Rußlands willensstarker Saubermann

Der neue Sicherheitschef Lebed kehrt im Kreml mit eisernem Besen. Jelzins Chance auf Wiederwahl steigt. Doch der Königsmacher könnte bald zum Königsmörder werden  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„Zu Hause überläßt er mir die Leitung“, lacht Inna Lebeda, „wer mehr von der Sache versteht, soll führen, sagt er immer.“ Die Generalsgattin freut sich über den Erfolg ihres Mannes Alexander Lebed, der im Handstreich in die Spitze der russischen Entscheidungszentrale aufrückte. Ihre Natürlichkeit ist nicht gespielt, ihre Wonnen sind beinah mütterlich, als sei Alexander allein ihre Schöpfung. „Er bringt den Mülleimer runter und besteht darauf, die Bettwäsche selbst zu bügeln.“

Präsidentschaftsanwärter Lebed avancierte über Nacht zum Königsmacher. Jelzin ist auf dessen Wähler angewiesen, will er in der zweiten Runde die absolute Mehrheit erlangen. Maximal elf Millionen Stimmen hat der neue Sicherheitschef und Vorsitzende einer Kommission für höhere militärische Posten im Rahmen des Präsidentenrates anzubieten. Lebed gibt sich zuversichtlich. Achtzig Prozent seiner Anhänger verstünden ihn und würden für den amtierenden Kremlherrn votieren.

Lebeds Wählerschaft ist äußerst heterogen. Indes stammt der Löwenanteil seiner Stimmen aus der ehemaligen Klientel des Chauvinisten Wladimir Schirinowski, dessen Wähler in zwei demographische Lager zerfallen. Die einen arm, aus ländlichen Gebieten und marktfeindlich. Die anderen leben in Klein- und Mittelstädten, sind wohlhabender und befürworten Marktreformen. Sie bleiben entweder zu Hause oder stimmen für Jelzin. Ein weiteres Drittel stammt aus der demokratischen Opposition und dem zentristischen Lager. Lebed erzielte erhebliche Gewinne in den Hochburgen des Liberalen Grigori Jawlinski. Diese vier Millionen Stimmen gehen mit Sicherheit auf Jelzin über. Noch bevor der Kremlchef vergangene Woche die Kräfte der Kriegspartei verjagte, gaben 44 Prozent der Lebedwähler an, sie würden für Jelzin stimmen. Nur 34 Prozent favorisierten den kommunistischen Kandidaten Gennadi Sjuganow.

Nun dürfte das Ergebnis noch deutlicher zugunsten Jelzins ausfallen. Denn was zunächst aussah wie ein gelungenes Manöver des Machtstrategen Boris Jelzin, die Umarmung des charismatischen Generals, bescherte Rußland in Windeseile eine kathartische Wirkung. Der willensstarke Saubermann versetzte die machtgierigen Hofschranzen – den „kollektiven Jelzin“ – in der Umgebung des Präsidenten in höchste Alarmbereitschaft. Allein seine Präsenz und die Drohungen, auszumisten, reichten, um die Kamarilla über ihre eigenen Intrigen stürzen zu lassen. Danach rechnete er im Verteidigungsministerium mit seinen Gegnern ab. Sieben Generäle wurden gefeuert. Einige gehörten zu den Vertrauten des geschaßten Ministers Pawel Gratschow.

Rußland hat wieder seinen „spassitjel“ – einen Retter –, der in der Stunde der Not die Dinge zum Rechten wendet. Beinahe einen Wundertäter oder, in der Sprache der Moderne, den Terminator II – den guten eben. Schon wird er als Nachfolger Jelzins gehandelt. Allerdings fehlt ihm noch das Rüstzeug zum Präsidenten. Bis spätestens im Jahr 2000 will er sich die Kompetenz erworben haben. Doch was geschieht bis dahin? „Zwei Bären können nicht in einer Höhle hausen“, weiß ein russisches Sprichwort. Schaffen es die beiden charismatischen Persönlichkeiten, länger an einem Strang zu ziehen? Entledigt sich Jelzin Lebeds, wenn der die gesteckte Aufgabe erfüllt hat? Oder verwandelt sich der Königsmacher in einen Königsmörder?

Die russische Literatur hat auch diese Möglichkeit skizziert. Jedes Kind kennt das Märchen von Alexander Puschkin über die Verwandlung eines Schwans in eine Zarin. „Lebed“ heißt im Russischen „Schwan“. Blütenweißes Gefieder und reine Weste des Generals. Lebed, ein feuchtwarmer Humus für Mystifikationen.

Mißtrauen spielt im Verhältnis der beiden sicher mit. Um so mehr, als Lebeds kometenhafter Aufstieg fast dem Werdegang Jelzins ähnelt: gleicher Elan und Energie, unaufhaltsamer Drang nach oben und eine untrügerische Intuition, die erlaubt, schwindelerregendste Manöver zu vollziehen, ohne sich das Genick zu brechen. Jelzin kam auf Geheiß Gorbatschows nach Moskau, um in der Parteiorganisation Ordnung zu schaffen. Der Protektor schützte ihn gegen Angriffe seitens der Bürokratie. Jelzin verkörperte den Revolutionär an der Macht. Er gehörte zum Establishment und bildete zugleich ihren oppositionellen Gegenpart. Aus dieser Konstellation heraus enthemmte er den Reformprozeß. Lebed, vor einem Jahr noch Kommandeur in der Republik Transnistrien, erhielt vom Präsidenten einen gleichlautenden Auftrag: Ordnung und Erneuerung. Von oben sichert Jelzin ihm Schutz zu, während das Volk an den Urnen seine Sympathien längst bekundet hat. Lebed sitzt jetzt im inneren Zirkel der Macht, der er auf die Finger schauen soll.

Doch steckt in dem Reinemann schon ein Demokrat, gar ein Reformer? Vieles steht und fällt mit den Beratern, die er wählt, und ob er die liberaleren Kräfte den Diamanten schleifen läßt. Lebed begründete die Parteinahme für Jelzin mit jener neuen Idee, die dieser verkörpere, nur eben schlecht in die Praxis umgesetzt hätte. Unterdessen oszilliert sein Weltbild zwischen den klassischen Polen der russischen Geschichte. Der Öffnung zum Westen und jenem ominösen „Sonderweg“, der Rußland ein Anderssein im Wesen andichtet. Die Frage durchzieht sein letztes Buch „Im Kummer um die Großmacht“. Den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Freiheit als einem universellen Prinzip hatte Lebed damals noch nicht erkannt. Auch wie sein Verständnis von Ordnung jenseits der Reinlichkeitsdimension aussieht, bleibt er schuldig. Nur soviel: Aufräumen auf gesetzlicher Grundlage. Lebeds Erscheinung und politischer Diskurs haben sich verändert. Verehrte der General vor wenigen Jahren den chilenischen Diktator Pinochet, ersetzte er bei den Wahlen im Dezember sein Idol durch Charles de Gaulle. Immer noch eine starke Hand, aber mit gewissen demokratischen Empfehlungen. Noch hat der flammende Patriot keine endgültige Position gefunden. Doch gibt er zu vorsichtigen Hoffnungen Anlaß.