: „Amerika schützt uns vor unseren Feinden“
■ Der Jurist Dr. Nguyen Ngoc Bich über Vietnams Außen- und Wirtschaftspolitik
Nguyen Ngoc Bich hat Anfang der siebziger Jahre in Saigon und Harvard Jura studiert und promoviert. Bis 1975 war er Rechtsanwalt in Saigon. Nach dem Sieg der Kommunisten in Südvietnam verschwand er 13 Jahre lang im „Umerziehungslager“. Seine Zulassung als Rechtsanwalt erhielt er danach nicht wieder. Bich arbeitet heute in Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon heute heißt, in einem Büro für Wirtschaftsrecht, das ausländische Unternehmen und Investoren berät.
taz: Wie hat sich das Ende des US-Embargos gegen Vietnam 1995 auf die vietnamesische Wirtschaft ausgewirkt?
Dr. Nguyen Ngoc Bich: Wir haben jetzt freien Zugang zu den internationalen Finanzmärkten, vor allem zum US-Dollar.
Sind die amerikanischen Unternehmer ins Land geströmt?
Nein. Zwar haben amerikanische Unternehmen knapp 110 Vertretungen in Vietnam. Das will aber nicht viel heißen – die meisten machen noch keine Geschäfte, sondern schauen sich nur um. Amerikanische Direktinvestitionen gibt es bislang nur in rund 45 Projekten.
Warum sind es nicht mehr?
Erstens ist der vietnamesische Markt begrenzt, weil unser Pro- Kopf-Einkommen einfach zu niedrig ist. Wir werden noch lange brauchen, bis wir es uns leisten können, amerikanische Güter zu kaufen. Zweitens zögern die Amerikaner, in Vietnam zu investieren, weil sie die Rechtsunsicherheit fürchten. Drittens erhalten die amerikanischen Investoren keinerlei Schutz oder Garantien von Seiten ihrer eigenen Regierung.
Unterscheidet sich die Haltung amerikanischer Geschäftsleute gegenüber Vietnam von der ihrer asiatischen oder europäischen Kollegen und Kolleginnen?
Es gibt einen großen Unterschied: Die Amerikaner haben Angst vor ihrem eigenen „Foreign Corruption Act“, der es ihnen verbietet, Bestechungsgelder zu zahlen – auch im Ausland. Das heißt, sie dürfen keine Beamte oder Regierungsvertreter schmieren, wenn sie nach Vietnam kommen. So will es das amerikanische Gesetz.
Wer dagegen verstößt, läuft Gefahr, von Konkurrenten angezeigt zu werden?
Ja. Es gibt übrigens auch einen politischen Grund, warum wir uns hier ein wirtschaftlich stärkeres amerikanisches Engagement erhofft haben: Das würde ein Gegengewicht gegen andere politische Kräfte schaffen. Wenn Amerika hier viel investierte und irgendeine Macht versuchen würde, sich an uns zu vergreifen, dann würde das die wirtschaftlichen Interessen der USA berühren ...
Wen meinen Sie denn mit „irgendeiner Macht“?
Zum Beispiel China. Die Präsenz ausländischer Investoren würde den Chinesen das Leben schwermachen, wenn sie gegen Vietnam vorgehen sollten. Die amerikanischen Investitionen könnten uns gewissermaßen vor unseren Feinden schützen.
Was sollte die vietnamesische Regierung tun, um mehr ausländische Investitionen anzuziehen?
Ein großer Teil der Probleme liegt darin begründet, daß Vietnam keinen „Masterplan“ für die Anwerbung ausländischer Direktinvestitionen hat. Als das Land sich öffnete, da waren wir fast am Verhungern. Alle wurden mit offenen Armen aufgenommen. Die Investoren wollten natürlich die Gelegenheit nutzen, schnell zu verdienen, im Tourismus, mit Hotels, wo es einen schnellen Gewinn gibt. Sie wollten hier in Vietnam ihre Produkte verkaufen. Wir hofften eher auf langfristige Investitionen und die Übertragung von Technologie und Management-Fähigkeiten.
Haben Sie zu viel erwartet?
Ja, vielleicht. Wir waren wie arme Leute, die es sich nicht einmal leisten können, ein Los zu kaufen – und die trotzdem auf den Millionengewinn hoffen.
Wird sich die Wirtschaftspolitik nach dem Parteitag ändern?
Das glaube ich nicht. Was wir brauchen, ist ein wirtschaftlicher Rahmenplan, der definiert, in welchen Bereichen wir welche Investitionen haben wollen. Aber im Augenblick sind wir noch an den staatlichen Sektor gefesselt. Die Regierung sagt, die Staatsunternehmen sollen weiterhin das Rückgrat der Wirtschaft bilden, trotz der Privatisierungspolitik. Aber wenn das Management dieser Staatsbetriebe nicht gut ist, kann das nicht funktionieren. Das Problem ist das mangelnde unternehmerische Denken. Die Manager in den Staatsbetrieben verlieren ja nicht ihr eigenes Geld.
Gibt es ein Bankrottgesetz?
Ja, das gibt es, aber bislang hat man noch keinen Betrieb pleite gehen lassen.
Wie hoch wird denn der staatliche Sektor subventioniert?
Es gibt offiziell keine Subventionen, sondern „Privilegien“ – besonders günstige Kredite zum Beispiel.
Es gibt also keine Investitionsvorgaben der Regierung?
Doch, es gibt Vorgaben: Die Behörden schaffen so überflüssige Dinge wie Sonderwirtschaftszonen oder Exportverarbeitungszonen. Anstatt vorzugeben, in welchen Wirtschaftssektoren die Investitionen gemacht werden sollen, sagen sie, wo sich Investoren ansiedeln sollen. Der Staat müßte jetzt die Bedingungen für Investitionen in die Infrastruktur schaffen – Energie, Transport und so weiter. Das ist das Wichtigste.
Was wäre die Folge, wenn der staatliche Sektor auf Kosten des privaten gestärkt wird? Können die Staatsbetriebe denn die Million Jugendlichen unterbringen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt kommen?
Nein. Die meisten werden einen Imbiß oder Coffeeshop aufmachen, anstatt etwas zu produzieren. Wir werden eine Gesellschaft von Coffeeshopbesitzern. Interview: Jutta Lietsch,
Ho-Chi-Minh-Stadt
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