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Wie Familienbilder vom Kärnten-Urlaub 1956

■ Die amerikanische Fotografin Lida Suchy zeigt mit ihren Porträts aus den Karpaten eine Zeitreise im Raum

Sie zeigen seltsam distanzierte und scheinbar aus der Zeit gefallene Menschen: die Porträts der Einwohner von Krivorivna in den Karpaten. Ein junges Paar in Trachten, der Schwimmer am Flußufer, die Bürgermeisterin in einem fast leeren Büro oder die kleine Kalinka im Wald sind für hiesige Betrachter weder durch ihre Kleidung, noch durch ihren Gestus zeitlich einzuordnen und auch räumlich nur schwer ortbar. Das ist zum Teil ein Ergebnis der immer leicht distanzierenden Großbild-Technik, zum Teil aber auch eine demonstrative Distanz der Ukrainier gegenüber der Fotografin Lida Suchy, die sie so unerwartet in den Blickpunkt rückt.

Die Amerikanerin kam auf der Suche nach ihren europäischen Wurzeln mit ihrem 84jährigen Großvater nach dem Zerfall der UdSSR zum ersten Mal aus dem fernen Rochester in das Dorf ihrer Ahnen, das sie nur aus alten Fotografien kannte. Ihre Suche vor Ort überhöht die fremden Menschen zu vergangenen Spuren ihrer eigenen Geschichte, so daß ohne jede Inszenierung eine über die Dargestellten hinausweisende Bedeutung als Subtext in die schwarz-weiß Porträts eingeht.

Im rasanten Wandel, der sich im Osten vollzieht, zeigt sich hier eine ganz anachronistische Ruhe, die Zeit wird noch einmal vorübergehend eingefroren. Der aktuelle Zustand des Dorfes, des Waldes oder gar der Gesellschaft wird nicht einmal angedeutet. In einer Aura von Zeitlosigkeit scheinen die Bilder aus einem fast universellen Familienalbum zu sein. Die Fotos beinhalten auf eine geheimnisvolle Weise neben den aktuell Dargestellten vergangene oder zukünftige Geschichte: sie sind schon im Augenblick der Erstellung unwiederbringliche Erinnerung zukünftiger Geschlechter. Die Bilder der Lida Suchy werden darüber hinaus auf diese Weise ein bemerkenswerter Beleg für die These, daß am ausgehenden Jahrtausend Reisen im Raum vorrangig nur noch als Reisen in den verschiedenen Konkretisierungen von Zeit von Interesse sind.

Hajo Schiff

Eröffnung heute, 20 Uhr, Grauwert-Galerie, Telemannstr. 27; Mo-Fr 9-18 Uhr, bis 1. März

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