: Diese scheuernde Unruhe in der Brust
■ „89er“ wollen „Deutschland eine Seele geben“ – es reicht nur zum Gestammel
Am Anfang stand der Werbespot: „Rechts sein. Sie wollen nicht im Mainstream mitschwimmen. Sie sind ,89er‘.“
Und die nehmen den Mund ganz schön voll, so etwa Roland Bubik, Redakteur der Jungen Freiheit: „Der vorliegende Band [...] stellt die erste Manifestation einer Generation dar, mit der man in Zukunft zu rechnen haben wird. Hier sprechen wir. Wir 89er.“
Auftritt Claus-M. Wolfschlag, Jahrgang 1966, Student. Was will er? „Abriß aller Trabantenstädte und Aufbau menschlicher, grüner Orte.“ Ja, bravo! Was ist sein Symbol? „Keltisches Triskell und germanische Lebensrune.“ Sein Lieblingsautor? „Ernst von Salomon.“ Er ist ein Rechter, und er „bricht Tabus“.
Er spürt, „wie sich langsam ein Dunstschleier aus Straßenteer, verbalen Floskeln, MTV-Clips und Levis-Schnitten über die ganze Welt“ und besonders seinen Geburtsort Bad Wildungen legt. „Ich werde die Zahnbürste gegen den Spiegel schmeißen, aus dem Fenster ,1984? Ohne mich!‘ rufen und vor der Geschäftsstelle der Grünen ein demonstratives Sit-in veranstalten.“ Man wird etwas milder gestimmt, wenn man erfährt, wem diese Stußepistel gilt, nämlich einer Freundin im Bezirksvorstand der Jusos, die PDS wählt.
Dann kommt die 26jährige Studentin Simone Satzger zu Wort, die angesichts „einer Welt ohne Mythos, ohne Heroentum, ohne Transzendenz“ eine „scheuernde Unruhe in der Brust“ verspürt. So stammelt die Elite der sogenannten „Neuen Rechten“.
Es spricht für die intellektuelle Schmalbrüstigkeit der linksliberalen Statthalter dieser Republik, daß sie das dichtende Jungvolk als „Gefahr“ verkauft und dazu aufruft, sich mit ihm im Ernst „kritisch auseinanderzusetzen“.
Verblüffend sind dabei auch manche Parallelen zwischen Neurechts und Altlinks: „Freiheit heißt für sie“, tadelt die Satzger den Liberalismus, „the right to choose – das Recht zu konsumieren.“ Angesichts solcher Diagnosen scheuert es auch dem Rezensenten beträchtlich in der Brust. Das alte Lied: alles künstlich, alles Mache, von wegen Demokratie, Wählen bedeutet Konsumieren ...
Dann meldet sich Jens Falk zu Wort, ein ehemaliger DDR-Grenzer, der Dostojewski und deutsche Schäferhunde mag, und klagt: „Deutschland macht sich selbst fertig. Die nationale Einheit wird nur noch finanziell abgewickelt. Andere Werte gibt es nicht für dieses Land.“
Ellen Kositzka, Jahrgang 1973: „Befürchte: Amerikanisierung Europas; hoffe: auf befreite Zonen.“ Da würde wohl auch jedes Antifa-Mädel brav Beifall spenden können. Und weiter geht's im Panoptikum: Diesmal meldet sich der Herausgeber Roland Bubik selbst zu Wort. „Die leblose Langeweile der Maskeraden, die über diesem Land hängen wie trübe Wolken.“ Erster Preis in der Sparte „Betroffene Jugend dichtet“, Vertonung durch Hannes Wader folgt!
Larmoyanz zieht sich durch das ganze Buch, verbunden mit der Klage über Traditions-, Identitäts- und Sinnverlust. Da hilft nur noch „eine archaische Art zu denken und zu fühlen, wie sie sich schon in der oft altertümlichen Sprache der Ostdeutschen findet“. Wenn die Roten bloß nicht so verdammt atheistisch gewesen wären! Vom Kommunismus, dessen Verharmlosung durch das linke Justemilieu der alten Bundesrepublik wahrhaftig kritikbedürftig wäre, haben indessen die Neorechten nicht mehr Ahnung als ihre linken Antipoden.
Mit Erstaunen erlebt man die ewige Wiederkehr einer auf den Hund gekommenen Totalitarismusthese, die auf alles paßt – wenn man's nicht so genau nimmt: „Es ärgert die Dumpfheit, die ideologische Durchtränkung und die Aggressivität des Dargebotenen. Dumpf ist etwa die voyeuristische Gier der Nachmittags-Talkrunden, das Ilona-Christen-Ariel-Futur-Bündnis der geistigen Reinwäscher ... Soviel George Orwell geht auf den Magen.“ (Bubik)
Dem ansonsten friedfertigen Rezensenten auch: Das Schlagwort „1984“ taugt nicht als universelle Spielmarke für allerlei ästhetischen Verdruß, die Bundesrepublik ist ebensowenig ein totalitärer Staat wie Hannah Arendt die kleine Schwester von Eddy Arendt.
Dieter Stein, Chef der Jungen Freiheit, konstatiert: „Die Menschen sind seelisch angefüllt mit Jauche.“ „Rechtsintellektueller Diskurs“, so lehrt uns dieses Ullstein-Büchlein, besteht vor allem aus solchen Statements von Überdruß und daran anschließenden Erweckungsphantasien – „Deutschland eine Seele zu geben, dies geht einher mit der Beseelung jedes einzelnen.“ (Bubik)
Weshalb übrigens gerade '89? Das Ende eines alten ideologischen Wahnsystems eignet sich schlecht zur Legitimation für den Aufbau eines neuen. Marko Martin
Roland Bubik (Hrsg.): „Wir 89er. Wer wir sind und was wir wollen.“ Ullstein Verlag, 225 Seiten, 24,90 DM
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