: Der Totengräber von Potsdam
Potsdamer Denkmalschützer schlagen Alarm: Der geplante Havelausbau gefährdet durch die nachfolgenden Grundwasserabsenkungen die Potsdamer Kulturlandschaft. Kippt die Preußenresidenz? ■ Von Ansgar Oswald
Was der Zweite Weltkrieg und 40 Jahre Sozialismus nicht schafften, könnte Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann gelingen. Denn das Vorhaben „Verkehrsprojekt 17 Deutsche Einheit“ bedroht nicht nur die Natur, sondern gefährdet auch die Potsdamer Kulturlandschaft.
Erst kürzlich schlug die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Alarm. Dort befürchtet man, daß durch den Havelausbau die barocke Potsdamer Innenstadt mit dem Holländischen Viertel und die Bauwerke in der Park- und Seenlandschaft einstürzen könnten. Denn die Landeshauptstadt steht auf einem weitgehend sumpfigen oder sandigem Eiland. Vor allem in Uferlagen und im Zentrum stehen die Gebäude auf Pfahlrosten.
Das geht aus den historischen Bauplänen hervor, weiß der Stiftungsreferent für Baudenkmale, Stefan Gehlen. Die Potsdamer Häuser wurden im 18. Jahrhundert entsprechend der Pegelstände gebaut, erklärt der Kunsthistoriker und verweist auf die Beschreibung der Bautechnik des friderizianischen Baumeisters Heinrich Manger. Betroffen ist auch die Berliner Vorstadt auf der romantischen Landzunge zwischen Heiligensee und Glienicker Lake, wo sich derzeit die Prominenz um Talkmaster Günther Jauch die Filetstücke der Villensiedlung für ihre neuen Bungalows gesichert hat.
Schon jetzt sei der Grundwasserspiegel so niedrig, daß die Pfähle von Bürgerhäusern und Palais mehrere Zentimeter freistehen und die Fäulnisbildung wirksam wird. Obgleich der Zustand seit den fünfziger Jahren bekannt ist, gebe es noch keine aktuelle flächendeckende Analyse der Baugründungen.
Die müsse laut Denkmalsreferent Gehlen nun die Schiffahrtsdirektion Ost veranlassen, „damit wir nachher den Bund als Bauherrn für etwaige Folgeschäden haftbar machen können“. Nachgründungen seien erfahrungsgemäß „finanziell ein Wahnsinn“, weiß der Kunsthistoriker Gehlen, und könnten das inzwischen mit 5,5 Milliarden Mark veranschlagte Projekt 17 in eine ungeahnte Folgekostenspirale treiben.
Auch die Potsdamer Stadtquartiere, die auf Sandböden stehen, könnten von Grundwasserabsenkungen betroffen werden. Denn ausgetrocknete Sandböden verlieren an Volumen. Die entstehenden Hohlräume führten unweigerlich zu Absackungen.
Wegen dieses Risikos wurde unlängst der Bau einer Tiefgarage im Potsdamer Stadtzentrum abgeblasen. Auch den Stadtplanern wird es bange. Denn Potsdam will sich bis zur Bundesgartenschau im Jahr 2001 als Garten- und Parkstadt präsentieren. Zudem wird die Innenstadt mit einem Aufwand von rund 500 Milionen Mark grundsaniert.
Im Wasserstraßen-Neubauamt Berlin werden Bedenken vom Tisch gewischt. „Das Projekt 17 hat keine Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel, weil die Havel ein staureguliertes Gewässer ist“, heißt es dort lapidar. Deshalb werde der mittlere Wasserstand nicht beeinflußt.
Der Stiftungsdirektor für die Gärten, Michael Seiler, sieht das anders. Er verweist auf die Schäden, die durch den ersten Havelausbau ab 1876 entstanden. Nach Fertigstellung des Sacrow-Paretzer- und des Teltowkanals 1906 hatten fünf Jahre später sämtliche Maschinenhäuser Wassernotstand gemeldet, weil die „Saugrohre in der Havel nur noch Luft zogen“, heißt es in einer zeitgenössischen Aktennotiz. Die Hüter des Potsdamer Gesamtkunstwerkes, das seit 1991 bei der Unesco als Weltkulturerbe kartiert ist, fürchten deshalb durch die Wasserautobahn um Bestand und Reiz des naturlandschaftlich-architektonischen Arrangements.
Betroffen sind gleich fünf große Parkanlagen: Neuer Garten, Sacrow, Pfaueninsel, der Bereich zwischen Glienicker Lake und Griebnitzsee, wo der Durchstich von gegenwärtig 18 Metern auf 42 erweitert wird. Gegenüber dem Glienicker Horn ist am Park Babelsberg ein 60 Meter tiefer radialer Landabstich vorgesehen.
Hinzu kommt eine Containerschiffanlegestelle bei Nedlitz. Der verstärkte Wellenschlag durch die Großschiffe mache durchgängige Uferbefestigungen unumgänglich. Auch Jürgen Meyerhoff vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin glaubt, daß es beim derzeitigen Planungsstand nicht bleiben wird. „Ein Eingriff zieht den nächsten nach sich“, so Meyerhoff.
Selbst die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes räumt ein, daß es „in wachsendem Abstand von den Staustufen im Raum Potsdam zunehmende Wasserstandsabsenkungen von ein bis elf Zentimetern“ geben wird. „Die Grundwasserstandsänderungen liegen in der gleichen Größenordnung“, heißt es dort weiter.
Doch schon neun Zentimeter weniger sind für die Bauwerkgründungen tödlich, sagt der Potsdamer Gartendirektor Seiler. Durch den sinkenden Grundwasserspiegel würden zudem Baumbestände, Feuchtwiesen und Krautflora weiter vernichtet.
Seiler rechnet mit einem Absterben der Flora auf einer Uferzonenbreite von bis zu 60 Metern. Denn ein vergrößerter Querschnitt und gleichzeitiges Ausbaggern der Havel um 3,50 Meter gefährdeten die periodischen Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser.
Die Flußdynamik hat laut Rocco Buchta vom Naturschutzbund Brandenburg bereits abgenommen. Während der Wasserspiegel der Havel noch im 19. Jahrhundert ein Gefälle von fünf Zentimetern je Kilometer gehabt habe, liege das jetzt nur noch bei einem Zentimeter. Geringe Wasserstandsschwankungen sind tödlich für die Biotope und das Verhältnis von Oberflächen- und Grundwasserhaushalt, aber gut für die Schiffahrt. Eine Studie des Deutschen Rats für Landespflege von 1994 zu den ökologischen Auswirkungen beim Ausbau von Elbe, Saale und Havel bestätigt das mit dem Resultat bisheriger Eingriffe: „Die Auewald- und Erlenbruchbestände sind von 125.000 Hektar im Jahr 1900 auf heute 13.000 Hektar geschrumpft.“ Zudem sei der mittlere Wasserzufluß der Havel gesunken, so Buchta. Die Wasserbilanzen des Wasserstraßen- Neubauamts bezögen sich lediglich auf die Jahre 1979 bis 1990 und seien somit unbrauchbar, behaupten die Naturschützer.
Die Erfahrungen aus den Eingriffen in den Naturhaushalt beim Rhein-Main-Donau-Kanal bestätigen die ärgsten Befürchtungen: Grundwasserabsenkungen teilweise von bis zu drei Metern ließen Biotope wie das Niedermoor austrocknen. Im touristisch beliebten Altmühltal starben die Feldahornbäume, in Dietfurt sackten über 80 Häuser ab, an Gebäuden entstanden Risse. Das war 1992.
Zudem warnt auch eine Studie, die das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung für das brandenburgische Umweltministerium anfertigte, wegen der Klimaveränderungen vor dem Havelausbau. Brandenburg werde bis zum Jahr 2050 mit einem Anstieg der mittleren Jahresdurchschnittstemperatur um 1,5 Grad zu rechnen haben.
Große Trockenperioden würden die mittleren Wasserstandswerte erheblich beeinflussen. Es fließt also weniger Wasser die Havel hinunter. Die Untersuchung basiert auf Daten der Meteorologischen Station Potsdam von 1937 bis 1992.
Potsdams Wasserbehörde hat außerdem darauf hingewiesen, daß bereits der Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals von 48 auf 55 Meter Breite und die Verbreiterung des Nedlitzer Durchstichs durch Spundwände die Durchflußmengen der Havel bei Potsdam und zugleich den Grundwasserspiegel sinken ließen. Dadurch werde die ohnedies strömungsarme Potsdamer Havel zur Kloake, erläutert der kommunale Amtsleiter Dieter Bolze. Beide Eingriffe gefährden durch die abnehmende Wasserqualität die Trinkwasserversorgung der Landeshauptstadt.
Seitens des Bundesverkehrsministeriums werden diese Folgen samt und sonders heruntergespielt und selbst in der Umweltverträglichkeitsstudie geglättet. Die Vertreter des Wasserstraßen-Neubauamts geben sich über jede Kritik erhaben: Alles sei in den Griff zu kriegen. Zeitgleich wird den Bürgern unverdrossen eingebleut, das Projekt sei „ökologisch sinnvoll“, und Kritik „als Unkenntnis und Ignoranz“ abgestempelt. Das Wasserstraßen-Neubauamt legt noch eins drauf und verkündet auf Hochglanzfaltblättern paradiesische Zeiten für „Fischadler, Biber, Reiher, Otter und Wattvögel...“ durch den Havelausbau. Allerdings: Diese Verspechungen stehen im Konjunktiv.
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