: Greenpeace fährt ab auf die Love Parade
In einer Kreuzberger Fabriketage die Love Parade geplant. Müll ist „negativ besetzt“, und der „Sicherheitsaspekt“ wird großgeschrieben. Zum ersten Mal gibt es eine Rede zum Abschluß ■ Von Constanze von Bullion
Unter Strom stehen sie seit Monaten. Tausendmal haben sie das Szenario durchgespielt in der Kreuzberger Fabriketage, wo grüne Kabel von der Decke baumeln und die Spree am Fenster vorbeifließt. Auf der meterlangen Papierfahne an der Wand sind millimetergetreu alle Laternenpfähle eingezeichnet, alle Gullideckel zwischen dem Ernst-Reuter-Platz und dem Brandenburger Tor. Chaos heißt der Feind, gegen den die Strategen hier zu Felde ziehen: sechs dynamische Techno-Profis, verkabelt mit Laptops und bewaffnet mit Handys. Ihre Schlacht: Love Parade 1996.
Rund 300.000 Raver wälzten sich letztes Jahr über den Ku'damm. Tobten und schnupften und schwitzten sich durch die Clubs, brachten Hype in die Hauptstadt, Frieden auf Erden und Werbung unters Volk – und hinterließen mal wieder einen Haufen Müll. Dieses Jahr soll alles anders werden. „We are one family“ heißt das Motto 96.
Daß wir uns „die Familie nicht aussuchen können“ und „auf diesem Planeten zusammenleben müssen“, hat Love-Parade-Kopf Ralf Regitz erkannt, der mit seinen fünf Mitstreitern seit drei Monaten die große Prozession vorbereitet. „Mehr Rücksichtnahme auf die Umgebung“ hat sich der E-Werk- Betreiber auf die Fahnen geschrieben. Oder anders gesagt: „Wir wollen uns respektieren und in Frieden leben.“
Daß „die Omi von nebenan auch schon zur Love Parade kommt“ und der Umzug längst bei Metzgereien und Getränkeketten salonfähig geworden ist, bereitet den Organisatoren kein Kopfzerbrechen. Mit eigenem Musikwagen darf ohnehin nur auftauchen, wer „ins Konzept paßt“. Leute, die „auf den fahrenden Zug aufspringen“ und „die Wurst ohne Stulle“ haben wollen, sollen zu Hause bleiben.
Von rund 100 Bewerbungen sind 40 durchgekommen bei Natascha Herwig. Die 29jährige ist für die Gruppen zuständig, die auf den Lkws das Sagen haben: die Sponsoren natürlich, dann Plattenfirmen und Clubs aus der ganzen BRD. Raver aus Belgien, den Niederlanden und Großbritannien sind dabei, ein schwules Gefährt und das DJane-Mobil, wo nur Frauen auflegen. Nicht zu vergessen die Karre von der Kirche mit „Rave for Christ“ und dem „Jesus Freaks e.V.“.
Nur die Leute vom KitKat- Club, die werden sich wohl in die Büsche schlagen müssen für ihre Lieblingsbeschäftigung. Sexspielchen auf ihrem Wagen wurden ausdrücklich verboten. Schluß sein soll auch mit dem leidigen Imageproblem der Love Parade. Sogar den Tierschutzverein wollte man auf den Wagen hieven, aber der hatte kein Geld. Zugesagt hat dafür Greenpeace. Zwischen rollender Zigarettenwerbung und dröhnender Eis-Promotion wird ein Solarmobil der geschäftstüchtigen Umweltschützer zockeln.
Political correctness ist angesagt, das zahlt sich bekanntlich aus. „Negativ besetzen“ wollen die Veranstalter alles, was Müll macht. „Ganz allergisch“ reagieren sie auf Firmen, die „Dreck unter die Kunden bringen“ und „den eigenen Markt kaputtmachen“. Flyer sind tabu, und damit „die Leute nicht massenweise im Tiergarten pennen“, hat Diplomkommunikationswirt Enric Nitzsche einen Infopool mit Bettenbörse organisiert.
Was dann aber wirklich abgeht, wenn die 25 Sonderzüge ihre Fahrgäste auf die Straße des 17. Juni spucken, weiß niemand so genau: „'ne Million können es auch werden“, meint Verena Faigle, die „den Überblick behalten“ muß bei der Mega-Party. Die 31jährige, die früher Theater gespielt hat und sich ihr Geld als Bühnenarbeiterin verdiente, ist hier die Organisationschefin und koordiniert rund 1.000 HelferInnen. Von „Sicherheitsaspekt“ spricht sie immer wieder und von dem „Prozentsatz an Irren“, mit dem nun mal zu rechnen sei.
Die freilich werden kaum eine Chance haben. Denn mit der Polizei wollen die Veranstalter „sehr viel gemeinsam machen“. Zum Beispiel „den Schwarzhandel aushebeln“. Fliegende Händler mit Handkarren und Kühlboxen? Die hat doch schon Christo zum Teufel gejagt. Bier und Cola gibt es für 5 Mark, und nur beim Originalveranstalter, aus Originalpfandbechern, natürlich mit Original- Sponsor-Logo. 500.000 Stück im Wert von 30.000 Mark haben die Botschafter der Liebe produzieren lassen. Und sich den Kopf darüber zerbrochen, wie die Becher während der Parade abgewaschen und vom Ende des Zuges wieder nach vorne transportiert werden.
Aus Pfandbechern gibt's übrigens auch Blizz Kixx, das Eis, „das „von jungen, offenen Menschen gegessen werden soll“. Die Firma Langnese hat sich ihren Promo- Gag zur Love Parade einiges kosten lassen. Zusammen mit Camel und den anderen Finanziers legte sie eine halbe Million auf den Tisch. Und konnte noch froh sein, mit dabei zu sein: „Die Sponsoren rennen uns heute die Türen ein“, erzählt Ralf Regitz, der sich längst nach neuen Geldquellen umgesehen hat. Kürzlich wurde ein Verein zur Förderung der Love Parade gegründet. Hier können spendenfreudige Fans einen Soli-Sticker kaufen – für 20 Mark.
Richtig neu ist allerdings etwas ganz anderes: Zum ersten Mal in der Geschichte der Love Parade wird eine Rede gehalten. Und wie beim Christopher Street Day soll es eine zentrale Abschlußkundgebung geben. Live übertragen von MTV und den Ü-Wagen der ARD. Um die Goldelse am Großen Stern will Soundspezialist Angelo Plate die Musikwagen gruppieren, auf denen die „Crème de la creme des Techno“ auflegen soll. Hunderte von Lautsprechern wird er dann zusammenschalten, damit eine Stimme über die Menge schallt: Die von DJ Dr. Motte.
Was der Love-Parade-Gründer und Techno-Guru sagen will zu seinen Jüngern, wird nicht verraten. Ganz wohl scheint den Organisatoren ohnehin nicht zu sein bei dem Thema. Es sei „schon ein Diskussionspunkt“ gewesen, erzählt Pressesprecher Peter Lützenkirchen, „daß da einer über der Menge steht“. Techno und Starallüren vertrügen sich nicht. Er selbst „fand's überfällig“, daß einer mal das Wort ergreift. Verena Faigle dagegen war „anfangs nicht so begeistert“. Für Ralf Regitz soll das Gerede „keine Rolle spielen“. Er steht eher auf der Sprache der Musik.
Start: 14 Uhr, Ernst-Reuter-Platz, 18 Uhr Brandenburger Tor, 20 Uhr Abschlußkundgebung Großer Stern. Info-Line: 0190/352 352.
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