piwik no script img

Bormann: Der Hitler-Vize ist nicht totzukriegen

■ 1945 starb er in Berlin. Seitdem haben ihn ganz viele Menschen lebend gesehen

Am 16. Juli würde Martin Bormann 96 Jahre alt werden. Daß der ehemalige Hitler-Intimus, NSDAP-Reichsleiter und Stellvertreter des „Führers“ allerdings heute noch lebt, behauptet niemand. Die Gerüchte aber, wann und wo Bormann ums Leben gekommen ist, sind nicht verebbt – 23 Jahre, nachdem Bormann offiziell für tot erklärt wurde und die Frankfurter Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungsakten schloß.

Seit 1961 hatten die Frankfurter Fahnder nach Bormann gesucht, bis bei Bauarbeiten in West-Berlin im Dezember 1972 Gebeine gefunden wurden, die von Gerichtsmedizinern „mit allergrößter Wahrscheinlichkeit“ als die von Bormann identifiziert wurden. Dies bestätigte die Zeugenaussage von Exreichsjugendführer Arthur Axmann, der die Leichen Bormanns und des Hitler-Leibarztes Ludwig Stumpfegger am 2. Mai 1945 – wenige Tage nach Hitlers Selbstmord – an der Berliner Invalidenstraße gesehen haben wollte. Als Todesursache Bormanns vermuteten die Mediziner Selbstmord durch Zyankali.

Die Identifizierung der Leiche beseitigte die Zweifel, die angedauert hatten, seit Bormann bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 1946 „in Abwesenheit“ zum Tode verurteilt worden war. Sein Pflichtverteidiger hatte es damals nicht fertiggebracht, den Tod seines Mandanten nachzuweisen und damit eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.

Bormann stand bei den Nazis in der ersten Reihe: Am 16. Juli 1900 in Halberstadt geboren, war er Anfang der 20er Jahre als Mitglied des „Freicorps Roßbach“ in rechtsradikale Aktivitäten verwickelt, wurde 1924 wegen Beteiligung an einem Fememord zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, lernte dort den späteren Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höss kennen und schloß sich nach seiner Freilassung der NSDAP an. 1928 übernahm Bormann in der Parteizentrale die „SA-Versicherung“, eine Art Knastkasse für die SA- Prügeltrupps, und baute sie zur „Hilfskasse der NSDAP“ aus. Nach der Machtergreifung 1933 wurde er Stabsleiter beim Hitler- Stellvertreter Rudolf Heß. Im Oktober 1933 erhielt er den Titel eines „Reichsleiters“ der NSDAP. In der Folge machte sich Bormann immer unentbehrlicher, wachte über Hitlers Termine und verwaltete sein Privatvermögen. Rüstungsminister Albert Speer schrieb später über Bormann: „Selbst unter den vielen gewissenlosen Machtträgern stach er durch seine Brutalität und Gefühlsroheit hervor; er verfügte über keinerlei Bildung, die ihm Schranken auferlegt hätte, und setzte in jedem Falle durch, was Hitler befohlen hatte (...) Von Natur aus subaltern, behandelte er seine Untergebenen, als hätte er es mit Kühen und Ochsen zu tun; er war Landwirt.“ Nachdem Heß im Mai 1941 nach Schottland flog, wurde Bormann 1942 zum „Stellvertreter des Führers“ ernannt.

Am frühen Morgen des 2. Mai 1945 standen längst sowjetische Truppen in Berlin. Hitler war tot. Der von Bormann organisierte „Volkssturm“ konnte wahrlich keine Wende mehr herbeiführen. So setzte sich Bormann aus Hitlers Bunker ab. Hitlers ehemaliger Chauffeur Erich Kempka berichtete für die Verteidigung bei den Nürnberger Prozessen seine Augenzeugenversion desssen, was dann passierte: Eine Granate traf einen Panzer, an dem Bormann gerade vorbeilief. Kempka habe Bormann zusammenbrechen sehen, dann selbst das Bewußtsein verloren – und als er wieder erwacht sei, sei von Bormann keine Spur mehr gewesen. Der Zweifel blieb.

So nimmt es nicht wunder, daß in den Folgejahren immer wieder Bormann in allen Teilen der Welt gesehen wurde. Allein in Lateinamerika wurden im Laufe der Jahre 16 Personen unter dem Verdacht verhaftet, Bormann zu sein. Der CIA stellte dazu mehrere Arbeitshypothesen auf: Entweder war Bormann ein sowjetischer Agent und wurde von der Roten Armee in die Sowjetunion geschafft; oder er lebe als britischer Agent in Großbritannien, nachdem er selbst Heß zur Kontaktaufnahme mit dem Geheimdienst Ihrer Majestät nach Schottland geschickt habe. Oder er sei Teil einer großen Verschwörung von Nazis gewesen, die minutiös ihre Flucht nach Südamerika geplant hätten.

Die Sowjetthese griff der ehemalige Chef der Wehrmachts-heeresgruppe Ost und spätere Gründer des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, auf. In seinen 1968 veröffentlichten Memoiren schrieb er, er habe Beweise, daß Bormann ein Sowjetspion gewesen sei und in der UdSSR lebe. Welche Beweise, dürfe er nicht sagen. Dieser Humbug wurde von Altrechten begierig aufgegriffen, die darin schon den Grund für die Niederlage Nazi-deutschlands im Weltkrieg vermuteten. Die „Beweise“ sind nie aufgetaucht.

Anfang dieses Jahres erschien in Großbritannien ein Buch, dessen Autor behauptete, Churchill habe Bormann 1945 nach England geholt, um von ihm Aufschluß über den Verbleib der Nazigoldschätze zu erhalten. In einem britischen Dorf sei Bormann 1989 gestorben.

Und der jetzt in Argentinien aufgetauchte Paß knüpft an eine Geschichte an, die der ungarische Bestseller-Autor und Spionage- Fachmann Ladislas Farago schon 1972 für den britischen Daily Express recherchiert hatte. Unter dem Titel „Weltexklusiv – jetzt der Beweis: Bormann von Angesicht zu Angesicht“ hatte Farago damals berichtet, Bormann lebe als „Ricardo Bauer“ in Chile, sei aber die meiste Zeit in Argentinien als Großkaufmann tätig. Der argentinische Geheimdienst beobachte „Bauer“ schon seit längerem. Mehrere hundert Millionen Dollar habe Bormann an Bord deutscher U-Boote nach Argentinien verschiffen lassen – den Grundstock seines Kapitals. Beweisen konnte auch Farago seine Geschichte nicht.

Auch Nazijäger Simon Wiesenthal bezweifelte lange Zeit die These vom Tod Bormanns in Berlin 1945 und ging den Hinweisen aus aller Welt nach, kamen sie nun aus Ecuador, Brasilien, den USA oder Algerien.

Erst nach den medizinischen Untersuchungen 1972/73 schloß er sich der Meinung der Frankfurter Staatsanwaltschaft an. Die neuen „Enthüllungen“ aus Argentinien und Chile hält Wiesenthal für Humbug. Gegenüber der taz sagte er: „Wenn die Presse nichts zu schreiben hat, dann schreibt sie halt über Bormann.“ Bernd Pickert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen