piwik no script img

„Glitzernde Zuversicht“

■ Stadtbahnindustrie bereitet Offerten für Hamburg vor / Bremen und Saarbrücken sind planerisch schon Jahre weiter Von Florian Marten

„Die Stadtbahnindustrie kann die glitzernde Zuversicht hegen, schon bald zu ernsthaften Verkaufsverhandlungen nach Hamburg zu kommen.“ Stadtchef Henning Voscherau konnte sich ausnahmsweise mal gar nicht einkriegen. Auch „als Laie“, so bekannte der Bürgermeister, schätze er das „ökologische und hochmoderne Nahverkehrsmittel“. Seit diesen Aussprüchen Voscheraus vom 14. Mai 1991 sind fast genau vier Jahre vergangen.

Karlsruhe, Saarbrücken und Bremen: Modelle für Hamburg?

Die Stadtbahnindustrie jedoch glaubte und glaubt fest an des Bürgermeisters Worte. Nach Informationen der taz bereiten derzeit gleich mehrere Konsortien, darunter auch spektakuläre Newcomer, Angebote an die Stadt vor. Die Pläne reichen vom schlichten Stadtbahnkatalog über das Angebot einer privaten Vorfinanzierung eines Netzes inklusive Fahrzeuge bis zum Komplettangebot mit Bau und Betrieb eines Stadtbahnnetzes durch ein privates Konsortium. Die Baubehörde jedoch kann mit derlei Angeboten noch nichts anfangen und bittet die Firmen um Geduld. Erst im Juni wird sich der Hamburger Senat mit einer Stadtbahnvorlage von Bau- und Verkehrssenator Eugen Wagner befassen können.

Während Voscherau vor Zuversicht glitzerte und Wagners Angestellte sich durch immer neue Berge von Stadtbahngutachten wühlten, haben andere Städte längst gehandelt. In Saarbrücken begannen im März 1995 die Bauarbeiten für die erste Straßenbahnwiedereinführung auf deutschem Boden seit der Wende. Bereits 1997 soll die neue Stadtbahn Saar auf einer ersten Strecke ihren Betrieb aufnehmen. Langfristig will Saarbrücken ein komplettes Stadtbahnnetz aufbauen. Die neue Schnellbahn fährt – nach Karlsruher Vorbild – auch auf Bundesbahngleisen ins Umland. Ausgangspunkt der saarländischen Planungen, die höchstes Wohlwollen von Oskar Lafontaine begleitet, war das Herannahen der Leistungsgrenze des städtischen Bussystems. 225 Millionen Mark der Gesamtkosten von 540 Millionen trägt das Land, der Bund ist mit 214 Millionen Mark dabei.

Auch Hamburgs Schwesterstadtstaat geht in die Vollen: Bremen, das seine Tram nicht abschaffte und seit Jahren seinen Wagenpark modernisiert, beginnt in diesen Tagen mit einer Ausbauoffensive ohnegleichen. Nach 20 Jahren Streckenbaupause wird jetzt mit der 140 Millionen Mark teuren Verlängerung der Linie 4 vom Hauptbahnhof nach Borgfeld begonnen. Die Planer erhoffen sich schon 1996, wenn das erste Teilstück in Betrieb geht, einen Anstieg der Fahrgastzahlen um 44 Prozent gegenüber den heutigen Bussen. Bremens Planer sind stolz, die neue Trasse im vorhandenen Straßenraum unterzubringen. Die Verdrängung von Autoverkehr ist gewünscht: Da Autokunden in der Bremer City nur für 1147 Mark pro Jahr einkaufen, ÖPNV-Kunden aber für 1277 Mark, gilt die Stadtbahnerweiterung als Beitrag zur Stärkung der Wirtschaftskraft Bremens.

Hannover kauft gleich 144 neue Stadtbahnzüge

Schon gar nicht lumpen läßt sich da auch der bekennende Autofreund Gerhard Schröder. 425 Millionen Mark spendiert die niedersächsische Landesregierung der hannoverschen Stadtbahngesellschaft ÜSTRA für einen Stadtbahndeal ohnegleichen: Bis 1999 will die ÜSTRA für insgesamt eine halbe Milliarde Mark 144 neue Stadtbahnzüge anschaffen. Zum Vergleich: Das Hamburger Stadtbahngrundnetz, wie es die Gutachter der Baubehörde favorisieren, würde inklusive Fahrzeugen und Betriebshöfen 932 Millionen Mark kosten.

In Hamburg hat sich in einem mehrjährigen und mühseligen Diskussions- und Prüfprozeß inzwischen immerhin die Erkenntnis breit gemacht, daß die Stadtbahn eine prima Sache zur Lösung der Verkehrsprobleme der Stadt wäre. Doch noch immer werden die Chancen des neuen Systems nicht recht begriffen, wie Insider der taz im Gespräch erläuterten. Die Stadtbahn könnte, so meinen sie, ihren Charme so richtig entfalten, wenn sie auf längere Sicht große Teile des Bussystems ersetzt und auch – siehe Karlsruhe und Saarbrücken – ins Umland fährt. Stattdessen betreibt Hamburg seine Stadtbahnüberlegungen ängstlich und defensiv.

Zwar will die Baubehörde inzwischen nicht nur Stichstrecken, sondern ein richtiges Netz – ein langfristig angelegtes verkehrspolitisches Konzept für die Bedeutung des Öffentlichen Nahverkehrs, welches der Stadtbahn eine klare Rolle zuweist, ist aber bislang nicht in Sicht, obwohl sogar Oberbaudirektor Egbert Kossak dringend anmahnt: „Die Stadtentwicklungspolitik baut darauf, daß wir in den nächsten 10 Jahren wieder eine Straßenbahn bekommen.“ Und Verkehrsplaner ergänzen: „Wenn Hamburg in den nächsten 10 Jahren Autoverkehr in größerem Umfang durch Öffentlichen Nahverkehr ersetzen will, gibt es zur Stadtbahn keine bezahlbare Alternative.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen