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Späte Begnadigung eines Opfers

■ Eine Hausangestellte, die ihren Vergewaltiger tötete, ist frei

Paris (taz) – Wäre Sarah Balabagan nicht gewesen, hätte die Öffentlichkeit Véronique Akobé vermutlich vergessen. Die junge Frau von der Elfenbeinküste hätte ihre Strafe wegen Mordes in Frankreich abgesessen und wäre erst im Jahr 2010 in die Freiheit zurückgekehrt. Doch die weltweite Kampagne zur Rettung der jungen Filipina vor der Todesstrafe in den Arabischen Emiraten half auch ihrer Leidensgenossin in Frankreich: Gestern abend konnte die ehemalige Hausangestellte Véronique Akobé das Gefängnis von Rennes verlassen. Die Begnadigung durch Präsident Jacques Chirac hatte es möglich gemacht.

Akobé war 1990 wegen Mordes zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die heute 32jährige hatte den Sohn ihres Arbeitsgebers in Nizza ermordet und den Arbeitgeber selbst schwer verletzt, nachdem sie von beiden mehrfach vergewaltigt worden war. Sie war in einer Augustnacht in das Zimmer des 22jährigen Thierry Scharr gegangen und hatte ihn mit zwei präzisen Stichen ihrer Küchenmesser im Schlaf ermordet. Anschließend stach sie auf den 63jährigen Georges Scharr ein, der neben seiner Gattin schlief, und verletzte ihn schwer. Vor Gericht beschrieb die ehemalige Hausangestellte die Erniedrigungen der Vergewaltigungen durch Vater und Sohn. Georges Scharr schwor, daß Akobé eine Lügnerin sei.

Der Pflichtverteidiger der mittellosen Angeklagten war Jacques Peyrat. Das einstige Mitglied der rechtsextremen „Front National“ und inzwischen Bürgermeister von Nizza plädierte engagiert für seine Mandantin. Doch seine Rufe verhallten. Während des Prozesses gab es keine prominenten FürsprecherInnen für die Täterin, die zugleich Opfer gewesen war. Erst im vergangenen Jahr, als französische Anwältinnen und Feministinnen zu dem Balabagan-Prozeß in die Arabischen Emirate reisten, wendete sich auch für Akobé das Blatt. In ihrem Herkunftsland und in Frankreich unterschrieben Zigtausende Petitionen für ihre Freilassung. Die „europäische Vereinigung gegen Gewalt gegen Hausangestellte“ startete eine Kampagne.

Die junge Frau will nach ihrer Freilassung ihren Philosophielehrer aus dem Gefängnis heiraten und in Frankreich bleiben. Ihre neue Anwältin, Françoise Gallot- Lavallée, bezeichnete die Begnadigung gestern als Anerkennung der Tatsache, daß Akobé „auch Opfer“ gewesen sei. Dorothea Hahn

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