Heute will das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum Großen Lauschangriff beschließen. Mit dem Ziel der Verbrechensbekämpfung erlaubt er den Eingriff des Staates in die Privatsphäre der BürgerInnen. Ihre Wohnungen, die laut Grundgesetz bishe

Heute will das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum Großen Lauschangriff beschließen. Mit dem Ziel der Verbrechensbekämpfung erlaubt er den Eingriff des Staates in die Privatsphäre der BürgerInnen.

Ihre Wohnungen, die laut Grundgesetz bisher als unverletzlich galten, dürfen nun abgehört werden.

Der Polizist als Einbrecher

Gläubige Katholiken setzen auf eine Pilgerfahrt nach Lourdes, die Bonner Koalitionäre auf den Lauschangriff: Der pure Glaube soll wahre Wunder bewirken. Nach einer jahrelangen, auch in der Bundesregierung heftig geführten Kontroverse, haben sich CDU/CSU und FDP jetzt auf die Einführung des Großen Lauschangriffs zur Verbrechensbekämpfung geeinigt. Das Bundeskabinett will heute einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschieden, er soll anschließend noch vor der parlamentarischen Sommerpause dem Bundestag zugeleitet werden.

Staatsanwälten und Ermittlern soll künftig an die Hand gegeben werden, im Rahmen der Strafverfolgung auch die Privatwohnungen verdächtigter Personen mit elektronischen Geräten überwachen zu dürfen. Der Absicht steht bisher das Grundgesetz entgegen. Deshalb beabsichtigen Union und Liberale nach der Beschneidung des Asylrechtsparagraphen nun auch den Artikels 13 des Grundgesetzes aufzuweichen, in dem die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ festgeschrieben steht.

Zwar hegen auch Kriminalisten und Polizeiexperten massive Zweifel an der Wirksamkeit des Lauschangriffes. Die hindern die Kabinettsmitglieder aber nicht, den Artikel 13 um die Formulierung zu ergänzen: „Zur Verfolgung im Gesetz einzeln bestimmter schwerer Straftaten dürfen aufgrund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen eingesetzt werden.“

Der staatliche Einbruch in die Privatsphäre seiner BürgerInnen, das heimliche Aufzeichnen von Gesprächen in Privaträumen, wird vor allem von der Union seit vielen Jahren zum Allheilmittel im Kampf gegen organisierte Kriminelle verklärt. Verdrängt werden aber die Erfahrungen der Polizei, daß sich kriminelle Organisationen ohne größere Mühe einer elektronischen Überwachung von Kneipenhinterzimmern, Bordellen oder Hotelsuiten (die nach dem Gesetz zu den Privaträumen zählen) entziehen oder selbst mit moderner Elektronik eine Überwachung verhindern können.

Der heutigen Entscheidung im Kabinett ist eine Verständigung zwischen Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) und dem Bonner Innenminister Manfred Kanther (CDU) am vergangenen Donnerstag vorausgegangen. Die beiden Minister vereinbarten, die Zulässigkeit eines Lauschangriffs an den Verdacht auf bestimmte schwerwiegende Straftaten zu koppeln und an eine Genehmigung durch eine dreiköpfige Landgerichtskammer zu binden. Der Anordnungszeitraum für die Überwachung soll höchstens vier Wochen betragen, er kann aber unter den gleichen Voraussetzungen um jeweils einen Monat verlängert werden.

Unter die Straftaten, die den Großen Lauschangriff rechtfertigen sollen, fallen etwa Mord und Totschlag, Menschenhandel, Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz, auch Geld- und Wertpapierfälschungen. Neben der Zugehörigkeit zu einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung sollen aber auch Verstöße gegen das Ausländer- und Asylverfahrensgesetz den Einsatz elektronischer Wanzen legitimieren.

Jahrelang hatte sich die FDP der Einführung des Lauschangriffes aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen verweigert. Vor allem der Bürgerrechtsflügel der Liberalen um die frühere Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vertrat die Auffassung, den Fahndern stünde bereits ein ausreichendes Instrumentarium für die Kriminalitätsbekämpfung zur Verfügung. Leutheusser und ihre Freunde unterlagen aber in einer parteiinternen Urabstimmung, in der sich die Mehrheit der FDP für die neue Polizeibefugnis aussprach.

Während Bündnis 90/Die Grünen sowie die PDS den Großen Lauschangriff rigoros ablehnen, enthält der Kabinettsentwurf auch einige Vorstellungen der Sozialdemokratie, die gegen den Lauschangriff keine prinzipiellen Einwände erhebt. Dazu gehört etwa die Regelung, nach der die Betroffenen nach Abschluß der Überwachung unterrichtet werden müssen. Auch soll die Rechtmäßigkeit des Wanzeneinsatzes vor Gericht angezweifelt werden können. Den SPD-Vorstellungen entspricht auch die im Entwurf enthaltene Verpflichtung der Bundesregierung, einmal jährlich Bericht über die beantragten und durchgeführten Maßnahmen zu erstatten.

Der Kabinettsentwurf dürfte den Bundestag dennoch nicht ohne weiteres passieren. Für eine Grundgesetzänderung benötigt die Koalition eine Zweidrittelmehrheit. Die Sozialdemokraten haben ihre Zustimmung aber an eine Ausweitung der gesetzlichen Regelungen zur Beschlagnahme illegal erworbenen Vermögens gekoppelt. Im Mittelpunkt steht dabei die Forderung nach einer sogenannten Beweislastumkehr – das heißt, im Verdachtsfall müßte der Besitzer den legalen Ursprung seines Vermögens nachweisen. Dieser Vorschlag wird in den Reihen der FDP aber als Anschlag auf das Eigentumsrecht gewertet und vehement abgelehnt. Wolfgang Gast