piwik no script img

■ Überraschender Bußgeldbescheid nährt Zweifel an der Gültigkeit liebgewordener MentalitätswitzeVon hervorragenden Männern und den Verkehrsampeln in Palermo

An die

Stadtverwaltung von Palermo

Stadtpolizeikommando

Via Dogali 29, Palermo, Italien

Sehr geehrte Herren,

es stimmt, ich bin der Besitzer der kleinen Vespa mit dem Nummernschild 59765. Ich habe sie vor Jahren gekauft vom Mechaniker des schönsten Dorfes der Toskana – Talla –, das Sie wahrscheinlich nicht kennen. Der Mechaniker heißt Osvaldo Rossi und ist ein hervorragender Mann, der sogar sonntags arbeitet.

Meine Vespa mit dem Nummernschild 59765 ist schon sehr alt, der Mechaniker schätzt sie auf mindestens zwanzig Jahre, aber für mich tut sie es noch, da ich sie nur drei- bis viermal im Jahr benutze, um bei Santino meine Einkäufe zu machen, übrigens ein anderer ganz außergewöhnlicher Mann in Talla – aber das ist eine andere Geschichte. Aber jetzt: Sie beschuldigen mich, mit meiner Vespa am 24. Februar 1996 in Palermo in der Via le Regionae Siciliane eine Kreuzung trotz roter Ampel überquert zu haben. Dafür soll ich 118.000 Lire bezahlen.

Abgesehen davon, daß ich an diesem Tag in Berlin war, wo sich die Korrespondenten der „tageszeitung“ trafen, um neue Projekte für die Zukunft zu schmieden, und auch abgesehen davon, daß meine Vespa gut verschlossen in meinem Haus in Talla stand, habe ich da noch einige Fragen:

Ist dieses System der Geldeintreibung erfolgreich? Ich frage deshalb, weil ich das halbe Jahr in Stuttgart lebe, einer deutschen Stadt, die ebenfalls quasi bankrott ist. Aber hier sind sie so dumm, deswegen die öffentlichen Einrichtungen wie Bäder, Bibliotheken und so weiter zu schließen. Wenn also Ihr System von Erfolg gekrönt wäre, warum es nicht nach Deutschland exportieren? Und noch etwas ganz anderes: Bei uns in Deutschland gibt es einen bösen Witz, der so geht: Woran erkennt man einen Vollidioten? Nimm ihn mit nach Palermo und beobachte, ob er an einer roten Ampel stehenbleibt. Bleibt er stehen, ist er ein Vollidiot.

Nun wäre für mich natürlich interessant zu erfahren, ob dieser Witz veraltet ist und sich die Dinge in Palermo völlig verändert haben. Im Gegenzug kann ich Ihnen dafür bestätigen, daß der Witz, den ich vor einigen Jahren in Italien gehört habe, noch gültig ist. Woran erkennt man einen Deutschen? Wenn in der Nacht um drei Uhr an einer verlassenen Straße ein Fußgänger bei Rot vor einer Ampel wartet – dann ist es ein Deutscher.

Ich hoffe, ich habe Sie nicht allzu sehr aufgehalten bei Ihrem Versuch, Palermo vor dem Bankrott zu retten, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Philipp Maußhardt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen