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Der kurze Riese ist müde

■ Das 12. Internationale Kurzfilmfestival ging am Wochenende mit den Preisverleihungen zu Ende / Fazit des Marathons: Der Kurzfilm boomt

Ganz automatisch wird ein gutgehendes Festival immer größer, und so konnte Markus Schaefer, Geschäftsführer der kurzfilmagentur hamburg, bei der Preisverleihung zum 12. Internationalen Kurzfilmfestival in der überfüllten Markthalle denn auch 18.000 Zuschauer an sechs Spielstätten und fünf Tagen vermelden, und Moderator Philipp Mummenhoff bereitete auch die adäquate englische Moderation kein Problem.

Den Tenor gab Independent-Filmer und No-Budget-Juror Mike Kuchar vor: „Es war eine Freude, 70 Filme zu sehen, doch es ist sehr schwer, einen Sieger zu wählen. Es gibt immer mehrere Meisterwerke.“ Das sollte – bei insgesamt 270 Filmen – im Lauf des Abends noch öfter kommen, die Entscheidung, den ersten Preis zu splitten und eine ganze Reihe von Filmen zumindest mit einer „Mention“ zu ehren.

Scheinbar ganz entschieden ging es bei dem durch Zuschauerentscheid erwählten Förderpreis für die Fresh Hamburg Shorts zu. Da war Neulich am Deich von Janek Rieke preisgekrönt worden, der in perfekten Filmbildern und ständiger Spannung eine Geschichte um paranoide Landeier bot. Sein Preis war es dann allerdings nicht ganz: Noch vor Mitternacht stellte sich heraus, daß die Stimmen aus dem 3001-Kino vergessen worden waren, und insgesamt sollte es Sensin – Du bist es! von Fatih Akin sein, der deutlich spielerischer und komödiantischer ähnliche Männer-Probleme um Traumfrau oder nicht aufbereitete wie sein Mitbewerber. Der Preis wurde also geteilt.

Nachdem es die ersten Buh-Rufe gegeben hatte, weil No-Budget-Jurymitglied Peter Sempel der mit einer Erwähnung geehrten Hamburgerin Jenny Ramcke als Präsent das Heft zu „meinem Film Just Visiting This Planet überreichte, wurde der No-Budget-Preis zu gleichen Teilen an den sudanesischen Film Insan von Ibrahim Shaddad und an Prairie Storm von Don Maxwell vergeben, der – pc-mäßig untermalt mit indianischer Musik – einen Gewittersturm über Grasmeeren zeigt. Gewitzter war der zweite Preis: Lisa and Jean von Miles Chalcraft (Foto).

Drei Preise vergab die internationale Jury: den Animationspreis – Tyron Montgomerys brillantem Quest zugesprochen, der die tragikomische Reise eines gebackenen Männchens durch Horrorwelten auf der Suche nach Wasser zeigt –, den Großen Preis und den Francois-Ode-Sonderpreis. Auch beim Großen Preis teilten zwei Filme sich den ersten Rang: National Achievement Day von Ben Hopkins, der nicht wiederholt wurde, und Reconstruction von Laurence Green aus Kanada. In ruhigem Erzählton schildert hier ein Ich-Erzähler, wie das Glück seiner Familie, das man in Ferienbildern aus den 60ern sieht, durch eine Lüge erst unterspült, dann zerstört wurde: Die kleine schwarze Schwester war kein Adoptivkind, sondern Ergebnis eines Seitensprungs. Ein stiller Film, der einen unmerklichen Sog ausübt und ein Höhepunkt des Abends war.

Das war auch The Beach der Neuseeländerin Dorthe Scheffmann über eine Frau, die angesichts ehemännlicher Gewalt den richtigen Tritt tut. Er erhielt den F.-Ode-Sonderpreis. Die Publikumspreise gingen dagegen eher an Humoriges: Den des Wettbewerbs erhielt 35 Aside des Iren Damien O'Donnell, und den Preis des „Flotten Dreiers“ für Filme unter 3 Minuten bekam die mirabellenklauende Oma aus Bettina Schoellers Mit Mutti ins Paradies zugesprochen. Subtil-böserer Humor machte schließlich Raymond Boys Feengeschichte Ein einfacher Auftrag aus, der spät in der Nacht den mit 20.000 Mark dotierten Premiere-Preis erhielt.

Die Leute sahen müde aus, aber glücklich. Was braucht es auch mehr: spannende Filme, fähige Jurys und das Fazit, daß der Kurzfilm – trotz seiner Abwesenheit im Kino – quietschlebendig ist. Vielleicht hätte es eher weniger gebraucht. Als Riese kann das Kurzfilmfestival jede Bulimie befriedigen. Kleinere Appetite laufen allerdings Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Thomas Plaichinger

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