: Mit Fracht & Fusel übern Pazifik
Als zahlende Passagiere an Bord der „DSR Asia“ von San Francisco nach Yokohama. Zu DDR-Zeiten verschiffte der Frachter nur „verdienstvolle Personen“ wie Karl-Eduard von Schnitzler über die Weltmeere ■ Von Susanne Härpfer und Imke Rafael
Energisch knallt uns Monika zwei labbrige Scheiben Toastbrot und einen Klacks Marmelade auf den Teller. Wir schlucken – so wird die nächsten zwei Wochen unser Frühstück aussehen. Monika ist Stewardeß an Bord der „DSR Asia“. Der Frachter ist auf dem Weg von San Francisco nach Yokohama. Kapitän Reiner Ritter hat uns ausnahmsweise auf dieser Jungfernfahrt als zahlende Gäste an Bord genommen. Stolze 5.000 Mark haben wir hingeblättert, doch die Bordstewardeß erwartet trotzdem, daß wir unsere Kammern aufräumen. Ein Überbleibsel aus ihrer Vergangenheit: Die Mannschaft fuhr nämlich schon zu DDR-Zeiten gemeinsam über die Weltmeere.
Damals wären Gäste wie wir undenkbar gewesen. An Bord durften nur „verdiente Personen“ wie Karl-Eduard von Schnitzler. Schließlich schipperte die Crew nicht nur Fracht über die Meere, sondern machte militärische Übungen. „Im Atomschutzbunker haben wir immer die lautesten Parties gefeiert“, erinnert sich Michael Finck, der von allen nur Fincki genannt wird.
Der 19jährige Schiffsmechaniker hat sich bereits bei unserer Abfahrt als Komplize und Kavalier erwiesen. Zuerst trug er unser Gepäck die schwankende Gangway empor, dann nahm er uns mit auf die Brücke. In der Abenddämmerung glitten wir unter der Golden- Gate-Brücke hinaus auf die Weiten des Pazifiks.
„Macheten-Arny“ steht auf „Sternmarke“
Jetzt befinden wir uns schon 200 Meilen von der Küste entfernt. Zeit für die Amerika-Abschiedsparty. Fincki lädt uns und seine Kumpels auf seine Kammer. Dort hat er unergründlich große Mengen „Sternmarke“ gebunkert. Der billigste und deshalb beliebteste Schnaps an Bord. Seemann Arnim Glauche schneidet eine 1-Liter- Plastikflasche in der Mitte durch, füllt sie mit dem Fusel und trinkt sie auf ex aus. „Das ist die Spezialität von ,Macheten-Arny‘“, sagt Fincki. Seinen Spitznamen hat Arnim weg, seitdem er von jeder Fahrt ein Messer aus Panama mitbringt.
„Lästert nur“, sagt Arnim. „Ohne mein Messer wärt ihr doch im Hafen von Cristóbal total aufgeschmissen.“ Finckis bester Freund René pflichtet ihm bei: „Ich habe immer mein Messer aus Panama unter dem Kopfkissen, falls uns das Wasser bis zum Hals steht und wir uns einen Platz im Rettungsboot sichern müssen.“ Fincki nimmt noch einen Schluck „Sternmarke“ und fügt hinzu: „Der Käpt'n kommt sowieso nicht mit. Den Platz brauchen wir nämlich für die Sixpacks.“
Das scheint kein Seemannsgarn zu sein, stellen wir am nächsten Tag beunruhigt fest. In der Schiffsbibliothek lesen wir im Heft 5/93 des Branchenblatts Schiff und Hafen von einer Untersuchung von Notfällen auf See: „...wie sonst ist es zu erklären, daß bei Totalverlusten/Schiffsuntergängen in der Regel nur Besatzungsmitglieder, selten aber Fahrgäste in den Rettungsbooten sitzen oder aufgefischt werden.“ Zum Glück passiert so etwas äußerst selten.
Wir entspannen uns, wie die meisten Passagiere, im Bordswimmingpool, in den die Schiffsmechaniker jeden Tag frisches Pazifikwasser pumpen. Sie selbst gehen nicht ins Wasser; unter 25 Grad taucht ein anständiger Seemann nicht mal seinen Zeh hinein. Fincki und René stellen Liegen an den Pool, in denen wir bis zum Sonnenuntergang dösen. Wir beobachten die Fregattvögel, die in den Heckwinden mit uns über das größte Meer der Welt segeln. Fincki findet sogar ein Nest mit Jungvögeln an Bord. Die Eltern sind offenbar an Land geblieben. Jetzt müssen wir für sie sorgen. Fincki holt vom Koch frischen Fisch. Mit Hilfe einer Pinzette füttern wir die Kleinen und setzen sie in unserer Kammer vor eine Infrarotlampe.
Eine kräftige Soljanka zum Abendbrot
Plötzlich gibt es einen Ruck, das Stampfen des Schiffsmotors hört auf. Es herrscht Stille. Fincki springt hoch und läuft in den Maschinenraum. Maschinist Peter, von allen wegen seines schwarzen Schnurrbartes nur „Dschingis Khan“ genannt, kommt ihm schon entgegen: „Die nagelneue Brennstoffleitung ist gerissen.“ Die nächsten drei Stunden treiben wir manövrierunfähig auf hoher See, bis schließlich der Schiffsmotor wieder einsetzt.
Jetzt ist Zeit für ein kräftiges Abendbrot. Es gibt Soljanka. Wie in den guten alten Zeiten. Nur Susanne hängt kotzend über der Reling. Die sechs Meter hohe Dünung macht ihr zu schaffen. Verzweifelt klammert sie sich an ihre Tüte mit Zwieback. Nicht nur um Susannes Magen zu beruhigen, rollen wir auf dem Vordeck unsere Schlafsäcke aus. Hier vorne ist es am schönsten – vom Motor nichts mehr zu hören. Nur ein kleines weißes Rundumlicht scheint. Wir genießen den funkelnden Sternenhimmel und das Klatschen der Wellen an die Bordwand. Morgens um sechs weckt uns Fincki mit einer Lotsenplatte – Frühstücksbroten und heißem Kaffee, den wir, auf den Pollern sitzend, schlürfen. „Heute ist volles Programm: Wir machen eine Notübung im Maschinenraum.“
Pünktlich um elf ist es soweit. Die Schiffsglocke läutet, alle 21 Besatzungsmitglieder streifen ihre Rettungswesten über und laufen zum Maschinenraum. Dort herrschen höllische Temperaturen. Doch den Maschinisten Peter haut das nicht um: „Richtig schlimm wird es nur im Roten Meer. Dann sind hier 45 Grad.“ Gegen den Lärm helfen die Ohrenschützer. Verständigung ist jetzt nur noch per Handzeichen und Rumbrüllen möglich. Feuer im Maschinenraum soll simuliert werden. Das ist das Schlimmste, was auf hoher See passieren kann. Der Brandherd muß so abgeriegelt werden, daß kein Sauerstoff mehr eindringen kann. Die Löscher legen einen Schaumteppich auf den simulierten Brandherd. Danach geht's zum Rettungsboot, das aus rund 15 Metern Höhe in das Wasser schießt. „In der Seemannsschule bei Rostock mußten wir tatsächlich ins Boot. Das ist, als ob man rückwärts Achterbahn fährt. Da ist allen speiübel geworden“, erinnert sich Schiffsmechaniker René.
Für die kleinen Katastrophen an Bord ist immer der Second zuständig, der zweite Offizier. Er zeigt uns seine Praxis und öffnet den Medizinschrank. Gut verschlossen befinden sich dort, für jeden Mann an Bord, fünf Kondome. „Das ist die tariflich festgelegte Menge“, erläutert der Second. „Die verteile ich vor den Landgängen. In Cristóbal sind die Jungs viel entspannter an Bord gekommen.“
Großes Drama in der finsteren Hafenbar
Nur für Kai spielte sich ein zwischenmenschliches Drama ab. In einer finsteren Hafenbar hatten ihn alle Kolumbianerinnen als „Bambino“ verschmäht. Seitdem putzt er nur noch stumm die Schiffsfenster. Vermutlich hat er gelbe Socken oder einen Pullover angehabt. „Die mag nämlich unser Meeresgott Rasmus nicht und verflucht den Träger als Unglücksraben“, erzählt Fincki.
Er zeigt uns das Schiff. Über 216 Meter mißt die „Asia“ vom Bug bis zum Heck. 30.000 Tonnen hat sie geladen, alles verpackt in blaue, rote und graue Container. Angeblich weiß die Mannschaft nicht, was drin ist. Nur Gefahrgut ist gekennzeichnet und wird weit von der Brücke entfernt gestapelt. Von dort fahren wir vier Decks tiefer in den Sportraum. Mit Tischtennisplatte und Sauna! „Überall auf dem Schiff gibt es solche Ecken und Winkel, wo dich keiner hört. Perfekt, wenn du jemanden verprügeln willst“, verrät uns Fincki. „Zusammen mit René habe ich schon zwei Kapitäne, vier Erste Offiziere und einen Second vermöbelt. Die sagen nichts, weil sie keinen Zeugen haben. Im Gegenteil, die haben mich sogar zum Bier eingeladen, um weitere Attacken abzuwehren.“
Doch handfeste Auseinandersetzungen gibt es auch unter Freunden. Eines Abends kommt René ohne seinen Stiftzahn in die Messe. „Den hat mir mein Freund Fincki gerade rausgeschlagen“, erzählt er. „Das dritte Mal seit Bremerhaven.“ Einen Grund dafür gab's angeblich nicht. Bis zum Ende der Reise wird René mit einer Zahnlücke umherlaufen müssen, denn der Second weigert sich, ihn erneut zum Zahnarzt zu schicken: „Das hat ja doch keinen Sinn.“
Das hält René jedoch nicht davon ab, seine 0-4-Wache zu schieben. Diese Nacht ist Deckschrubben dran. Wir helfen mit. Statt des erwarteten Schrubbers bekommen wir aber einen Hochdruckstrahler in die Hand gedrückt. „Das Wichtigte ist, das Salz von den Aufbauten zu spülen“, erklärt uns René. „Sonst rostet einem der Kahn nämlich unterm Hintern weg.“
Hochdruckstrahler zum Deckschrubben
Es ist eine klare Nacht, und die Matrosen erklären uns den Sternenhimmel. Mitten auf dem Pazifik herrschen ideale Bedingungen nicht nur für Astronomen. In der absoluten Dunkelheit und der sauberen Luft funkeln selbst die Sterne hell und deutlich, die sonst nicht sichtbar sind, außer vielleicht am Wüstenhimmel.
Dies ist die letzte Nacht, in der wir ungestört draußen schlafen können. Denn jetzt kommen Insekten an Bord – untrügliches Zeichen, daß wir uns dem Land nähern. Schon zwei Tage später erreichen wir die Bucht von Yokohama. Die „Asia“ bleibt zunächst auf Reede. Wir wollen nicht so lange warten, bis sie im Hafen festmacht, und fahren mit dem Lotsenboot an Land. Mit einer Strickleiter klettern wir aus dem Schiffsbauch und springen auf das Boot, das bei sechs Windstärken auf den Wellen auf- und abtanzt. Wir mögen uns kaum hinsetzen, denn die Polstersessel in der Kajüte sind alle mit weißen Spitzendeckchen überzogen. Die Zöllner im Hafen von Yokohama sind irritiert, nur selten kommen Europäer auf solch ungewöhnliche Weise in Japan an.
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