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„Klinken putzen bei der Industrie“

Die Bundesregierung und die neuen Länder legen ein Förderprogramm für Lehrstellen in Ostdeutschland auf. Unter dem Strich gibt es 1997 aber weniger Mittel für den Aufbau Ost  ■ Aus Bonn Jochen Pfender

In den neuen Bundesländern sollen 1996 mit Hilfe eines gemeinsamen Förderungsprogramms der Bundesregierung und der Regierungen der neuen Länder 14.300 zusätzliche Lehrstellen geschaffen werden. Das teilten Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU), Berlins Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), nach der Unterzeichnung der Bund-Länder-Vereinbarung gestern in Bonn mit.

Die Vereinbarung soll etwa zehn Prozent der in den neuen Ländern benötigten 140.000 Lehrstellen abdecken. Insgesamt suchen in der Bundesrepublik derzeit 620.000 Jugendliche einen Ausbildungsplatz. Die Kosten des Programms in Höhe von 380 Millionen Mark werden vom Bund und von den Ländern jeweils zur Hälfte übernommen.

Die Bund-Länder-Initiative soll zusätzliche Lehrstellen vorrangig in den kleinen und mittleren Betrieben schaffen. Besonders gefördert wird der Medienbereich, in dem laut Rüttgers seit 1995 23 Ausbildungsberufe modernisiert und drei völlig neue Berufe geschaffen wurden.

Rüttgers begründete das Programm damit, daß das Lehrstellenangebot in den neuen Ländern 1995 statt um die von der Wirtschaft versprochenen zehn Prozent erst um zwei Prozentpunkte gestiegen sei. Der Minister und die beiden Länderchefs betonten, daß der hauptsächliche Anstoß zur Schaffung neuer Lehrstellen von den Arbeitgebern kommen müsse.

Manfred Stolpe kündigte an, die SPD werde sich nicht zu schade sein, bei der Industrie „Klinken zu putzen“, um in den Chefetagen für die Arbeitsplatzförderung zu werben. Bildungsminister Rüttgers hatte für diejenigen Unternehmer, die sich nicht für mehr Lehrstellen einsetzten, eine besondere Drohung parat. Er kündigte an, daß der Bundeskanzler in Zukunft nur noch Wirtschaftsvertreter auf seine Reisen ins ökonomisch vielversprechende Ausland mitnehmen werde, die sich um die Ausbildungsförderung verdient machten.

Die Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und den neuen Ländern betrafen aber auch die Bereitstellung von Bundesmitteln für den „Aufbau Ost“ für das Jahr 1997. So sollen nach Worten von Eberhard Diepgen, der den wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern als „nicht erfreulich“ bezeichnete, alle Verkehrsprojekte für die neuen Länder weiter ausreichend finanziert werden. Auch die Sonderregelung für das Wohngeld soll in den neuen Ländern bis 1998 erhalten bleiben. Es werde aber Kürzungen für „Gemeinschaftsaufgaben“ geben.

Nach Einschätzung des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), wird es unter den gegenwärtigen Vorzeichen in den nächsten 20 Jahren keine Angleichung der Wirtschaftskraft zwischen Ost und West geben. Höppner sagte im Südwestfunk, zum ersten Mal lägen die Wachstumsraten im Osten wieder unter denen im Westen.

Die PDS kritisierte nach dem Treffen, zuerst seien in den neuen Ländern „die Betriebe platt gemacht“ worden, „nun soll es der Arbeitsmarktförderung Ost an den Kragen gehen“.

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