: Hoch auf dem gelben Lieferwagen
Revival einer gefälligen, salonorientierten Naturromantik: Eine Ausstellung im Haus am Waldsee zeigt „(Landschaft) – mit dem Blick auf die 90er Jahre“ auf Video, Foto und in der Malerei ■ Von Harald Fricke
Für René Magritte war die Sache ganz einfach. Natur sah auf der Leinwand erst dann perfekt aus, wenn auch Natur draufstand. Solchermaßen beschriftete er ebenfalls Kühe, Felsen oder Pfeifen und hatte entsprechend viel Zeit, sich um all die anderen Probleme mit der Wirklichkeit zu kümmern: Was macht man mit einer Kuh, auf der Pfeife geschrieben steht? Und was passiert, wenn dies gar keine Pfeife ist?
Die Schwierigkeiten mit der Natur der Dinge sind also schon länger bekannt. Daß Klara Wallner und Kathrin Becker jetzt für ihre Ausstellung „(Landschaft) – mit dem Blick auf die 90er Jahre“ mit einer eher verschachtelten Schreibweise herumhantieren, um das ohnehin kaum aufzuhaltende Revival einer salonorientierten Malerei nicht beim Namen nennen zu müssen, gehört sicherlich dazu. Vielleicht geschieht in der Kunst etwas Ähnliches wie im Pop, wo die Menschen sich aus Trotz gegen Techno auf Oldies besinnen, während dieselben Schlagerfritzen sich zur gleichen Zeit von DJs remixen lassen. Schon schaudert man, wie hübsch und hilflos das ganze sich entwickelt: Blümchens Liedern in den deutschen Charts stehen nun moosgrüne Wiesenstreifen auf Albrecht Schniders Alpenimpressionen gegenüber.
Keiner daheim im Elfenbeinturm
Daß die Ausstellung von einer zumeist zahmen Rückkehr einer gepinselten Romantik handelt, deutet sich bei Klara Wallner schon im Vorwort an: „Gerade die Künstler der jüngeren Generation scheinen die Natur, das Landschaftsphänomen wiederentdeckt zu haben“. Oder wie Dellbrügge/de Moll die Lage auf einem Aquarell in Comic-Blasen zusammenfassen: „Als Leitfiguren haben wir ausgespielt. – Genau! Wir ziehen uns zurück und widmen uns der Landschaftsmalerei“. Das Bild hat den Titel „Elfenbeinturm“, was der Idee mit der Pfeife doch sehr nahe kommt.
Zumindest sind sie mit ihrem Anspruch nicht allein: Auch ein Kritiker wie Peter Herbstreuth spricht im Tagesspiegel gern über Grenzverwischung von Tafelbild und öffentlichem Raum, wenn er Gunda Försters rote Flächen meint. Immerhin haben die beiden Kuratorinnen auf diesem Wege eine Gruppenausstellung mit 29 KünstlerInnen organisiert bekommen, die von Koblenz auf eine Burg an der Saale und schließlich ins Berliner Haus am Waldsee getourt ist. Soweit fügen sich die Dinge zwar nicht ganz naturgemäß, aber doch im Rahmen des Betriebssystems Kunst.
Schleichende Rückkehr zur Renaissance
Auf zwei Stockwerken sieht man nun die konzeptuell aus feinen Schriftreihen zusammengesetzten Begriffswölkchen von Svetlana Kopystianski, Thomas Sturms zart bemalte Fotokopien diverser Erlen und Buchen oder Peter Angermanns Ikea-Möbelcenter und sein grobes Stadtparkbild in New- Wave-Farben. Maya Roos hat Postkarten bemalt und an ihre Verwandschaft geschickt; Eva & Adele waren im Partnerlook mit Regenschirm auf Reisen; Olafur Eliasson hat Island bei Nebel fotografiert und Christian Philip Müller mit dem Rucksack die politisch nicht unbedingt brisante grüne Grenze zwischen Österreich und Deutschland abgewandert.
Das Feld jedenfalls ist groß und die Vorgaben mitunter sehr beliebig. Alles paßt zur Formel, daß sich im digitalen Zeitalter der trist dahinströmenden Informationen „das vormoderne Verhältnis von Kunst und Natur“ verabschiedet hat, wie Beat Wyss im Katalog schreibt; aber schließlich ist Natur für ihn doch noch alles, „was für eine bestimmte Zeit der Fall ist“. Man könnte vermutlich auch Technik, Zivilisation, Menschheit oder gleich Welt anstelle der vielzitierten Natur einsetzen und käme mit solcherlei Weitsicht wieder bei Magritte heraus, wenn nicht bei den Impressionisten, in der Renaissance oder noch früher.
Bleibt also das Medium, in dem die Kunst der Natur nachspürt. In den sechziger Jahren schaufelte Robert Smithson eine Steinspirale in den Great Salt Lake und Walter de Maria verlegte 1977 zur documenta einen Kilometer Eisenrohr tief in die Erde vor dem Kasseler Fridericianum. Nur Lisa Schmitz scheint mit ihrer Arbeit ein bißchen an diese mühevoll vor Ort und für den Ort realisierten Projekte anknüpfen zu wollen: Sie hat ein Fotobuch ausgelegt, das den Bannkreis rund um den Reichstag dokumentiert, wobei allerdings jedes Warnschildchen sauber ausgeschnibbelt wurde. Manchmal fahren auch gerade gelbe Lieferwagen vorbei, dann sieht man die Zeichen nicht.
Arkadien als schmaler grauer Streifen
Bei Susi Pop indes liegt der Haken, „mit Politik Kunst machen zu wollen“, im Detail. Auf rosa Zeichnungen sind Massengräber anhand von bosnischen Landkarten markiert, die sich schulbuchmäßig in die Umgebung einfügen. Das Abbild ist dort immer schon Ausdruck der Distanz, und Darstellung ein Teil des Vergessens: Naturzustand. Andererseits kann man gerade bei dem leer und öde ablaufenden Video, das Claudio Moser auf einer Autobahnraststätte in den Bergen gedreht hat, einigermaßen unverstellt die Landschaft sehen. Zwischen den unentwegt schräg von links ins Bild einbiegenden Lkws erkennt man nur für Sekundenbruchteile einen schmalen Streifen dunstverhangen grauer Hügel am Horizont. Das muß Arkadien sein.
Bis 11. 8., Haus am Waldsee, Di–So 10–18 Uhr, Argentinische Allee 30.
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