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Astrales Reisen dank Forza Italia

In Norditalien hat sich die New-Age-Sekte der Damanhurianer in Tempeln eingenistet  ■ Von Colin Goldner

In unserem Labor arbeiten wir an Techniken zur Steuerung der Wiedergeburt. Erst unlängst konnten wir ein verstorbenes Mitglied unserer Kommune bewußt zurückrufen, es befindet sich jetzt als Kind wieder unter uns.“ In munterem Plauderton redet Oberto Airoudi von synchronischen Energien und astralem Bewußtsein, von kosmischen Gesetzen, Alchimie, vom geheimen Wissen der alten Ägypter, das das Zurückholen der Seele eines Verstorbenen zum Kinderspiel mache.

Airoudi, 45, in Italien weithin als Wunderheiler bekannt, hat vor über 20 Jahren seine florierende Praxis in Turin aufgegeben und ist mit einem Grüppchen Gleichgesinnter in die Gegend von Ivrea, gut eine Autostunde nördlich der piemontesischen Hauptstadt, gezogen. Mitten in der tiefsten Provinz Norditaliens liegt das „bedeutendste Kraftzentrum“ der Welt: Gleich vier der geheimnisvollen Energiemeridiane, die, wie Airoudi erläutert, die Erde als Netz pulsierender Adern umgürten, laufen hier im Tal von Valchiusella zu einem Knotenpunkt zusammen.

Nach und nach wurde das „magische Kraftareal“ zusammengekauft. 1975 gründete Airoudi die „Spirituelle Gemeinschaft von Damanhur“. Über 700 Adepten leben auf dem rund 185 Hektar großen Gelände. Damanhur, die „Stadt des Lichts“, gilt als größte esoterische Kommune der Welt. Sie verfügt über eine straffe Organisation mit eigener Regierung, Gerichtswesen, Sicherheitsdienst, Feuerwehr. Vom Kindergarten bis zur università wird die Ausbildung des Nachwuchses geregelt. Es gibt eine Zeitung, einen TV-Sender, eigenes Geld, selbst eine Geheimsprache.

Die Kommune lebt verstreut auf rund 60 Häuser. Auf den Wegen begegnet man Symbolen jeder erdenklichen Okkulttradition. Vor allem Horus, altägyptischer Gott des Lichts und des Wissens, taucht in vielerlei Gestalten auf. Dazu indianische Totempfähle, keltische Thingsteine, Statuen griechischer Götter und Satyrn. Auf einer Anhöhe liegt der „Offene Tempel“, eine Art griechischer Agora mit zwei Säulenreihen. Rituale mit geheimgehaltener Bedeutung werden hier zelebriert: „Außenstehende würden das sowieso nicht verstehen“, meint Airoudi.

Die meisten Damanhurianer sind in eigenen Betrieben tätig, in denen Stoffe und Naturkostlebensmittel produziert werden. Die Hälfte des Verdienstes wird an die Kommune abgeführt. Über die „normale“ Arbeitszeit hinaus hat jedes Mitglied auch Gemeinschaftsdienst zu verrichten. Rauchen ist den Damanhurianern streng verboten, Alkohol hingegen fließt reichlich. Um „mit der animalischen Energie des Kosmos in Einklang“ zu kommen, wie Airoudi beim Mittagessen in der Kantine erklärt, stünden Tiere nicht nur auf dem Speiseplan – es gibt Buletten mit Röstkartoffeln –, sie würden auch als Totems herangezogen: Beim Eintritt in die Kommune nimmt jedes neu hinzugekommene Mitglied den Namen eines zu ihm passenden Tieres an. Damanhurianer sprechen einander als Jaguar, Giraffe, Frettchen, Kobra oder Oktopus an.

Makaka, eine frühere Musiklehrerin aus Münster, lebt schon seit zehn Jahren in der Kommune. Wie sie erklärt, erfordere der Eintritt eine mehrjährige Vorbereitungszeit, während der man Schritt für Schritt in die Geheimnisse Damanhurs eingeführt werde. Dem „Nichteingeweihten“ erscheinen diese als krude Mixtur aus theosophisch-spiritistischen Welterrettungslehren und New-Age-esoterischem Budenzauber. Auch die über 150 Schriften Airoudis helfen nicht weiter. Titel wie „Morire per Imparare“ (sterben, um zu begreifen) bleiben ebenso unergründlich wie die Damanhur-Lehre von den „spiralenergetischen Kräften des Self“. Aufbauend auf den orgodynamischen Experimenten Wilhelm Reichs mit „Lebensenergie“ entwickelte Airoudi verschiedenste Spiralgebilde aus Kupferdraht zur „Reinigung von Negativität“. Als Arm- oder Halsband getragen, sollen sie vor Krankheiten schützen.

Oberto Airoudi stammt aus der Gegend von Turin. Die Hauptstadt Piemonts galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Metropole des europäischen Okkultismus. Spiritisten und Mesmeristen trieben hier ihr Unwesen, der Vatikan erklärte Turin gar zur „Stadt des Teufels“. Ende des Jahrhunderts ließ sich die „Theosophische Gesellschaft“ hier nieder, deren abstruses Konstrukt aus Esoterik und rassistischen Wahnideen bis heute noch spürbar ist.

Airoudi soll schon als Jugendlicher eine besondere Neigung zu Magie und Okkultismus gezeigt haben. Im Alter von 17 Jahren veröffentlichte er seine erste Schrift „Cronaca del Mio Suicido“ (Chronik meines Selbstmordes), eine Ansammlung ziemlich morbider esoterischer Hirngespinste. Mit knapp 20 betrieb er bereits eine erfolgreiche Praxis als „Pranotherapeut“ – eine Art Handaufleger.

Unlängst erst kam ans Licht, daß der Aufbau einer autonomen Kommune nur zweckdienliches Mittel war zur Errichtung der „Stadt des Lichts“. Damanhur, benannt nach einer altägyptischen Stadt mit unterirdischer Tempelanlage, hat in 18 Jahren selbst eine unterirdische Tempelanlage geschaffen, deren Dimension alles Vorstellbare sprengt: ein gigantischer, in einen Berg getriebener Komplex von Geheimgängen, Kammern, Krypten und Hallen, ein über 3.500 Quadratmeter großes labyrinthisches System, das, von außen durch nichts erkennbar, der Höhe eines elfstöckigen Hauses entspricht.

Der verborgene Eingang führt zunächst in ein kleines Gewölbe, bedeckt mit ägyptischen Hieroglyphen und Wandmalereien. Über eine Taschenfernbedienung öffnet Airoudi eine tonnenschwere Geheimtür mitten in einem Fresko: ein enger Korridor, handbemalt mit esoterischen Symbolen und Ideogrammen, verwinkelte Treppen und Abstiege. Plötzlich steht man in einem marmorverkleideten Raum im Stile einer pharaonischen Grabkammer. Eine Geheimtür im Boden gibt den Weg frei zu einem gewundenen Korridor, der in einen kreisrunden Saal hinabführt. Dieser „Saal des Wassers“ ist vollends mit Symbolen, Allegorien und Geheimzeichen bedeckt. Überwölbt wird der Raum von einer Kuppel aus blauem Tiffany-Glas. Es gibt auch noch einen „Saal der Metalle“ und einen „Erdsaal“, geweiht dem „männlichen Prinzip“. An den Wänden Fresken des „neuen Menschen“ – Arno Breker läßt grüßen. Von seiner „Vision“, so Airoudi, wurde bislang erst etwa ein Zwölftel umgesetzt.

In einem angrenzenden Laboratorium werden die Reinkarnationsexperimente durchgeführt. Laut Airoudi sei es bereits mehrfach gelungen, verstorbene Mitglieder Damanhurs in Gestalt neugeborener Babies in die Gemeinschaft zurückzuholen. Ein weiteres Labor beinhaltet eine angeblich funktionierende „Zeitmaschine“, die Ausflüge in Vergangenheit und Zukunft ermögliche. Die Frage nach einer praktischen Vorführung wird demonstrativ ignoriert.

Auch wenn das Labyrinth rituellen Zusammenkünften dient, scheint der Bau selbst das Wesentliche und Treibende der Gemeinschaft von Damanhur zu sein: die Konstruktion einer gigantischen „selfischen Energiespirale“ zur „Wiedereinswerdung der Menschheit mit ihrem göttlichen Ursprung“. Die Existenz der unterirdischen Tempelanlage wurde bis vor kurzem geheimgehalten. Nicht einmal die Einheimischen aus Valchiusella wußten davon. Bis ein Exmitglied die Behörden informierte. Auf Betreiben der katholischen Kirche soll der Tempel nun zerstört oder in eine Touristenattraktion umgewandelt werden.

Die Menschen in den Dörfern rund um Damanhur wollen mit der spirituellen Kommune nicht viel zu tun haben. „Lauter Verrückte“, sagt Césare am Tresen der einzigen Kneipe im Nachbarort. Die Umstehenden nicken, einer murmelt etwas von maledetti, und eine alte Frau schlägt verstohlen ein Kreuz. Die katholische Kirche bezichtigt Damanhur „unmoralischer und satanischer Praktiken“, die Monsignore Luigi Bettazzi, Bischof der zuständigen Diözese Ivrea, auf Anfrage aber nicht zu erläutern bereit ist. Die „Sekte“ müsse einfach weg. Basta.

Obwohl das Geifern der Kirche den Damanhurianern Sympathien einbringt, steht man nach dem Tempelbesuch ratlos da. Harmlose Spinner, Weltverbesserer oder totalitär strukturierte Psychoausbeutersekte wie die von L. Ron Hubbard, Otto Mühl oder Osho Rajneesh? Ist Airoudi so etwas wie Shoko Asahara oder David Koresh? Auch die neue Regierung in Rom ist ratlos: Der zuständige Minister müsse sich erst in die Sache einarbeiten. Und das dauert. Zumal, wie gemunkelt wird, Damanhur sich der Unterstützung der Forza Italia erfreut, rechtsgerichteter Kreise um Silvio Berlusconi.

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