: Wer die Wähler belügt, wird zur Kasse gebeten
■ Urteil gegen Politiker in Frankreich wegen eines falschen Wahlversprechens
Paris (taz) – Wenn das Urteil gegen Bernard Martin Schule macht, müssen französische Politiker künftig ihre Arbeit neu erfinden: Der lothringische Regionalrat wurde für schuldig befunden, seine Wähler belogen zu haben. Ein Gericht in Nancy brummte ihm dafür am Mittwoch eine Geldstrafe in Höhe von 20.000 Franc (ca 6.000 Mark) auf. Für den konservativen Provinznotar Martin, der bereits seit 1970 im Generalrat des Kleinstädtchens Badonviller sitzt, stand im Kantonalwahlkampf 1993 die Wiederwahl auf dem Spiel. Zwei Wochen vor der Wahl ließ er in seinem von 20prozentiger Arbeitslosigkeit betroffenen Wahlkreis ein Flugblatt verteilen, in dem er eine unmittelbar bevorstehende Großinvestition ankündigte. Das belgische Unternehmen „Sun Park“ werde einen Freizeitpark anlegen, der bei einer Investitionshöhe von 600 Millionen Franc (ca 180 Millionen Mark) 310 neue Arbeitsplätze schaffen würde, versprach er schriftlich. Wenige Tage später wurde er mit 50,5 Prozent der Stimmen bereits im ersten Wahlgang wiedergewählt.
Der Haken war, daß das belgische Unternehmen sein Projekt bereits gestrichen hatte, als Martin das Flugblatt schrieb und daß dies dem Regionalrat bekannt gewesen sein muß.
Martins unterlegener Gegenkandidat – auch ein konservativer Politiker, der 15 Prozent der Stimmen bekommen hatte – machte wegen dieser Lüge den Versuch, die Wahl vom Verfassungsrat annulieren zu lassen. Als er damit scheiterte, ging er vor Gericht, wo vier Jahre verhandelt wurde. Der Anwalt des Angeklagten machte in seinen Plädoyers unter anderem geltend, der Vorwurf der „Wählerstimmenerschleichung mit falschen Versprechungen“ ginge ins Leere, weil das bei Politikern gang und gäbe sei. So hätte unter anderem der spätere Präsident François Mitterrand während seines Wahlkampfes Entschädigungen für jeden verlorengehenden Arbeitsplatz in Lothringen angekündigt.
Martin, der im Amt bleiben darf, ist bei dem Urteil noch glimpflich davongekommen: Die Höchststrafe für betrügerische Wählerstimmenerschleichung beträgt 200.000 Franc und ein Jahr Gefängnis. Dorothea Hahn
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