: Die alte Kraft der Pseudonyme
■ Mit 63 Jahren Verspätung ist das Märzheft der „Weltbühne“ von 1933 am historischen Druckort erschienen
„Charlottenburg – Kantstr. 152“ hieß die Verlagsadresse der berühmten Wochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, Die Weltbühne. Hergestellt und ausgeliefert wurde das Blatt jedoch durch eine Druckerei von Edmund Stein in der Potsdamer Hegelallee, die heute von der Enkelin des damaligen Druckereibesitzers geleitet wird. Dort ist jetzt mit 63jähriger Verspätung das Heft vom 14. März 1933 neu gedruckt worden, das – bis auf den Leitartikel – bereits vollständig zusammengestellt war, dann aber wegen des Wahlsiegs der Nazis vom 5. März nicht mehr erscheinen konnte.
Die Druckfahnen des Heftes haben die Mitarbeiter der Tucholsky-Blätter vor zwei Jahren im Nachlaß des ehemaligen Tagesspiegel-Herausgebers und Publizisten Walther Karsch gefunden, der für dieses letzte in Deutschland erschienene Heft der Weltbühne verantwortlich war. Herausgeber ist der 81jährige Peter Jacobsohn, dessen Vater Siegfried die Zeitschrift 1905 unter dem Namen Die Schaubühne gegründet hatte.
In der Weimarer Republik veröffentlichten Autoren wie Döblin, Kisch, Hofmannsthal, Tucholsky und Arnold Zweig in der linksliberalen Zeitschrift, die seit 1927 von Carl von Ossietzky geleitet wurde. Als das Heft 11/1933 der Weltbühne erscheinen sollte, war von Ossietzky schon in Haft. Hermann Budzislawski, der seit den zwanziger Jahren für die Weltbühne vor allem Beiträge zu ökonomischen Themen schrieb, führte die Zeitschrift von 1934–40 im Prager Exil als Neue Weltbühne fort.
Von 1967–71 sollte Budzislawski noch einmal Herausgeber der Weltbühne werden, die nach dem Krieg neugegründet worden war. Damals war die einst streitbare linksliberale Wochenschrift jedoch schon zum angepaßten DDR- Staatsmedium für das anspruchsvolle Publikum verkommen. Unter dem Nachfolger Budzislawskis, Peter Theek (1942: NSDAP, 1946: SED) durfte Peter Hacks etwa die Ausbürgerung Biermanns bejubeln. Und als 1988 die Schüler der Ossietzky-Schule in Pankow wegen einer kritischen Wandzeitung relegiert wurden, ließ sich die Weltbühne mit keiner Zeile darüber aus. Nach 1989 holte das Blatt die versäumte Renitenz mit Formulierungen wie „Luther der Archive“ (für Joachim Gauck) nach.
Peter Jacobsohn, der in den USA lebt, klagte 1993 mit Erfolg die Titelrechte für die Weltbühne ein, und die Zeitschrift, inzwischen unter der Obhut der Aufbau-Verlagsgruppe, mußte ihren Betrieb einstellen.
Das jetzt vorliegende Heft vom März 1933 enthält keine publizistischen Sensationen, als Zeitzeugnis ist es jedoch allemal interessant. Der Tradition der Zeitschrift und dem Gebot der Zeit entsprechend, veröffentlichen viele Autoren unter Pseudonym: Thomas Tarn alias Fritz Sternberg, Beiträger seit 1931, eröffnet das Heft im Anschluß an den verschollenen Leitartikel, der vermutlich von Ossietzky kommen sollte. Sternbergs Beitrag über die Wahlen vom 5. März ist die Zurückhaltung anzumerken. Der Artikel besteht fast nur aus Statistik, die seltenen Wertungen werden mit Zitaten aus der noch nicht „gleichgeschalteten“ Presse unterlegt.
Neben Texten von Asiaticus über den Bauernkrieg in China (d. i. Heinz Grczb, der seit 1919 über die Türkei und China in der Weltbühne schrieb) und von Ulrich Schweitzer über die politische Rolle der Bauern in Deutschland findet sich im vorliegenden Heft ein interessanter Artikel von Quietus (Pseudonym nicht entschlüsselt) über die Literaturgeschichte von Paul Fechter. Dessen Buch ist ein Beispiel für die Bereitwilligkeit, mit der sich zahlreiche Intellektuelle dem neuen Zeitgeist verschrieben hatten.
Fechter bemängelt etwa an Thomas Mann, daß in „dessen Adern von mütterlicher Seite her südamerikanisches Blut“ fließe und er „dadurch noch mehr von den Beziehungen zur Allgemeinheit ausgesondert ist als durch sein persönliches, hanseatisches, auf Distanz und Haltung gestelltes Wesen“. Der Rezensent empfiehlt dem Literarhistoriker: „Er mag sich nächstens Ackererde in sein Arbeitszimmer schaffen.“
In den Druckfahnen der Weltbühne 11/33 fand sich auch ein zuvor unbekanntes Gedicht von Erich Kästner („Frau Pichlers Ankunft im Himmel“), in dem er „Frau Pichler“ wie beiläufig von ihrem Tod erzählen läßt. In den Straßen eskalieren die Auseinandersetzungen zwischen den Wahlkampfparteien, eine verirrte Kugel trifft Frau Pichler, als sie auf dem Balkon steht: „Wenn ich nicht gestorben wär, / würden wir jetzt abendessen ...“
Aber nicht allein die redaktionellen Beiträge wird die Stimmung jener Zeit vor über sechzig Jahren transportiert, sondern auch in den Rundfunkhinweisen, den Antworten der Redaktion auf Briefe und den Anzeigen auf dem Umschlag. Eine Dame aus Bremen etwa bietet kostenlose Auskunft über ein Mittel an, mit dem es ihr gelungen sei, in kurzer Zeit 20 Pfund leichter zu werden. Allerdings heißt die Dame Karla Mast. Für den 8. März 1933 wird ein Abend mit Gedichten und Chansons von Tucholsky, Ringelnatz und Kästner angezeigt. Ob die Veranstaltung je stattgefunden hat? Peter Walther
Das Heft „Weltbühne“ 11/33 ist zu beziehen über: Tucholsky-Blätter, Postfach 805, 10047 Berlin (12 DM, zzgl. Versandkosten)
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