: Spitzentechnologie, an der Blut klebt
■ Im neuen Jahresbericht fordert amnesty international eine stärkere Kontrolle des Exports von Waffen und Folterinstrumenten. Diese werden durch technologischen Fortschritt weltweit immer raffinierter
Berlin (taz) – „Sie wollten den Rhythmus des Gefangenen durcheinanderbringen, ihn mehrmals täglich aufwecken und ihm Mahlzeiten vorsetzen, damit er völlig die Orientierung verliert. Wer bis dahin nicht geredet hatte, tat es spätestens im Freudenhaus“, sagt ein Zeuge über die Praxis einer Sondereinheit der Polizei im arabischen Emirat Dubai.
Das „Freudenhaus“ ist eine Folterkammer: „eine speziell konstruierte Zelle, die mit einem extrem leistungsstarken Lautsprechersystem, einem weißes Rauschen erzeugenden Generator und einer Vorrichtung ausgestattet war, mit der synchronisierte stroboskopische Lichteffekte in einer Frequenz erzeugt werden konnten, die extremes Unwohlsein erzeugt“. Die Kammer kommt aus Großbritannien. Keine Exportkontrollvorschrift verhinderte 1990 die Lieferung.
In der Türkei werden Militärfahrzeuge aus Deutschland, Rußland, Großbritannien für die Kriegführung in Kurdistan eingesetzt. „Die Fahrzeuge haben es den Sicherheitskräften der Türkei ermöglicht, in entlegene kurdische Ortschaften vorzugehen. Dorfbewohner wurden in den Fahrzeugen abtransportiert, von denen einige seitdem als verschwunden gelten.“
Der Tschad, in dem die Beamten der Sicherheitsbehörde ANS laut amnesty für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, wird von China, Frankreich und den USA mit Waffen und Ausrüstungsgegenständen versorgt. Allein die USA genehmigten 1995 nach eigenen Angaben Rüstungsverkäufe an den Tschad für über 3,7 Millionen US- Dollar.
Das sind nur drei Beispiele von vielen, die amnesty international, 1961 als Gefangenenhilfsorganisation gegründet, jetzt dazu bewegen, vom bisherigen Konzept der Menschenrechtsarbeit abzuweichen. Galt bis jetzt der Ansatz, „daß Regierungen in ihrem Land die Wahrung der Menschenrechte sicherzustellen haben“, gilt die Aufmerksamkeit von ai „nunmehr auch den zwischenstaatlichen Beziehungen und dem Handeln einflußreicher Akteure auf der internationalen Bühne, bei denen es sich nicht um Regierungen handelt“. Daher fordert ai alle Regierungen auf, „Rüstungsexporte, Ausbildungs- und Ausstattungshilfen sowie die Lieferung von Technologien auf militärischem, polizeilichem und sicherheitstechnischem Gebiet dann zu unterlassen, wenn damit gerechnet werden muß, daß sie im Empfängerstaat zu Menschenrechtsverletzungen beitragen können“.
Dabei bemerkt ai in besonderem Maße, wie der Boom von sogenannter „Sicherheitstechnik“ in den westlichen Ländern sich direkt auf die Foltermethoden woanders auswirkt. Insbesondere die Folter mit Elektroschocks erlebt eine ungeahnte Renaissance, seit in vielen Ländern, etwa auch in Deutschland, derartige Folterinstrumente zur „Selbstverteidigung“ gänzlich auflagenfrei verkauft werden dürfen – und natürlich auch exportiert werden. China bekam nur ein Jahr nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 von einer britischen Firma Elektroschlagstöcke als Muster geliefert und gehört seitdem zu den größten Anbietern solcher Geräte – und den größten Anwendern. „Übergriffe mit Elektroschlagstöcken, dort als dianji gun bezeichnet, [zählen] zu den häufigsten und im Grunde an allen Haftorten praktizierten Foltermethoden. Oftmals versetzt man den Opfern die Stromstöße an besonderes empfindlichen Körperteilen wie Armbeugen, Nacken, Gesicht, Fußsohlen Ohren, innerer Mundbereich, Genitalien, Vagina.“
In 114 Staaten, so zählt ai im gestern vorgelegten Jahresbericht 1996, wurden Gefangene gefoltert und mißhandelt, in 54 Staaten starben Menschen an den Folgen der Folter. Die Zahl dieser Todesopfer ist zwischen 1994 und 1995 von 1.000 auf 4.500 gestiegen. In 63 Ländern beklagt ai staatliche Morde, die Praxis des „Verschwindenlassens“ in 49 Ländern. Bernd Pickert
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