: Grapschen, küssen, vergewaltigen
Acht Polizeibeamte an Niedersachsens Landespolizeischule sollen ihre Schülerinnen sexuell mißbraucht haben. Junge Polizistinnen bezeugen die Macho-Sitten an der Schule ■ Aus Hannover Jürgen Voges
„Das hat sich in der Regel auf oder nach betrieblichen Festen abgespielt“, sagt der Sprecher der Göttinger Staatsanwaltschaft, Hans-Hugo Heimgärtner. Und immer sei Alkohol bei den sexistischen Attacken im Spiel gewesen. Die Lehrer oder Ausbilder hätten die jungen Frauen „an das Bein oder an den Busen gefaßt“, sie gegen ihren Willen geküßt. „Da ist häufig von Grapschen, Antatschen oder Fummeln die Rede“, faßt der Staatsanwalt die von der Kripo gesammelten Aussagen der Zeuginnen zusammen. Die Göttinger Kripo hatte im Kollegenkreis zu ermitteln: Die 16 Zeuginnen, die sie vernommen hat, sind junge, zwischen 17 und 20 Jahre alte Polizistinnen, die kürzlich an der Landespolizeischule Niedersachsen ihre Prüfung abgelegt haben. Acht Männer im Alter von knapp 30 bis 50 Jahren, die die Göttinger Staatsanwaltschaft jetzt wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen im Visier hat, sind ebenfalls Polizeibeamte, Fachlehrer oder Ausbilder für Sport und Schießen an der gleichen Polizeischule in Hannoversch Münden.
Auf die Gewalt gegen Frauen an der Schule für Sicherheit und Ordnung ist die Göttinger Staatsanwaltschaft durch eine Strafanzeige einer Polizeischülerin aufmerksam geworden. Die Polizeianwärterin habe zunächst drei Mitschüler beschuldigt, sie gemeinschaftlich vergewaltigt zu haben, sagt Staatsanwalt Heimgärtner. Später habe sie ihre Aussage präzisiert. Gegen einen in Hannoversch Münden ausgebildeten Polizeianwärter werde nun wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer Kollegin ermittelt. Der Beschuldigte, so sagt es Heimgärtner, „bestreitet nicht, daß es zum Geschlechtsverkehr gekommen ist“. Er gebe aber an, eine Beziehung mit seiner Kollegin gehabt zu haben.
Bei ihrer Strafanzeige wegen Vergewaltigung hatte die Polizeianwärterin auch erstmals von Sexualdelikten von Polizeilehrern berichtet, hatte Namen von Mitschülerinnen genannt, die auf Betriebsfeiern begrapscht worden waren. Die 16 Zeuginnen, die daraufhin von der Kripo nach und nach vernommen wurden, haben nach Angaben der Staatsanwaltschaft auf die augenscheinlich groben Macho-Sitten der Polizeilehrer durchaus unterschiedlich reagiert. Ein Teil der vernommenem Polizeianwärterinnen habe den Vorwurf der sexuellen Belästigung bestätigt, einige hätten aber auch von normalen Kontaktaufnahmen oder von freiwilligen sexuellen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen der Polizei gesprochen. Das Verhalten von acht Polizeilehrern hat die Göttinger Staatsanwaltschaft nun einer „rechtlichen Bewertung“ zu unterziehen. Sie prüft gegenwärtig, welche der von den Zeuginnen geschilderten „sexuellen Handlungen, den Tatbestand des Mißbrauchs von Schutzbefohlenen erfüllen“.
Zwei Polizeilehrer, im Alter von 40 und 50 Jahren, hat die Landespolizeischule inzwischen von Dienst suspendiert. Einer der beiden Beamten soll sich nach einer Feier in das Zimmer einer Polizeischülerin geschlichen haben, der im Bett liegenden die Decke weggezogen und sie berührt haben. Die Leitung der Polizeischule sieht sich allerdings zu Unrecht um ihren guten Ruf gebracht. „Die Geschlechter gehen hier auch nicht anders miteinander um, als etwa an der Universität in Göttingen“, sagt der Verwaltungschef der Schule, Erwin Poppe. Von den Vorfällen habe die Leitung der Schule erst viel später erfahren, da sie sich „auf lehrgangsspezifischen Feiern“ ereignet hätten.
Auch die Frauenbeauftragte der Schule, Renate Heumann, will zwar die „Übergriffe keineswegs entschuldigen“, meint aber, daß es „solche Dinge eben überall gibt, in allen gesellschaftlichen Schichten vom Arbeiter bis zum Manager“. Die Frauenbeauftragte ist seit 25 Jahren an der Polizeischule und hat selbst „mal mehr und mal weniger Sprüche“ von den männlichen Kollegen erlebt. Die Grenze zwischen Belästigung und Erlaubtem sei oft schwer zu ziehen, sagt sie. Allerdings seien die Polizeischülerinnen oft noch sehr jung, „erst 16 Jahre alt“, wenn sie in die Wohntrakte der Schule einziehen würden.
Die niedersächsischen Bündnisgrünen sehen „in den männerbündischen Strukturen in der Polizei“ die Ursache der Übergriffe gegen Polizistinnen. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Brigitte Pothmer, befürchtet, daß „bekanntgewordenen Vorfälle nur die Spitze eines Eisbergs sind“. Im niedersächsischen Innenministerium sieht man allerdings keinen Handlungsbedarf: „Die Kasernierung von Polizeischülern ist ein Auslaufmodell“, sagt der Sprecher des Innenministeriums. Und auch die Landespolizeischule werde gerade in eine Polizeifachhochschule umgewandelt. Damit entfalle auch die Pflicht, in der Polizeischule zu wohnen.
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