: Die Lüge steckt an
Das Bild von der selbstbestimmten Prostituierten ist reiner Selbstbetrug und nur Verklärung, meint die Ex-Prostituierte Alice Frohnert: „Ich habe gehaßt und betrogen. Prostitution imponiert mir nicht mehr.“ ■ Von Helmut Höge
taz: Was halten Sie heute von Prostitution?
Alice Frohnert: Mein Engagement läuft auf eine Sozialkritik durch die Analyse der Prostitution hinaus – als eine Einrichtung der patriarchalischen Gesellschaft, also als eine Form der Unterdrückung von Frauen. An der Basis äußert sich das in der Frau, die den Mann bedient. Mit einer derartigen Sicht stehe ich quer zu einigen Prostituierten-Aktionsgruppen wie die Berliner „Hydra“ etwa: Sie verschließen meiner Meinung nach die Augen vor der Realität und glorifizieren die Prostitution. Sie machen aus mehrheitlich masochistischen und von den Männern entwürdigten Frauen Lebedamen. Wenn sie zum Beispiel sagen: Die Prostituierten können sich die Männer aussuchen – dann kann ich das nicht bestätigen: Wenn man sich die Gäste aussuchen würde, würde man verhungern, mal abgesehen davon, daß die fast durchweg männlichen Bar- oder Bordellbesitzer das nicht lange mitmachen würden, und in den meist von Frauen betriebenen Terminwohnungen ginge das auch nicht. Dabei würde kein Laden existieren können.
Sie haben aber in einem Interview selbst geschildert, daß Sie sich gewehrt haben, wenn Ihnen etwas nicht paßte: Wie Sie einen besonders ungepflegten Mann in einem fränkischen Bordell mit der Bemerkung abgewiesen haben: „Geh bloß zurück in deinen Kuhstall!“
Ja, das war noch ziemlich am Anfang. Aber das ist nicht die Normalität! Mit dem Beispiel wollte ich verdeutlichen, wie ekelerregend dieses Geschäft ist und wie primitiv. Außerdem wollte ich damit sagen, daß man sich dabei durchaus auch wehren kann. Aber wenn du dich da permanent wehrst, dann kannst du besser gleich nach Hause fahren. Die Prostituierte bewegt sich in einer Branche, die nicht nur an den Rändern der Gesellschaft angesiedelt ist, sondern Frauen auch derart degradiert, daß man im Grunde von ihren Rechten gar nicht reden kann.
Hat sich die Situation durch den Zusammenbruch des Ostblocks und den vielen von dort kommenden Prostituierten verschärft?
Ja. Diese Europäisierungstendenz nützt nur den Konzernen – und den Politikern, die gehen in die Geschichte ein. Währenddessen klagen viele Frauen aus dem Osten: Die soziale Not nimmt zu. Ich habe in Magdeburg und Jena gearbeitet und kenne auch das Feld der Prostitution nach der Wende. Die meisten Frauen dort bekamen Sozialhilfe oder hatten einen Beruf, mit dem sie nichts mehr anfangen konnten. Wenn sie aus Polen oder Tschechien kamen, dann oft mit einer Ausbildung, die hier nicht anerkannt wird.
Aber man muß auch erwähnen, daß die Frauen aus dem Osten am Anfang geil auf Männer von hier sind, auf Männer aus der Schweiz und Luxemburg zum Beispiel. Deren „West-Touch“ macht sie für die Frauen aus dem Osten erotisch. Sie erhoffen sich von denen, daß sie ihnen aus ihrer finanziellen und gesellschaftlichen Misere heraushelfen. Das hat auch was mit den West-Medien zu tun und den Filmen – angefangen von „Dallas“ bis zu „Pretty Woman“. Für mich selbst war im übrigen der Film „Belle de Jour“ mit Catherine Deneuve wichtig. Solche Verklärungen der Prostitution gehen weiter. Was mit dazu beiträgt, daß der Widerstand unter den Berliner Prostituierten seit der Wende immer minimaler geworden ist.
Vor der Wende gab es so etwas, jetzt eigentlich nicht mehr. Das ist wie bei den Bauarbeitern. Im Gegensatz zu diesen Männern haben die Prostituierten jedoch überhaupt keine Lobby – bei denen assoziiert man nur Dreck, Drogen und Alkoholismus. Das heißt, die Prostituierte hat gar keine Chance. Selbst wenn sie in den Medien zu Wort kommt, dann interessiert das die Leute bloß, weil sie geil sind. Das gestiegene Interesse an der Prostitution hat nichts mit Engagement zu tun, sondern mit Voyeurismus. Leider bedienen auch etliche Prostituiertengruppen dieses Interesse.
Und Sie? Mit welchem Interesse haben Sie Ihre Bücher über Prostitution veröffentlicht?
Für mich sind meine Bücher erst einmal ein Therapeutikum gewesen. Um mich zu regenerieren und zu rehabilitieren. Ich kann nicht für eine Bewegung der Prostituierten sprechen, weil ich alleine bin. Und gar nicht von den Prostituierten anerkannt werde, weil ich sie ja auch attackiere und ihnen Selbstbetrug vorwerfe. Als jemand, der so lange in dieser Branche gearbeitet hat, kann ich jedoch verlangen, daß meine Erfahrung ernst genommen werden.
Werden Sie oft kritisiert?
Einmal habe ich sogar Schläge bekommen. Das war in Frankfurt am Main, von ein paar Männern, die mit Prostituierten zusammen sind. Die Frauen arbeiten für sie, und deswegen mögen diese Männer es nicht, wenn man die Prostitution so schlechtmacht. Das war nach „RTL-Explosiv“. Diese Männer haben mich nach der Sendung abgepaßt und mir eins auf die Nase gegeben. Verständlich ist es, daß sie sich zur Wehr setzen. In diesem Milieu herrscht eine Hausfrauenmentalität – also auch die Frauen wollen das alles gar nicht hören –, zum Beispiel, daß sie unterprivilegiert sind. Und deswegen regen die sich darüber auf, daß jemand, der vielleicht studiert hat, die Branche fertigmacht und ihnen Borniertheit vorwirft und dem Beruf jede „Romantik“ abspricht. Da ist ihnen „Hydra“ näher, die sie als Halbweltdamen vergoldet – und sozial schein-aufwertet. Es gibt Ausnahmen – ich kenne eine Prostituiertengruppe in Saarbrücken und in Flensburg eine Frau namens Marion, die dort zwei Terminwohnungen hat und mich in einer Sat.1-Talkshow gesehen hatte. Sie sagte danach, daß sie jetzt erst verstanden hätte, um was es mir geht. Das zeigt, wie schwierig es ist, mich verständlich zu machen.
Wieso benutzen Sie besonders in Ihrem ersten Buch einen tatsächlich sperrigen Wissenschaftsjargon?
Auch diese Begrifflichkeit habe ich therapeutisch gebraucht. Eine Art Ärztejargon. Ich vergleiche die Prostitution ja auch mit der Chirurgie, die die Unfallopfer frisch von der Autobahn erst mal primärversorgen muß. Das gleiche passiert mit den Kunden, die hereinkommen – die eklig sind und großenteils impotent. Man muß dafür sorgen, daß sie sich halbwegs wohl fühlen. Viele sagen, der Kunde ist nur impotent, weil der Mann dabei ein Objekt ist: Das ist ein ähnlicher Mythos wie der, daß die Frauen bestimmen. Das möchten viele Initiativen so, aber die Frauen machen sich was vor. Vielleicht sieht es bei Nebenverdienerinnen noch etwas anders aus, bei Studentinnen, die nur temporär als Prostituierte arbeiten – so lange, bis sie das Kotzen kriegen und sich eine andere Arbeit suchen, weil sie im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen die Möglichkeit dazu haben.
Keine Frau kann in dieser Branche über mehrere Jahre hinweg arbeiten und dabei halbwegs gesund bleiben. Generell ist es so: Der Mann kommt dahin und zahlt und fühlt sich wie ein Pascha. Und es ist immer die Frau, die ihn bedient. Auch die Dominas machen sich da was vor, weil sie bloß auf Befehl schlagen. Prostitution bleibt eine Reduzierung der Frau auf Genitalien, Busen, Körper – auf ihre Fraulichkeit. Und das ist sehr, sehr wenig.
Ich habe fünf Freundinnen, die das alles nicht mehr ertragen konnten und sich selbständig gemacht haben – mit Terminwohnungen, in denen sie jetzt Frauen aus Polen arbeiten lassen. Die arbeiten sehr gut – als gute Katholiken sind sie sozusagen geborene Masochistinnen. Auf der anderen Seite versuchen Männer aus Südeuropa, Griechenland und Italien etwa, besonders oft die Prostituierten zu bescheißen. Nur etwa 10 Prozent aller Männer sind gut und annehmbar, der Rest ist unmöglich.
Von den Prostituierten sind die meisten nett – aber das ist zu wenig. Sie sind sehr begrenzt, sehr materiell orientiert, aber auch warmherzig und einfühlsam. Ich kann mit ihnen über Kinder reden und ähnliches, aber nicht die Situation reflektieren. Ich will die jetzt nicht fertigmachen, aber die Prostitution imponiert mir nicht mehr. Nach einem Vortrag sagten mir einige Frauen: „Du machst uns so schlecht.“ Obwohl sie den Fakten teilweise zustimmten, versuchten sie, Gegenpositionen zu entwickeln. Das war an sich ja gar nicht schlecht. Durch Harmonisierung entsteht nur Sozialkitsch.
Ich muß jetzt von rund 1.200 Mark leben, bin aber mit Leuten zusammen, die mir sehr guttun. Den Versuch, alles unter einen Hut zu kriegen, habe ich aufgegeben, das hätte man nicht akzeptiert. So verfolge ich die akademische Karriere, die journalistische Ausbildung und mein publizistisches Engagement auf getrennten Wegen. Wobei ich sagen muß, daß ich nicht stolz auf meine Erfahrung als Prostituierte bin – ich habe Haß gekriegt, ich habe Menschen betrogen, ich hätte mir das alles gerne erspart. Es hat mich krank gemacht. Die Lüge der Prostitution geht irgendwann auch auf die Prostituierten über. Das enttäuscht dich, oder?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen