: Topfrosen finden Unterhemden doof
■ Im Künstlerhaus am Deich konfrontiert Ute Ihlenfeldt 12 Pflanzen-Pärchen mit subtilen Reizen: Spielzeugautos, moderner Kunst, Bremen-Ansichten. Was hält der Salbei von Cézanne?
Können Pflanzen lieben? Haben sie Angst? Sind sie eitel? Mögen sie moderne Kunst? Und: Leben sie lieber in Paris oder in Bremen? Drängende Fragen, die Ute Ihlenfeldt beantwortet wissen will. Zu diesem Zwecke hat die Künstlerin in ihrem Atelier im Künstlerhaus am Deich eine Art überdimensionalen Setzkasten installiert. In 24 Fächern werden die Pflanzen – jeweils ein Paar einer Spezies haben Freunde ihr ins Atelier gebracht – seit letzter Woche mit allerlei subtilen Reizen malträtiert.
Ein Salbeistrauch wird Roy Lichtenstein-Drucken ausgesetzt, der isolierte Referenz-Salbei muß sich Tag und Nacht Cézanne-Selbstporträts ansehen. Ob dem Salbei Cézannes Pinselstrich bald aufs Chlorophyll gehen wird? Noch hält er sich tapfer. Die Knospen hängenlassen hat dagegen bereits die Topfrose, die die Nachbarschaft eines Unterhemdes der Künstlerin nebst deren Perlenkette wohl nicht so recht ertragen hat. Das hat Ute Ihlenfeldt einen ganz schönen Schock versetzt: „Vielleicht hat die Rose aber einfach nur zu wenig Wasser gehabt“, sagt sie zu ihrem Selbstschutz.
„Bitte nicht mit den Pflanzen sprechen!“ werden Besucher am Ateliereingang gewarnt. Das tut die Künstlerin nämlich selber. Allerdings nur mit der Flamingobohne. „Ich hab dich gern. Du bist schön“, steht auf einem Kärtchen neben der preziösen Bohnenart. Und das läßt Ute Ihlenfeldt die Bohne täglich spüren, lobt sie, streichelt sie, wischt die Blätter ab. Die Partnerpflanze wird hingegen mit Mißachtung gestraft, keines Wortes noch Blickes gewürdigt: Isolationsfolter.
Mit Spannung darf auch die Reaktion zweier Einblätter erwartet werden. Eines ist umringt von Bremer Ansichtskarten und steht ständig in Kontakt mit einem Schnapsglas mit Bremer Wappen. Das andere Einblatt muß sich mit einem Miniatur-Eiffelturm in nächster Nähe abfinden; ein versilberter Souvenir-Teelöffel mit Kitsch-Intarsie dürfte – die Prognose darf man wagen – bald zu Blattschwund führen.
Und die Künstlerin zu allerhand Spekulationen. Pflanzen seien nämlich „sehr kommunikativ“. Wenn man ihre Sprache kennt. Doch Ute Ihlenfeldt hat nicht die Absicht, der Kaktee Elektroden einzusetzen und ihren elektrischen Signalen mittels Sprach-Analyzer auf die Schliche zu kommen, wie es in den USA einem Magnolienbaum widerfahren ist. Um rein visuelle Beobachtung geht es. Die dokumentiert Ute Ihlenfeldt Tag für Tag mit Akribie; Fotoserien halten Gedeih und Verderb der zwölf Probanden-Pärchen für die Nachwelt fest – gewissermaßen die bürokratische Ader der Künstlerin. Wichtig war ihr, daß ihre Freunde und Bekannten die Pflanzen fürs Künstler-Laboratorium auch selbst aussuchen, ihre Biographien, Vorlieben und Geschmäcker mit einfließen in den Versuchsaufbau. Denn Ute Ihlenfeldt, leidenschaftliche Schrebergärtnerin mit nachgesagtem grünem Daumen, deren Balkon im Atelier fröhlich vor sich hin wuchert, beobachtet gern das wechselvolle Verhältnis zwischen Pflanze und Pflanzen-Herrchen bzw. -Frauchen. Deshalb hat sie auch fotografisch festgehalten, wie ihre Leute zur Tür reinkamen mit dem Grünzeug, und hat notiert, warum sie nun gerade diese Pflanze ausgesucht haben.
Bloß einmal, da hat sie ein Fach reserviert für eine Blume, die was Besseres sein will. Und hat eine stolz und feist blühende Gloxinie gemeinerweise neben eine gemeine Distel plaziert, irgendwo am Wegesrand ausgerupft. „Schlechte Gesellschaft“ steht daneben. Schon hat die Gloxinie – lautloser Protest – eine Blüte abgeworfen. Wie es weitergehen wird, wird sich bis September zeigen. Drei bis vier Monate werden die Pflanzen nämlich noch mit Ute Ihlenfeldts Argusaugen betrachtet. Vielleicht, sagt sie, wird es ihr bis dahin aber auch zu langweilig geworden sein, als stille Beobachterin. Sie spürt schon, wie sie zunehmend Einfluß nehmen will auf die Pflanzen-Pärchen. Weil sie doch nicht die Geduld hat, die Antworten abzuwarten, die Fuchsie, Wunderstrauch und Korallenmoos sich noch zieren zu geben. Wo sie doch wissen will, ob es sich nicht in Paris besser lebt als in Bremen. Vielleicht wird sie im September, wenn das Künstlerhaus am Deich zum Hausfest lädt, doch noch die „Gedichte“ eines Magnolienbaumes rezitieren lassen, die der Sprachcomputer aufgezeichnet hat. Alexander Musik
taz-LeserInnen werden über den Modellversuch im Künstlerhaus am Deich auf dem laufenden gehalten. Im „Pflanzenbarometer“ werden regelmäßig neueste Trends und Interpretationen gemeldet. So daß möglicherweise bis zum Herbst alle eingangs gestellten Fragen geklärt sein werden.
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