: Ein Blüten-Rauten-Traum
■ Die französische Klamauktruppe Deschamps & Deschamps gastierte mit einem Spektakel über die Modewelt in Schwerin
Die „Deschiens“ sind ein räudiger Haufen glupschäugiger, versoffener Hausmeister und keifender Hausfrauen, nebst einem Akkordeon und einer Promenadenmischung, die mit Vorliebe in Blumentöpfe pißt. Seit bald drei Jahren verdirbt dieser Stoßtrupp für ein würdevolles Leben im falschen den Franzosen das Abendessen. Von Montag bis Freitag, pünktlich um 20.12 Uhr, verkrachen sich Familien über den Drei-Minuten- Auftritt der Deschiens in Canal+. Dann ergreift drei Millionen Zuschauer die Sucht nach den schlechten Witzen, der nie ermüdenden Boshaftigkeit und den bizarren Kostümen dieser allabendlichen Attacke der Wirklichkeit auf die mediale Herrschaft der Happy-few.
Hinter den Deschiens verbergen sich Deschamps & Deschamps. Seit 1978 existiert die Truppe von Jérôme Deschamps und Macha Makeieff. In Frankreich längst ein Ereignis, ist sie in Deutschland noch weitgehend unbekannt. Anders in Schwerin. Schon vor zwei Jahren lösten Deschamps & Deschamps mit „C'est magnifique“ Begeisterung aus. Nach dem Gastspiel am Wochenende mit ihrer neuen Produktion „Le Défilé“ beim Europäischen Festival 96 lag ihnen die mecklenburgische Provinzhauptstadt zu Füßen.
In diesem Defilee imitieren vom Leben beschädigte Kreaturen, hoffnungslos unbegabt, die große Welt der Haute Couture. Die wundersamsten Geschöpfe scharwenzeln, wippen, trippeln und tänzeln in einem textilgewordenen Alptraum über den Laufsteg. Zwei Paravents für die Auftritte, tapeziert mit den Blüten-Rauten-Träumen grausamer Gemütlichkeit. Dazu die obligatorische Bretterwand, ein unverzichtbares Requisit. Hinter ihr lugen Nasen hervor, Haare, manchmal Augen.
Und dann verschwinden sie ebenso ruckartig wieder. Denn die Deschamps' sind wie Kinder, für die der Ruck, die plötzliche Ablenkung, der unvermittelte Wechsel die bevorzugte Bewegungsform darstellt. Fußkranke männliche Hausfrauenmaschinen mit gewaltigem Hinterteil watscheln vorbei, schmerbäuchige Models in den farblosesten Blousons seit Leipzig anno 1989 paradieren stolz im Wiegeschritt.
In dieser Modenschau präsentieren die Deschamps' den „Traum- und Überlebensplunder“ ihrer Hohepriesterin und Ausstatterin Macha Makeieff. Madame Makeieff muß das Gemüt eines deutschen Heimwerkers haben. Sie kann nichts wegschmeißen. In einer Pariser Rumpelkammer sammelt sie leidenschaftlich die gelebten Sachen eines kleinen, zerfledderten Lebens. Für „Le Défilé“ hat sie ihre Schatzkisten mitgebracht und auf die Bühne entleert. Ganze Arsenale eierwärmerartiger Kopfbedeckungen, unwahrscheinliche Kollektionen von Kittelschürzen, dazu dann Handtaschen wie Sprengbomben und – natürlich – Trainingsanzüge in jeder Fasson.
Auftritt Robert Horn: In weißen Nylons, gigantischen Ohrclips und einer Wurstpelle von blau- braun gemustertem Kittel schwebt dieser viereckigste aller Tenöre herein, singt ein Lied und segelt wieder davon. Oder Lorella Cravotta: Ihr lasziver Tanz mit einem Stuhl endet in einem Manöver, bei dem sie zugleich der Länge nach über das Möbel hinwegkippt und schmerzhaft mit ihm zusammenprallt. In besonders kostbaren Momenten stößt sie ein Plärren aus, unbeschreiblich unschuldig, wie ein Tonbandgerät im Fast-forward-Lauf. Ein Wunder.
Mag sein, das Lachen der Schweriner war klassische Abweisung unliebsamer Erinnerung, angesichts einer Lebensmode à la DDR, die sich da auf dem Laufsteg präsentierte. Mag sein, die Zuschauer erkannten sich wieder in diesen Ausgestoßenen des Paradieses, in diesem Triumph von Strickjacke und ärmelloser Weste über den Rest der Welt. Vielleicht aber waren sie einfach nur froh über Jérôme Deschamps' Plädoyer für die Würde eines unscheinbaren Daseins. Und nahmen es als Rehabilitierung ihrer eigenen schwankenden Existenz. Nikolaus Merck
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