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Richterstuhl, Stahlhelm und Treibholz

■ Ein Buch und eine Schule beschäftigen sich mit Gerd Stanges „Verhörzelle“

Der Boden ist das Gedächtnis der Welt: Knochen und Töpfe in der Erde und Omas alte Kiste im Keller. Alles, was zur Erinnerung aufgerichtet wird, fällt doch irgendwann wieder zusammen. An diesen Erkenntnissen kommt auch die aktuelle Denkmals-Diskussion nicht vorbei.

Bestes Beispiel ist das Harburger Mahnmal gegen Faschismus von Esther und Jochen Gerz. Über Jahre wurde es immer weiter abgesenkt, bis von ihm fast nur das Motto übrigblieb: „Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben“.

Weniger bekannt ist die im Boden vergrabene Verhörzelle von Gerd Stange. In eigener Initiative, am behördlichen Genehmigungsweg vorbei, hat er ein stilles und um so bedrückenderes Erinnerungsmal in eine kleine Grüninsel an der Geschwister-Scholl-Straße eingegraben. Nach zweijähriger Arbeit, pünklich zur deutschen Vereinigung im Oktober 1990, wurde mit Musik und Dichterlesung der 1,80 Meter lange, 1,70 Meter tiefe und 44,5 cm breite unterirdische Stahlkasten der Öffentlichkeit übergeben. Erst zwei Jahre später wurde es vom Bezirksamt legalisiert und bis 1997 befristet.

Durch das abschließende, mit einem Eisenrost gesicherte Panzerglas sind der älteste auffindbare Stuhl des Hanseatischen Oberlandesgerichts, ein am Elbstrand angeschwemmter Stahlhelm auf einem Stück Treibholz und ein Glassockel im Lichte einer Tag und Nacht brennenden nackten Glühlampe zu erkennen. Und zwischen Autoschlangen, Läden und Kneipen vermittelt sich dem Betrachter plötzlich bedrückende Enge, sinnloses Warten und ein Gefühl gänzlichen Ausgeliefert-Seins. Dabei bleibt eine solche Begegnung immer ganz individuell, denn halb verdeckt von Laub, Schnee oder unter Regenwasser spiegelnd drängt sich das unprätentiöse Erinnerungskunstwerk nicht auf.

Der Lehrer Wolfgang Hocke von der nahen Wolfgang-Borchert-Schule entdeckte die Verhörzelle zufällig bei einem Laternen-Umzug und fühlte sich auch professionell gefordert. In Zusammenarbeit mit dem Künstler und der Schulleitung ergab sich daraus eine Patenschaft, in der jeweils eine vierte Klasse die Pflege für das Denkmal übernimmt. Die Zehnjährigen halten die Oberfläche sauber, wechseln die Birne und erneuern einmal im Jahr das Stickstoffgas, mit dem die Kondensfeuchtigkeit in Grenzen gehalten wird – und an die ganz praktische Beschäftigung mit dem Objekt ist eine inhaltliche Auseinandersetzung um so leichter anzubinden. So wandert die Erinnerung aus der Erde in die Köpfe.

Dem dient auch das 19. Heft der Reihe Hintergründe und Materialien, das der Museums-Pädagogische Dienst herausgebracht hat. Gunnar F. Gerlach und Thomas Sello präsentieren Texte zur Verhörzelle, der Geschichte des Ortes und der Widerstandsgruppe der Gebrüder Scholl. Dazu wird eine „Radtour gegen das Vergessen“ vorgeschlagen: zu den Mahnmalen an der Moorweide (Ulrich Rückriem), am Dammtorplatz (Alfred Hrdlicka), vor und im Rathaus Altona (Sol LeWit und Anna Oppermann) und zum begrabenen Stelenrest in Harburg. Und alle Mahnmale, die Autoren, Lehrer und Künstler verbindet eine Überzeugung: „Fragen... das ist das Gute“.

Hajo Schiff

Gunnnar F. Gerlach / Thomas Sello: „Gerd Stange: Verhörzelle und andere antifaschistische Mahnmale in Hamburg“, Dölling und Galitz Verlag, 64 Seiten, 20 Mark

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