piwik no script img

Verantwortung kommt von Antworten

■ betr.: „Verdammt, ich bin doch nur ein Zivi!“, taz vom 22./23. 6. 96, Le serinnenbrief: „Frustration und Haß“ von Ulrike Gottschalk, taz vom 4. 7. 96

Ich bin Mutter von Söhnen, die demnächst ihren Zivildienst ableisten müssen und gleichzeitig in einem Kulturzentrum die Zivildienstbeauftragte und damit Vorgesetzte von vier Männern, die ihren Zivildienst ableisten. Wenn ich die vergleichsweise einfache soziale Problemstellung in unserem Haus mit den Beanspruchungen anderer Zivildienstleistender vergleiche, habe ich Fragen.

Ich stelle fest, daß auch nach der Frauenbewegung junge Männer durchaus Probleme haben, weibliche Tätigkeiten auszuführen, schon die einfachsten, an pflegerische wage ich nicht zu denken. Nicht, daß ich an Motivation und gutem Willen der jungen Männer zweifle, dazu habe ich nach meinen Erfahrungen kaum Anlaß. Sie sind dafür schlicht nicht sozialisiert und ausgebildet. Obwohl ich mir einbilde, meine Söhne mit der Lektion „soziales Lernen“ gut versorgt zu haben, kann ich mir schwer vorstellen, wie sie die von dem Zivildienstleistenden geschilderten Erfahrungen bewältigen würden.

Mit welchen Voraussetzungen und mit welcher Ausbildung werden junge Männer auf diese Aufgabe losgelassen? Wo bekommen sie Anleitung und Unterstützung, um diese Erfahrungen zu verarbeiten?

Und wer gibt ihnen die Vorlage für das politisch korrekte Verhalten, daß Frau Gottschalk (Eingabe an die verantwortlichen Politiker) vorschlägt? Eine Gesellschaft, die das Wort sozial nur noch im Zusammenhang mit Sparen kennt?

Ich habe den Artikel anders gelesen, ich habe auch den Wunsch nach dem Sinn der Zivildiensttätigkeit gelesen. Die Kritik an dieser Art soziale Arbeit, die dem Zivildienstleistenden keine Zeit läßt, sich anders als mit dem dienstlichen Waschlappen den Menschen zu nähern. Mich hat der Artikel darauf hingewiesen, mit welchem Tempo und mit welcher Dynamik unsere Gesellschaft Probleme schafft, die sie nicht bewältigen kann, um sie dann an Menschen zu delegieren, die diesen Aufgaben nicht ausweichen können. Wer würde diese Arbeit machen, wenn nicht Zivildienstleistende an sie abkommandiert würden?

Ist es vertretbar, Menschen von jungen Männern ohne Vorausbildung, aber mit dienstlichem Befehl pflegen zu lassen? Ist nicht das der Zynismus und die Verachtung gegenüber den Schwachen?

Ich finde, der Artikel bietet viel Stoff zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung. Ich halte es nicht für angemessen, dem jungen Mann mit der Keule der deutschen Geschichte, der Schuld und dem Euthanasievorwurf das Maul zu stopfen. Ich weiß nicht, warum Frau Gottschalk Sprache entlarven muß und nur Hetze entdecken kann. Ich sehe einen Zivildienstleistenden, der an seiner Aufgabe „verzweifelt“, und zwar im Sinne des Wortes und darüber spricht.

Da ich zu der Generation seiner Eltern gehöre, sehe ich Fragen. Verantwortung kommt von Antworten. Ich finde er hat eine Antwort verdient statt ein vernichtendes Urteil. Barbara Weber, Hannover

Nein, liebe Ulrike Gottschalk, Dein Leserbrief hat mich mehr erschreckt als Frank Zieglers Bericht, den Du scheinbar nicht richtig verstanden hast, mag man das auch als Interpretationssache sehen. Hier hat jemand geschrieben, den der Zivildienst ausgebrannt hat und der das zum Glück noch rechtzeitig gemerkt hat.

[...] Es ist die Rede von „Euthanasie-Hetze übelster Sorte“. Warum? Weil hier jemand quälendes Leid nicht mehr ertragen konnte, eine Situation, die sogar ausgebildetes Fachpersonal an körperliche und geistige Grenzen bringt! Und das sollen Zivis aushalten, vielmehr noch ausbaden und sich in solchen Leserbriefen verarschen lassen?

Ja, man darf sich ekeln in einem Pflegeberuf, egal ob Zivi oder ausgebildete Kraft. Es kann nur der vernünftig pflegen, der auch ehrlich zu seinen Gefühlen steht. Ich weiß nicht, wer Primo Levi ist, aber ich weiß was Psychohygiene ist.

Und noch etwas: Eine Eingabe an irgendwelche Politiker zeugt von Naivität und Unwissen. Sie dürfte doch mit einem Disziplinarverfahren enden. Die Politiker sehen Pflege in erster Linie als Kostenfaktor und schlechten Wahlkampfaufhänger, entsprechend handeln (nicht nur) die Wohlfahrtsverbände: Zivis und Ungelernte machen die Arbeit von Fachkräften, sind billiger und leichter wieder loszuwerden.

Fachgerechte, menschenwürdige Pflege, die über satt, sauber, ruhig hinausgeht, ist allerdings teuer und nicht nur Ulrike Gottschalk muß sich überlegen, ob sie bereit ist, Einkommenseinbußen dafür hinzunehmen, zum Beispiel durch eine Anhebung der Beiträge zur Pflegeversicherung. Und vielleicht überlegen sich die angeblich so sozialen Parteien von SPD bis PDS mal was, von denen ist schon lange nix mehr zu hören. Vielleicht weil davon ausgegangen wird, daß Pflegebedürftige nicht wählen?! Tobias Prinz,

Altenpflegeschüler, Ex-Zivi

Gut gebrüllt, Frau Gottschalk! Eine volle Breitseite gegen den Zivildienstleistenden Frank M. Ziegler. Da war alles drin: von der Verdächtigung, die Euthanasie zu befürworten bis zur NS-Verleumdung. Leider ist das Thema leicht verfehlt.

Es geht eben nicht nur um die sicherlich erheblichen bis unerträglichen Leiden der Pflegebedürftigen, sondern auch um die Bedrängnisse, denen junge Männer während ihres Zivildienstes ausgesetzt sind. Diese jungen Leute haben sich gegen den Kriegsdienst und für den Dienst an der Gesellschaft entschieden. Diese Entscheidung wird ihnen häufig schlecht gedankt. Das sollte auch Frau Gottschalk nicht vergessen. Ein kleines Quentchen ihrer Anteilnahme auch für die Zivis wäre sicher nicht falsch am Platz. Edgar J. Kaiser, Freiburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen