: Total pauschal ins Badeparadies
Die Dominikanische Republik ist das Billigreiseland der Karibik. Nur die Individualreisenden zahlen drauf. Die Bevölkerung profitiert kaum vom Strom der Sonnenhungrigen ■ Von Annette Schneider
Das deutsche Ehepaar weiß, wovon es spricht: „Sie haben nicht pauschal gebucht? Dann fahren Sie nach Samana. Dort ist es so paradiesisch, wie wir uns die Karibik immer vorgestellt haben.“ Während ihres zweiwöchigen Urlaubs in der Dominikanischen Republik haben die beiden eine organisierte Zwei-Tages-Tour zur Halbinsel Samana unternommen. Seitdem sind sie für ihr eigentliches Urlaubsdomizil Sosua nur noch schwer zu begeistern. Ihr Pech: Sie haben von Deutschland aus fest gebucht, das Hotel mit Halbpension ist bezahlt.
Auf den beiden Stränden Sosuas drängt sich das Touristenvolk dicht an dicht. Der kleinere, kaum 200 Meter lange Sandstrand liegt eingepfercht zwischen Hotelburgen. Sonnenschutz gibt's nur in den Strandbars. Wenn hier jemals Palmen standen, mußten sie dem Beton weichen.
Das karibische Paradies ist anderswo. Angeblich auf Samana. Den klimatisierten Überlandbus zum gleichnamigen Hauptort der Halbinsel nutzen nur wenige Touristen. Abfahrt ist einmal täglich in Alt-Sosua um 7.30 Uhr. Frühstück entfällt. Trotzdem: Das frühe Aufstehen lohnt sich. 50 Pesos, also 6 Mark, verlangt Caribe Tours für die dreistündige Fahrt entlang der Nordküste. Die Alternative wäre ein Taxi für 120 US-Dollar.
Unser Geheimtip heißt Las Galeras, aber der Bus fährt nur bis Samana. Der Preis für die restlichen 26 Kilometer will hart ausgehandelt sein, in einem Kauderwelsch aus Englisch, Deutsch und Spanisch. Marcelo bekommt den Zuschlag: 80 Pesos für zwei Personen. Der 19jährige lacht verschmitzt, freut sich über das gute Tagesgeschäft, auch wenn er zunächst 300 Pesos verlangt hatte. Sein 80-ccm- Motorrad zieht einen Metallkäfig hinter sich her. Der beengte Anhänger ist mit einer blauen Plastikplane überdacht, ansonsten nach allen Seiten offen. Wir nehmen Platz im motoconcho, das Gepäck zu Füßen, und hoffen das Beste. Das leistungsschwache Zweirad quält sich im Schrittempo die ersten Hügel hoch. Plötzlich hält Marcelo vor einer der vielen Holzhütten am Straßenrand. Auf dem Schemel im staubigen Asphalt stehen drei Plastikflaschen, gefüllt mit einer bräunlichen Brühe. Geld wechselt den Besitzer. Erst als unser Fahrer mit einer Flasche zum Motorrad zurückkommt, wissen wir: Dies ist eine Tankstelle.
Wo Las Galeras beginnt, ist nicht auszumachen, obwohl mehr und mehr Holzhütten im immergrünen Pflanzenmeer auftauchen. Das Ortsende ist schon eindeutiger festzulegen. Die einzige asphaltierte Straße verliert sich plötzlich unter Palmen im Sand, dahinter ein langer Strand und schließlich der Blick auf das klare Wasser des Atlantiks. Die Strandbar ist ein von Holzbalken getragenes Wellblechdach. Einige Männer aus dem Dorf lungern auf den Holzbänken herum, trinken karibischen Rum oder Bier. Wir kämpfen mit Cola gegen die Mittagshitze an. Marcelo gibt uns kostenlosen Spanischunterricht. Wir schaffen eine Lektion unseres Sprachführers. Dann verabschiedet sich unser Fahrer, Lehrer und Kurzzeitbekannter.
Zeit für die Zimmersuche. Erst jetzt entdecken wir, daß die Bucht mit kleinen Hotels und Bungalows gesäumt ist, versteckt im Palmenhain. Unser Ferienhaus, ein sauberes Zimmer mit Bad, fließend kaltem Wasser und Strom zwischen 18 und 22 Uhr, ist unterste Preislage: knapp 40 Mark ohne Frühstück.
Trotz des Last-minute-Flugs (1.111 Mark statt 1.890) und der Billigunterkunft müssen wir einsehen: Wer pauschal bucht, bekommt in diesem Land mehr Komfort für noch weniger Geld. Nicht umsonst bezeichnen bösen Zungen die Dom Rep als „die Karibik für Sozialhilfeempfänger“. Mit Dumpingpreisen locken Reiseveranstalter in die unzähligen Hotels und Seaside-Resorts entlang der Küste. Und es wird weiter gebaut. Kaum mehr als 2.000 Mark kosten zwei Wochen in einem Vier-Sterne-Hotel. „All inclusive“ ist das Zauberwort. Denn neben dem Flug sind freies Essen und Trinken sowie Sport- und Freizeitangebote im Preis enthalten. Wer warten kann, bucht seine Traumreise in letzter Minute – das Ganze noch mal 500 Mark billiger.
Anamaria Javier begrüßt uns freundlich, wie in den vergangenen Tagen auch. Doch ein echtes Lächeln will ihr heute nicht gelingen. Anamaria ist besorgt. Die Geschäfte laufen schlecht. Gemeinsam mit vier Freundinnen sorgt die 36jährige in der Strandbar von Las Galeras für das leibliche Wohl ihrer Gäste und den Lebensunterhalt ihrer siebenköpfigen Familie. Die fünf Frauen teilen sich zwar die Holz- und Wellblechkonstruktion, aber jede wirtschaftet in die eigene Tasche. So ist es abgemacht.
Nur wenige Touristen halten an, um etwas zu trinken, geschweige denn zu essen. Ein Grund ist sicher die wenig hygienisch anmutende Zubereitung der Kost an den offenen Feuerstellen. Selbst ein so Hartgesottener wie der deutsche Tauchlehrer Peter Träubel, der mit seiner Frau Gyde nur einen Steinwurf entfernt wohnt und arbeitet, warnt: „Da weißt du nie, wie alt der Fisch ist, den sie dir auf den Teller legen.“ Doch auch Peter weiß, daß der Hauptgrund für Anamarias Flaute eine Bucht weiter liegt.
„Dort ist es so paradiesisch, wie wir uns die Karibik immer vorgestellt haben“, hatte das deutsche Ehepaar in Sosua geschwärmt. Wohl wahr. Ein Traum aus Sonne, Strand und Meer, der auch einem italienischen Investor nicht entgangen ist. Großflächig, aber nicht klotzig breitet sich das Cala-Blanca-Resort entlang der stillen Bucht aus. „All inclusive“-Urlaub vom Feinsten. Gabi und Martin kommen gar nicht auf die Idee, bei Anamaria und ihren Freundinnen vorbeizuschauen. „Etwas merkwürdig ist das schon. Aber warum sollen wir woanders hingehen, wenn hier schon alles bezahlt ist?“ fragen die jungen Münchner leicht verlegen und bestellen sich den nächsten Rum-Punch. „Richtig blöd“, findet Sabine aus Neumünster, „daß wir gar nichts anderes sehen, außer bei einer organisierten Tagestour. Und die ist teuer.“
Abends hat Anamaria uns doch zum Essen überredet. Für 150 Pesos will sie uns nun auch überzeugen. Den Aperitif kennen wir schon, unser täglich flüssig Brot: viel Rum und wenig Kokosnußmilch, umgeben von einer frisch ausgehöhlten Ananas, dazu Fruchtstücke und Eis – fertig ist die Piña Colada. Wenn nicht schon vom Alkohol, dann spätestens beim Anblick des Festmahls verfliegen alle Bedenken. Zwei große Papageienfische, Reis in Kokosmilch, gratinierte Kartoffelscheiben, Zucchinigemüse. Dazu gratis der Sonnenuntergang über der Bucht von Las Galeras. Paradiesisch für uns, für Anamaria das erste gute Geschäft seit einer Woche.
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