: Politischer Prozeß?
■ Gewichtige Indizien gegen Karl Wienand
Egon Bahr hat als Zeuge im Prozeß gegen Karl Wienand das Kernproblem dieses Spionageverfahrens glasklar formuliert: „Die eigentliche Frage ist, ob man mit der anderen Seite gearbeitet hat oder für die andere Seite. Das eine wäre die Pflicht, das andere Verrat.“ War Karl Wienand ein Verräter?
Der 4. Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ist davon überzeugt. Wienand selbst spricht von einem „politischen Prozeß“, zeigt sich verwundert und erklärt den Schuldspruch allein mit dem „blinden Vertrauen“ der Richter in die „ferngesteuerte Bundesanwaltschaft“. Das ist nicht nur starker Tobak, sondern das grenzt an Verleumdung, zumal Wienand für die „Fernsteuerung“ gestern jeden Beleg schuldig blieb. Wenn Wienand weiter ernst genommen werden will, dann bleibt ihm nur: Entweder er tritt für diese Beschuldigung den Beweis an, oder es ist eine Entschuldigung fällig.
Dafür, daß jemand wegen seiner politischen Gesinnung und nicht wegen konkreter Taten angeklagt und verurteilt worden wäre, gibt es nicht das geringste Indiz. Tatsächlich landete Wienand allein wegen des Vorwurfs der geheimdienstlichen Agententätigkeit (Paragraph 99 des Strafgesetzbuchs) auf der Anklagebank. Bei diesem Paragraphen kommt es allein darauf an, ob jemand mit Vorsatz einen verräterischen Kontakt zu einem ausländischen Geheimdienst gepflegt hat. Das kann man politisch kritisieren, aber für diesen Vorsatz gibt es im Falle Wienands gewichtige Indizien.
Mit den von vielen Politikern zu Zeiten des Kalten Krieges gepflegten vertraulichen Gesprächskontakten, den sogenannten Back canals, war Wienands Verbindung zu seinem Ost-Berliner Geheimdienstoffizier nicht vergleichbar. Zwischen 1975 und 1989 traf sich Wienand mit diesem Kontaktmann ohne jeden staatlichen Auftrag alle sechs bis acht Wochen. Immer im Ausland.
Für diesen Vorgang stellte der DDR-Geheimdienst nach Aussage von dessen letztem Chef, Werner Großmann, seit 1975 pro Jahr rund 100.000 Mark zur Verfügung. Dafür, daß dieses Geld je bei Wienand gelandet ist, gibt es keine Belege, aber Wienand schwer belastende Aussagen zweier HVA-Offiziere aus der ehemaligen Ost-Berliner Zentrale. „Politische Prozesse“ sehen anders aus. Walter Jakobs
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