Wand und Boden
: Da wird der Bergurlaub zur Kunst

■ Kunst in Berlin jetzt: Thomas Joshua Cooper, missing links, Goldrausch, Marjolaine Boonstra

Es sind genau fünf Schwarzweiß-Abzüge, die Franck + Schulte von Thomas Joshua Cooper präsentiert. Mehr dürften es auch nicht sein. Coopers „The River Suite“ zeigt sich fasziniert von der obscuritas, der Dunkelheit. Das Zwielicht der Bilder scheint sich über den Rahmen hinaus auszudehnen, und sie nehmen virtuell mehr Raum ein, als sie an der Wand tatsächlich beanspruchen. Dabei ist der Raum, den Cooper fotografiert, keineswegs die bekannte unendlich große See.

Der 1946 geborene Amerikaner vermeidet den Horizont, und so ist im Bildausschnitt einfach nur kreiselndes Wasser zu sehen, opake Wellen und weiße Schaumfahnen, die daher rühren, daß ein Felsblock vom Wasser überspült wird: „The Swelling of The Sea, West The Atlantic Ocean, Scotland 1990“. Cooper arbeitet an der Peripherie der besiedelten Welt. Der hohe Norden ist der Ort, den er im Herbst und im Winter aufsucht, wenn sich die Landschaft noch nackter und karger zeigt, als sie es ohnehin schon ist. Die Fotos erinnern an die Kunstphotographie der Jahrhundertwende, an Turners atmosphärische Abstraktion von Wind und Wetter. Sie sind schön, aber es ist zum Aushalten.

Bis 18. 8., Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11–15 Uhr, Mommsenstr. 56

Licht, hell und aufgeräumt wirken die Räume der Galerie Klaus Fischer, obwohl in ihnen Papierarbeiten von nicht weniger als zweiundzwanzig Berliner KünstlerInnen zu sehen sind — „missing links“ zu ihren anderen Arbeiten. Sie kommen sämtlich anmutig daher. Elegant auf ihre jeweils eigene Art und lapidar, wie etwa Pina und Via Lewandowskys „Kunstspucker“.

Neun Bleistiftzeichnungen zeigen das fast identische Profil dieses Artisten des sinn- und ornamentreich in die Luft geschleuderten Spuckefadens. Georg Zey vermißt weiße Flecken auf der Landkarte. Zwei kleine Arbeiten im Goldrahmen zeigen die Höhenlinien des „Wurzer“ und des „Fünfecker“. Da wird der Bergurlaub zur Kunst — denn jenseits der Kartographie existiert diese Landschaft nicht. Arbeiten auf Papier sind naturgemäß eher weniger spektakulär.

Die kühle Grausamkeit exakt gesetzter Striche oder die Poesie der Leerstelle, die Katharina Meldner mit der weißen Kreide umkreist und zum schnörkellosen Bild einer Geschichte macht, die sie nie erzählt, sind die Mittel, die Betrachter zu irritieren und interessieren. Katrin von Maltzahns Readymades aus dem Englischlehrbuch wirken als Entwurf (für eine größere Arbeit) aggressiver als in der endgültigen Form. Wie wir die Welt und ihre Wörter lernen, hat in der Verfremdung einen sarkastischen Zug. Und wie Axel Lieber Donald Duck aus den Fängen der Erzählung befreit, um ihn in die der Kunst(-geschichte) zu werfen, hat seinen ebenfalls entlarvenden, kreisrunden Montagetrick.

Bis 13. Juli (Teil 1), Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Motzstr. 9

Durch die Vielzahl der ausgestellten Arbeiten wirkt da Goldrausch VII im Martin-Gropius- Bau zunächst eher einschüchternd. Vor allem wenn die Arbeiten so reichhaltig Material, Objekte, Formen und Farben versammeln wie Ingrid Mostreys „Garten“. „Durcheinander“ führt sie selbst als Stichwort ins (grüne) Feld, jedoch mit dem Erkenntnis signalisierenden „Aha“. Tatsächlich überkommt einen das Aha eher bei Dany Paals kühl dagegen geblendeten Neo-Minimal. Anders als bei jenem „starken schweigsamen Typ“ von Kunst (A.C. Chave), den starke, allerdings nicht sonderlich schweigsame Typen einstmals der Welt als letzte schroffe, aber aufrichtige Geste der Kunst entgegenhielten, verwendet Paal kein industriell vorgefertigtes Material. Dennoch kommt man nicht umhin, Paals hell- oder dunkelgrauen, rot- oder schwarzlinierten dreiteiligen Kästen ganz ähnlich wahrzunehmen wie die geschliffenen Aluminiumschienen des seligen Mr. Controletti Donald Judd. Daniela von Waberer tut sich vielleicht leichter, weil sie nicht malt. Sie wählt das Unförmige (das auch jetzt das Centre Pompidou mit „L'informe: mode d'emploi“ präsentiert). Rosarot, madenförmig, eklig und bezaubernd zugleich lehnt sich ihr Gipswurm gegen die Säule. Ein Affront gegen das Formprinzip der Kunst und überraschend kapriziös, das fette Ding.

Fünfzehn Künstlerinnen sind bei Goldrausch VII vertreten, der Ausstellungsreihe, die seit 1989 den Abschluß eines achtmonatigen Fortbildungsprogramms bildet, das den Künstlerinnen professionelles Selbstmanagement vermitteln will. Bekanntlich sind Frauen nach ihrer künstlerischen Ausbildung in öffentlichen Präsentationen wenig vertreten, was schwer erklärlich ist, sich aber nicht zuletzt dank verschiedener Frauennetzwerke wie eben Goldrausch ändert und weiter ändern wird. Das Geschlecht ist kein Kriterium mehr für die Entscheidung, ernst nehmen oder gleich dran vorbeischauen. Vorbeischauen!

Bis 14. 7., Di.–So. 10–20 Uhr, Stresemannstr. 110

Sechs Fotografien sind es, die die holländische Dokumentarfilmerin Marjolaine Boonstra bei Shift ausstellt. Anders als bei Cooper sind die Bilder ihres „Monologue intérieur“ aber tatsächlich Riesenschinken und farbig dazu. Das Sterbezimmer Trotzkis in Mexico City, die plüschrote Toilette eines Bahnhofsrestaurants in Sibirien oder zwei mit weißen Schonbezügen versehene Sessel neben einem Telefonapparat in China sind ihre Motive. Sie wirken wie Stills aus einem Bertolucci-Film, also sehr römisch. Opulent und heruntergekommen zugleich flirren die Innenräume und Kristallüster in der Mehrfachbelichtung bei vorhandenem Licht. Atmosphärisch kommt ein irritierend kolonialer Zug ins Spiel. Vielleicht ist das aber auch der Stimmung der Räume des ehemaligen VEB Pharma-Handelskontors geschuldet, in denen Shift wie der unhaltbare Außenposten einer anderen Welt wirkt.

Verlängert bis 14. 7., Do.–So. 15–19 Uhr, Friedrichstr. 122/123 Brigitte Werneburg