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Amputation am Kerngesunden

■ Heute 1. Folge: Intendant Frank Baumbauer zur Situation am Deutschen Schauspielhaus

Hamburg will drastisch sparen, aber es soll niemand merken. Gerade im Kulturbereich werden jährlich Millionen gestrichen, aber das Angebot darf qualitativ nicht schlechter werden. Spätestens seit dem neuen Sparhaushalt für 1997 – dem weitere folgen werden – ist dieser Spagat nicht mehr durchzustehen. In loser Folge beschreiben deswegen Verantwortliche aus der Hamburger Kultur – von der Oper bis zur Soziokultur – was weitere Sparmaßnahmen in der Praxis zerstören.

Um darüber zu reden, was weitere krasse Einsparungen für das Schauspielhaus bedeuten, muß man erst einmal kurz skizzieren, was die jetzige Geschäftsführung in den letzten drei Jahren schon geleistet hat. Seit wir hier 1993 angetreten sind, haben wir verschlankt, rationalisiert und die Arbeitsabläufe effektiver gemacht, und zwar eigentlich zum eigenen Nutzen, damit die so frei werdenden Mittel der Kulturarbeit zur Verfügung stehen. Doch dazu kam es nie, weil alles, was wir uns erarbeitet haben, durch die Sparmaßnahmen wieder zurück an den Staat floß. Wir haben uns in diesem Zeitraum 2,4 Millionen Mark aus den Rippen geschwitzt. Wobei wir es immer für selbstverständlich hielten, daß wir uns an den Sparmaßnahmen beteiligen, aber mit dem Angebot, daß wir machen, haben wir jetzt endgültig das Limit erreicht.

Für die nächste Spielzeit haben wir schon eine Unterdeckung von 1 Million Mark. Diese rote Million haben wir ausgeglichen, indem wir die Reserven, die wir uns in den ersten drei Jahren für dringende technische Erneuerungen angelegt haben, für den laufenden Betrieb aufwenden, und zwar vollständig.

Wir haben bereits jede freiwerdende Planstelle im Haus nicht neu besetzt und arbeiten statt dessen mit Aushilfskräften. Das finde ich aus Gründen der Flexibilität grundsätzlich gut, aber auch hier ist die Grenze erreicht. Wir haben keine einzige Stellen mehr für einen weiteren Abbau.

Die Gehälter und Gagen sind gut, aber nicht hoch. Natürlich sind sie der Bedeutung des Hauses angemessen, aber da bleiben wir am unteren Limit. Andere deutsche Theater zahlen doppelt so hohe Gagen wie wir. Solch einen Zynismus gibt es hier nicht.

Angesichts der Ausbeutung, die ein Schauspieler über sich ergehen lassen muß, sind gute Gagen aber zwingend notwendig. Die meisten Schauspieler haben hier zwischen 20 und 28 Vorstellungen pro Monat und tagsüber noch Proben. Je länger so eine Saison geht, desto kaputter sind die und desto mehr häufen sich auch die Unfälle. Das gleiche gilt für die Techniker. Und daran merkt man ganz deutlich, daß man jetzt erstmals Substanzverluste hinnehmen muß.

Wir haben bis jetzt wirklich alle Ressourcen ausgeschöpft, und wenn wir das Angebot erhalten wollen, dann brauchen wir das Geld, das wir jetzt noch haben. Da jetzt weiter gespart wird – wir haben nächste Saison erneut 770.000 Mark einzusparen, die Saison 97/98 noch einmal 700.000 Mark –, müssen wir an den Strukturen sparen. Und deswegen ist es wichtig, einmal darzustellen, was sich hinter den von Politikern gern geforderten „Strukturveränderungen“ tatsächlich verbirgt.

Was kann die Intendanz also noch unternehmen, um weiteren Sparanforderungen zu genügen?

Sicherlich kann man auch aus dem Deutschen Schauspielhaus ein mittleres Stadttheater machen. Aber ich bin der festen Überzeugung, wenn man qualitativ schlechtere Schauspieler engagiert und weniger Neuinszenierungenmacht, dann bedeutet dies das Todesurteil. Denn der „Verbrauch“ von acht bis neun Neuinszenierungen pro Jahr ist der Größe des Hauses und der Tatsache, daß es kein nennenswertes Abonnement gibt, angemessen. Nur sechs bis sieben Neuinszenierungen zu machen würde bedeuten, daß man nur noch fünf Tage pro Woche oder nur noch von Oktober bis Mai spielen kann.

Auch den Repertoirebetrieb kann man nicht auflösen. Es gibt die Inszenierungen nicht, die man in diesem großen Haus einen Monat en suite spielen kann. Schon nach dem dritten Tag sitzt man erfahrungsgemäß mit dem trockenen Hintern in der Badewanne. Das funktioniert nur bei Populär-Theater.

Eine Möglichkeit wäre natürlich, das Programm „kommerzieller“ zu machen, aber das wird uns mit Verve mißlingen. Denn das Publikum, das zu uns kommt, hat einen hohen Instinkt dafür, was es hier sehen will. Und die Konstellation von Menschen, die sich hier zusammengefunden hat, um dieses Programm umzusetzen, kann man nicht einfach etwas völlig anderes machen lassen. Dann muß man einen anderen Intendanten suchen. Und dafür habe ich durchaus Verständnis, wenn die Stadt sagt, dieses Theater können wir uns nicht mehr leisten.

Ich könnte den Malersaal schließen, das würde vielleicht die 2,5 Millionen bringen, die man in den nächsten Jahren noch erwarten kann. Aber das würde den Spielplan auf den Kopf stellen, denn der Malersaal ist der Ort, wo wir die zeitgenössischen Autoren spielen. Und wenn diese starke Komponente weg wäre, dann würde der Spielplan sehr traurig aussehen, denn ich kann im Großen Haus nicht 3-4 zeitgenössische Stücke spielen.

Natürlich kann ich mich wie ein Industriemanager verhalten und sagen, wir entlassen 50 Leute und retten damit 300, aber wir sind ein Dienstleistungsunternehmen, und wir können unser Angebot nicht endlos verschlechtern. Es muß sich jeder Politiker, der über Sparmaßnahmen entscheidet – und dem natürlich auch das Wasser bis zum Hals steht –, darüber im Klaren sein, daß eine solche Qualitätsverschlechterung dem Deutschen Schauspielhaus die Existenz kosten wird.

Auch das letzte Mittel, nämlich mit dem Rücktritt zu drohen, besitze ich heute nicht mehr. Denn es stehen hinter mir zehn andere, die dieses Haus sofort für 5 Millionen weniger übernehmen würden. Das Beispiel Basel aber zeigt ganz deutlich, daß das nur ins Fiasko führen kann. Und die Theater haben dann eine sehr lange Leidenszeit vor sich. Da sind alle Politiker und Intendanten längst weg.

Aus den genannten Gründen stehen wir jetzt vor der Situation, wo wir ohne jede Koketterie sagen müssen, im Rahmen einer vernünftigen Geschäftsführung, die das Theater vor irreparablen Schäden bewahrt, wissen wir nicht mehr weiter. Wir sind an dem Punkt angelangt, wo wir uns selbst verstümmeln müßten. Als kerngesunder Patient müssen wir uns fragen, was wir als erstes hergeben würden: Das Ohr, einen Finger, den Fuß?

Ich bin dafür engagiert worden, möglichst viel und möglichst gutes Theater zu machen. Wenn es uns nicht gelingen sollte, mit Bemühen und Können dem Spartempo hinterher zu kommen, dann werde ich für die Spielzeit 97/98 einen Spielplan aufstellen, wie ich ihn für dieses Haus aufstellen muß, der dann aber nicht mehr gedeckt ist.

Wenn der Aufsichtsrat dann erklärt, daß dieser Spielplan nicht finanzierbar ist, dann müssen sie eben selber zusammenstreichen. Ich kann nur das machen, woran ich glaube, für Hamburg und für dieses Haus, und wenn es dann keine ausgeglichenen Etats mehr gibt, dann bekommt die Stadt eben wieder die Situation, die sie früher andauernd hatte, als hier Millionen-Schulden angehäuft wurden.

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