piwik no script img

Lustig leiden am „MOI“

Viele fehlende Gliedmaßen beim Ingeborg-Bachmann-Jubiläumslesen in Klagenfurt. Der Trend geht zur allseits reduzierten Rumpfexistenz. Auch aus Berlin kommt man jetzt immer öfter  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Um anfangen zu können, muß man erst mal alles vergessen. Zum Beispiel den Tag, an dem die Lesungen beginnen sollten, oder den Zettel, auf dem der Name des Hotels steht. Dann erinnert man sich wieder. Daran, daß der Bachmann-Preis an ihrem 70. Geburtstag beginnen sollte und daß der Name des Hotels aus zwei Worten besteht und daß O und A dominierten, und schaut ins Telefonbuch, und ein Schriftbild entspricht der vagen Erinnerung, und alles kommt einem irgendwie auch literarisch vor.

Im Klagenfurter Hotelzimmer am Neuen Platz liegt die offizielle Wettbewerbstasche, die jedesmal schicker wird. In der Tasche sind die Dinge, die man braucht, um sich während des „Bewerbs“ zurechtzufinden: Ein Heftchen mit den Namen und den Kurzbiographien der 22 Autoren und elf Juroren, zwei Einladungen zu irgendwelchen Festlichkeiten, ein Notizblock, ein Namensschild, das man dringend tragen soll und dann doch nicht trägt, weil es peinlich ist. Und immer gibt es wie in der Literatur ein Mehr, das einen freundlich begrüßen will: letztes Jahr ein Fläschchen Kräuterschnaps, diesmal die Einladung zu einer Reise ins nahe Istrien und ein hübsches blaues Piper-Büchlein mit ganz frühen Bachmann-Texten.

Eifrig bemühte man sich, die Namensgeberin des Preises zum 70. mit einer Bachmann-Nacht zu ehren. Eine schlecht vorbereitete, um so authentischer daherkommende Erika Pluhar moderierte. Mitschülerinnen erzählten, daß „Inge“ immer zu spät gekommen sei und irgendeine Arbeit in Hexametern geschrieben habe. Klaviergetönte Klagenfurt-Werbevideos kamen vorbei und Lebensdaten, ab und an auch im Film die Heldin beim brüchig bestimmten Vortrag eigener Gedichte.

Weder Arme, Beine, noch Geschlecht

Genervt schimpfte die spätere Mitpreisträgerin Felicitas Hoppe und suchte Spießgesellen, die wie sie nicht nur die Eröffnungsveranstaltung, sondern auch Ingeborg Bachmann unerträglich fanden. Daß der spätere Bachmannpreisträger Jan Peter Bremer die Texte der Namensgeberin eher scheußlich findet, ist nicht neu, wurde aber an diesem Abend besonders kraß deutlich und macht ja auch nichts, denn „die Wahrheit nämlich ist den Menschen zumutbar“ (Bachmann).

„Wolkenlos stand der Himmel blau über dem Reich“, heißt es in der Erzählung Bremers, der „nur wegen des Geldes gekommen war“, die 1.500 Mark Startgeld damit meinte und später dann 30.000 Mark bekam. In seiner fein gebauten Geschichte geht es um Fürsten und Diener und Einsamkeiten, und all die anderen Sätze waren auch sehr schön gebaut, nicht ganz so fein zwar wie die der späteren Ernst-Willner-Preisträgerin Felicitas Hoppe (Berlin), deren (an Kafka geschulter) Text allerdings auch ein bißchen zu kunstvoll adrett daherkam. Irgendwie war es irritierend mit ihr zu reden. Jeder Satz, den sie sprach, war druckreif und in ordnungsgemäßem Schriftdeutsch.

Einer der Trends in diesem Jahr hieß Berlin: Acht der 22 Autoren leben in der Hauptstadt; zwei weitere Texte spielen dort. Außerdem gab es einen Trend zum Indiskutablen – mindestens drei der präsentierten Texte wären mit ein wenig Glück in einer kleinstädtischen Schülerzeitung veröffentlicht worden. Einen „Trend“ zur Wirklichkeitsflucht, einen Trend zu Reduktion und Rumpfexistenz. Der Zürcher Autor Kurt Aebli ließ in einem langweiligen Text seinen gelangweilt autistischen Helden durch Berliner Ereignislosigkeiten taumeln. Im raffinierten Text des hochsympathischen Johannes Jansen (Berlin), der am Ende des Bewerbs schöne 15.000 Mark (Preis des Landes Kärnten) nach Hause nehmen konnte, geht es um einen ans Bett gefesselten Männerkopf, der manisch über Existenzielles und über Früher stets ergebnislos grübelt, der Held des Berliner Verwaltungsjuristen Heiko Michael Hartmann schließlich, hat weder Arme, noch Beine, noch Geschlecht, noch kann er sprechen.

Der schlanke 38jährige Dichter, der E. T. A. Hoffmann verehrt und bislang noch nichts veröffentlicht hat, stand immer etwas übermüdet mit seinem Dreitagebart in einem dunkelgrünen Anzug meist am Rande. So recht zugehörig zum Betrieb fühlte er sich nicht. Deshalb sah es auch besonders nett aus, wenn er zwischen anderen Dichtern auf dem Sofa in der Eingangshalle saß und sich im Fernsehen die Lesungen anschaute, die ein paar Meter weiter im Saal stattfanden. Zwar schreibt er schon eine Weile, doch hätte er zuvor „nur schwache Versuche“ unternommen, dem Literaturbetrieb beizutreten. „Wenn man niemanden kennt – persönlich –, ist das ja sehr schwierig, und dann muß man sich ja irgendwie in die Kreise hineinschleichen. Da bin ich nicht so der Typ zu. Es war auch nicht so, daß ich nach Klagenfurt wollte. Das hat sich so ergeben, daß ich etwas geschrieben hatte und einen Verlag [Matthias Gatza] fand, der das drucken wollte, über einen Bekannten. Und die wollten halt, daß ich komme.“ Wie die meisten fand er zwar auch einige Texte unmöglich, „doch das liegt einfach daran, daß die Menschen verschieden sind.“

In Hartmanns Geschichte, die Teil eines Romans ist, geht es grotesk, lustig und auch wieder sehr traurig um einen Mann, der an einer schrecklichen Krankheit namens „MOI“ leidet. Sprache und Geschlecht hat er wie gesagt längst verloren. Als glatter Rumpf liegt er im Krankenzimmer und denkt mal zeternd, mal traurig gegen die Trostlosigkeit seiner allseits reduzierten Existenz an. Mal phantasiert er auch und stellt sich – in einer der lustig schönsten Sexszenen, die ich kenne – vor, daß sich eine der jungen hübschen Krankenschwestern verliebt auf seine Nase setzt.

So relativistisch wie Hartmann geben sich nur wenige Dichter, wobei die Empfindlichsten nicht die Schlechtesten sind. Lydia Mischkulnig zum Beispiel, die ausnahmsweise nicht aus Berlin kommt, sondern in Wien lebt. In einem halsbrecherischen Tempo, das sie einlegte – aus Angst und um die Dreißig-Minuten-Grenze nicht zu überschreiten –, las die 32jährige einen der wenigen wirklich modernen Texte, die dieses Jahr präsentiert wurden. Ihre großartig schlackenlose Erzählung „Bande“ spielt im Hochglanzmilieu. Gudrun ist Modejournalistin; Kurt ist ihr Freund und der New Yorker Dirigent Enrico Fati ihr Liebhaber.

In knappen, zwischen Lustigkeit und Haß auf ihre leeren Protagonisten changierenden Sätzen, erzählt sie von modernen Geschlechterverhältnissen. Ein wenig wurde sie zwar mißverstanden, doch eigentlich von der eher unspektakulären Jury gelobt. Hernach verschwand sie sehr verletzt von der Atmosphäre des Wettbewerbs, die sie nur „grausig, grausig, grausig“ fand. Preisgekrönt wurde sie trotzdem.

Percy Stuart – das ist unser Mann

Eine andere Entdeckung des Wettbewerbs war die in Hamburg lebende Japanerin Yoko Tawada. Ihr Text enttäuschte zwar ein bißchen, dafür ist ihr an den jungen Barthes erinnerndes neues Buch „Talisman“ um so besser gelungen. Darin erklärt sie auch sehr überzeugend, weshalb Japaner im Ausland so gern fotografieren: „Ich erinnerte mich an eine japanische Sage von dem sogenannten Fuchsfenster. Wenn man allein im tiefen Gebirge unterwegs war, bekam man manchmal das Gefühl, als würde man unversehens eine seelische Grenze überschreiten und somit nie wieder als zivilisierter, vernünftiger Mensch in die Stadt zurückkehren können. In dem Fall sollte man schnell mit beiden Händen einen Kreis bilden und durch diese Öffnung die Naturlandschaft noch einmal betrachten. Dadurch konnte man vermeiden (...) verrückt zu werden. Den Kreis, den man mit den Händen bildete, nannte man das Fuchsfenster. (...) Der Fotoapparat ist das Fuchsfenster für die Reisenden im Ausland.“

Eine halbe Stunde hatten die Autoren, die andere halbe Stunde kritisierten die Juroren. Immer eine halbe Stunde, auch wenn bei einigen Texten jedes Wort eigentlich zuviel war. Der glatzköpfige Juror Thomas Hettche beeindruckte durch Souveränität, der Schweizer Hardy Ruoss hatte Katastrophales vorgeschlagen, überzeugte allerdings durch interessantes Outfit – irgendwie dachte man an Percy Stuart –, und die dichtende Jurorin Sabine Scholl, die klasse Dichter vorgeschlagen hatte, „hat Schwierigkeiten, sich zu artikulieren“, wetterte eine Frau. „Ich kann doch auch keinen Dreijährigen da hinsetzen.“ Ab und an schrie ein Baby. Dann drehten sich Frauen meist um und schauten lächelnd hin.

Der Sommer-Technohit von Robert Miles schwirrt überall durch die Gegend. Eine österreichische Tierbefreierorganisation demonstriert mit Pappmachéschweinen auf dem Neuen Platz gegen Vivisektion. Gestern stand da noch ein roter Würfel, aus dem Trancezeugs herausklang. Heute steht da nichts mehr.

Am ersten Tag hatte Jan Peter Bremer von den Dreharbeiten zu den dreiminütigen Autorenporträts erzählt. Ein junger Mann aus der Filmcrew sei erstaunt darüber gewesen, daß Bremer kein „Hobby“ habe: „Aber jeder Mensch hat doch ein Hobby.“ Darauf hätte keck der Schriftstellerfilmregisseur gesagt: „Schriftsteller gehen durch die Straßen und machen Beobachtungen – das ist ihr Hobby.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen