: Der große Soundangriff
Nur Dauerregen könnte das akustische Inferno stoppen: In zwölf Stunden treten heute bei der Fête de la Musique 200 Bands auf 20 Bühnen auf ■ Von Daniel Bax
Ob Love Parade, Berlin-Marathon oder Christopher Street Day, ob Karneval der Kulturen oder Heimatklänge-Festival – Berlin ist wirklich nicht arm an attraktiven Outdoor-Großereignissen, und jährlich werden es mehr. Nun also die Fête de la Musique. Das populäre Musikfest wurde vor 13 Jahren vom damaligen französischen Kulturminister und Mediendarling Jack Lang ins Leben gerufen, um aller Welt zu zeigen, daß auch auf dem Boden der Grande Nation international konkurrenzfähige Musik produziert wird.
Das kultur-protektionistisch gemeinte Spektakel mutierte rasch zum musikalischen Mammut- Open-air mit weltumspannenden Dimensionen, das rund um den Globus Freunde und Nachahmer fand – mittlerweile in mehr als 80 Städten. In diesem Jahr wird das Festival erstmals in Prag, Budapest und in Manila (!) starten – da dürfen die chronisch frankophilen Preußen nicht abseits stehen.
Hinter der Riesenparty stehen die Ereignisproduzenten Simone Hoffmann und Matthias Maurer alias „Das Büro“, die bereits als Organisatoren des Kreuzberger Kulturkarnevals Event-Erfahrungen sammeln konnten. Dieser zeigte unlängst allerdings, daß karibische Karnevalsstimmung nicht ohne weiteres vom Londoner Stadtteil Notting Hill auf märkischen Boden verpflanzt werden kann. Und selbst Berliner Eigengewächse wie der alljährliche Techno-Taumel auf dem Ku'damm brauchten bekanntlich ihre Zeit, um vom Insidertip zur Massenorgie mit Kultstatus zu werden. Nun muß sich zeigen, ob die steifen Teutonen auch ohne Techno zum spontanen Tanz auf der Straße zu bewegen sind.
Die „Fête de la Musique“-Veranstalter gehen vorsorglich in die vollen: 200 Bands treten auf 20 Bühnen an, um dem Sommerstart den richtigen Kick zu geben – und das mehr als 12 Stunden lang: höher, schneller, lauter. Um den Publikumserfolg zu garantieren, entschieden sich die Feteschisten für eine unfehlbare Taktik: die Umzingelung. Selbst der ahnungsloseste Großstädter hat kaum eine Chance, dem Megamusikfest zu entkommen. Ob Rosa-Luxemburg-, Mariannen- oder Alexanderplatz, sogar die Freiflächen am Anhalter Bahnhof, am Lustgarten und natürlich am Brandenburger Tor, alle strategisch wichtigen Punkte der Stadt werden an diesem Freitag mit Bühnen verrammelt und von diversen Bands beschallt, und nur Dauerregen oder ein plötzlicher Riesenstromausfall könnten das akustische Inferno jetzt noch stoppen.
Alle musikalischen Stilrichtungen sind vertreten, doch damit das Ganze nicht in einer gigantischen Kakophonie endet, wurde allzu Unvereinbares räumlich getrennt: Funk und HipHop nach Kreuzberg, Klassik ins Podewil, Jazz in den Lustgarten und Klezmer- Klänge als gehobene Unterhaltung in die Hackeschen Höfe.
Spannend bestückt sind besonders die Schöneberger Stationen zwischen Nollendorfplatz und Winterfeldtmarkt – Depressive Age, Michele Baresi, Element of Crime und die Space Hobos geben sich hier ein Stelldichein. Auch das lesbisch-schwule Straßenfest wurde wegen terminlicher Überschneidung kurzerhand in die Musikfete eingemeindet. Hörenswert ist sicher auch die zwölfstündige „Drum total“-Trommelsession auf dem Käthe-Kollwitz-Platz, und die Abschlußparty in der Treptower Arena will die kürzeste Nacht des Jahres zum Tag machen.
Wegen des kosmopolitischen Anspruchs hat man sich Franzosen-Formationen wie Love Bizarre und Silmarils ins Boot geholt. Im Aufgebot erscheint jedoch überwiegend einheimische oder regionale Prominenz: VIVA-Bekannte à la Halmakenreuther und Fritten und Bier oder Lokalmatadore wie Peacock Palace, Bindemittel, Luchten, Cookie Factory und die Reality Brothers. So wirkt das Feten-Line-up streckenweise wie eine Art „Clubs United“ im Freien – was den Machern durchaus bewußt ist: „In Zukunft soll der Austausch zwischen den einzelnen Städten aber verbessert werden“, versprechen die „Büro“-Menschen.
Heute ab 10 Uhr, Infos unter Tel.: 4494245 und 2316575
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