Daher legte er es darauf an, sie zu vernichten. Die Reaktion der Kirche auf diesen Angriff bewertete das Regime als Widerstand.“
Von einem eigenständigen katholischen Widerstand, meint dagegen der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann, „könne man nicht sprechen.“ Es fehlte die Organisation und der Wille, die Regierung zu stürzen oder den Krieg zu sabotieren. Für ihn ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Dritten Reich ein „Konkurrenzverhältnis zweier Institutionen“. Tatsächlich habe die Kirche die Nazis bis zur Machtübernahme abgelehnt, sich dann aber nach alter Kirchenlehre schnell mit der weltlichen Obrigkeit arrangiert. Zum beiderseitigen Vorteil: Am 20. Juli 1933 schloßen Staat und Kirche den Staatsvertrag (Konkordat), das den Nazis nationales und internationales Renommee verschaffte und der Kirche ihre selbständige Rolle in Deutschland bis heute sichert. Zwar sei das katholische Milieu in Gegenden wie dem Eichsfeld oder in Südoldenburg stark genug gewesen, den Nazis kleine Siege abzuringen, aber einen Kampf gegen den Staat oder den Krieg habe es von katholischer Seite nicht gegeben. „Bis zum Kriegsende hat der Staat brav die Kirchensteuern überwiesen“, so Wippermann. „Was ist das für ein Widerstand, der sich vom Staat alimentieren läßt?“
Auch der Kampf von der Kanzel war bescheiden. Zwar verurteilte der damalige Papst Pius XI. in seiner Enzyklika „Mit Brennender Sorge“ vom 14. März 1937 den Rassenwahn der Nazis und den Terror gegen die Kirche, doch die Herausgabe der Enzyklika „Divini Redemptoris“ gegen die Gefahr des „Bolschewismus“ nur wenige Tage zuvor hatte die Mahnung aus Rom bereits relativiert – zumal die katholische Kirche 1937 im Spanischen Bürgerkrieg fest auf Seiten der Faschisten stand. Der Entwurf zu einer Enzyklika „Über die Einheit des Menschengeschlechts“, die Rassenhaß und Politik der Nazis mit klaren Worten verurteilte, verschimmelte seit 1938 in römischen Schubladen und wurde auch von PiusXII., dem Nachfolger von PiusXI., nicht in Umlauf gebracht.
In der deutschen Bischofskonferenz rangen einige wenige kritische Oberhirten vergebens mit der Mehrheit ihrer Amtsbrüder um ein klares Wort gegen die Verbrechen der Nazis. Lange herrschte totales Schweigen. „Kardinal Adolf Bertram von Breslau war über die Vernichtungsaktionen in Auschwitz, das in seiner Diözese lag, umfassend informiert“, meint Wippermann. Das Nichtstun resultierte aus antisemitischen Vorurteilen im Klerus und daraus, daß sich die Kirche für den Holocaust schlicht nicht zuständig fühlte: Die Juden gehörten nicht zu ihren Schäfchen. Selbst verfolgte KatholikInnen konnten kaum mit Rückendeckung ihrer Oberhirten rechnen. Noch 1936 zeigte sich Bischof Berning von Osnabrück nach einem Besuch von KZs mit den Einrichtungen zufrieden und lobte die SS- Wachmannschaften für ihren Dienst. Für die verfolgten Roma und Sinti, so Wippermann, „tat kein Bischof etwas. Dabei waren sie alle katholisch.“
Erst am 19. August 1943 bezog die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem Hirtenbrief zu den Zehn Geboten unter das Verbot „Du sollst nicht töten“ auch die Juden ein: „Tötung an sich ist schlecht, an Geistesschwachen, an unheilbar Siechen und tödlich Verletzten, an unschuldigen Geiseln und entwaffneten Kriegs- und Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung.“
Wenige Oberhirten hoben sich von der schweigenden Masse so ab wie der Münsteraner Kardinal Clemens August Graf von Galen, der sich in drei aufsehenerregenden Predigten 1941 gegen den Mord an Kranken und Schwachen aussprach und offen Anzeige erstattete. Für den „Löwen von Münster“ läuft bereits seit 1956 ein Seligsprechungsprozeß, ein Ende ist nicht abzusehen. Die Verzögerung hat für den Kirchenkenner Peter Hertel einen einfachen Grund. In der Zeitschrift Publik Forum schreibt er: „Merkwürdig ist es schon, daß Priester und Ordensleute seliggesprochen werden, nicht aber der damalige Bischof von Münster.“ Wenn nämlich das geschehe, „würde sich auch die Frage nach der unseligen Haltung vieler anderer Bischöfe stellen.“
Für eine schonungslose Aufarbeitung der Kirchengeschichte im Dritten Reich plädiert auch Alexander Groß. Der Sohn eines von den Nazis ermordeten katholischen Widerstandskämpfers wandte sich im letzten Jahr gegen die „drohende Seligsprechung“ seines Vaters. „Wichtiger, als mit Hilfe von Seligsprechungen dieser dunklen Geschichte Deutschlands und auch der Kirche zu begegnen, ist eine schonungslose Aufarbeitung der eigenen Praxis. Dazu gehören die Öffnung aller Archive und ein vorbehaltloser öffentlicher Dialog um Personen, Ereignisse und Entscheidungen. Vor allem fehlt der Kirche eine wirkliche Auseinandersetzung um ihre Haltung und (in)direkte Mitwirkung beim Holocaust.“ Zur Seligsprechung von Lichtenberg und Leisner bemerkt Groß: „Sicher ist es keine Frage, ob beide reif für eine Seligsprechung sind. Die Frage ist: Ist die Kirche reif, sie seligzusprechen?“
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