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Dangerous zone am S-Bahnhof

Sie hassen Ausländer, und sie jagen sie: Ein britischer Bauarbeiter liegt gelähmt im Krankenhaus – aber in Mahlow will niemand etwas gesehen haben  ■ Von Barbara Bollwahn

Der Chinese Yuk Wan Lee und sein Tellerwäscher Benjamin aus Ghana sehnen den Winter herbei. „Wenn es kalt ist, ist es ruhig in Mahlow“, sagen sie. Steigen die Temperaturen, dann haben sie nicht nur ein ungutes Gefühl. Dann haben sie Angst.

Im Sommer wird der Platz vor dem S-Bahnhof zum Treffpunkt einer Clique von Jugendlichen. Dann schwirren „Nigger“-Rufe und Bierflaschen durch die Gegend. Ausländer, die zum S-Bahnhof wollen, müssen Spießruten laufen. Auf die Untätigkeit der Mitarbeiter und Gäste des gegenüberliegenden Restaurants und Biergartens ist Verlaß. Für sie sind die Jugendlichen lediglich schlecht fürs Geschäft.

„Dangerous zone“ nennen Arthur (39), Noäl (36) und Mikel (38), drei Jamaikaner mit britischem Paß, den Bahnhofsvorplatz in Mahlow. Vor zwei Jahren kamen sie als Bauarbeiter hierher. Seit zwei Jahren leben sie mit dem „Freizeitsport“ der Clique.

Jeder in dem 5.800-Einwohner- Ort südlich von Berlin kennt die Jugendlichen vom S-Bahnhof. Viele trauen ihnen zu, mit dem schrecklichen Unfall am 16. Juni zu tun zu haben, bei dem Noäl lebensgefährlich verletzt wurde. Doch die Devise im Dorf lautet: Nichts sehen, nichts hören.

An jenem Sonntag wollen die drei Briten nach Sachsen-Anhalt. Die Arbeiten auf der Mahlower Baustelle sind beendet. In einem Dorf bei Halle haben sie einen neuen Job gefunden. Bevor sie sich auf den Weg machen, will Noäl seine Frau Jacqueline in Birmingham anrufen. Die Telefonzelle an der Post ist besetzt. Es bleibt das Telefon in der „Gefahrenzone“. Also fahren sie dorthin. Das Schlimmste, was ihnen passieren kann, sind die üblichen Beschimpfungen.

Kaum sind sie aus ihrem alten, silbergrauen Jaguar gestiegen, ertönt der erste „Nigger“-Ruf. Noäl, Arthur und Mikel kennen die meisten Gesichter in der Runde. Einer der Jungs zeigt den ausgestreckten Mittelfinger. Die Briten stellen sich taub und blind. Damit sind sie bisher gut gefahren. Noäl erzählt seiner Frau am Telefon von seinen Rückenschmerzen. Er fragt sie, ob sie endlich im Lotto gewonnen hätten. Vor der Telefonzelle beobachtet Arthur, wie zwei Jungs aus der Gruppe Richtung Bahnhof gehen. Er dreht sich um. Vielleicht werfen sie mit Steinen. Man weiß ja nie. Noäl verabschiedet sich von seiner Frau mit: „I love you to bite“. Er setzt sich ans Steuer und fährt mit seinen Freunden los.

Ihnen folgt ein dunkler Golf mit Berliner Kennzeichen. Arthur erkennt die beiden Jungs vom Bahnhof. Kein Grund zur Panik. Die Straße zwischen Mahlow und dem Nachbardorf Blankenfelde ist doch „far away from the dangerous zone“. Da setzt der Golf zum Überholen an. Noch bevor sich die Briten einen Reim auf das lange Überholmanöver machen können, wird aus dem Golf ein mittelgroßer Feldstein in ihre hintere linke Scheibe geschmissen. Noäl verliert die Kontrolle über seinen Wagen. Sie überschlagen sich mehrmals und knallen gegen einen Baum. Der Golf fährt davon. In der ersten Pressemitteilung der Potsdamer Polizei heißt es, die Briten hätten die Deutschen verfolgt.

Noäl kommt bewußtlos und mit Bruchverletzungen an der Halswirbelsäule in ein Berliner Krankenhaus. Noch immer liegt er auf der Intensivstation. Er ist vom Nacken ab gelähmt. Er kann kaum sprechen. Seine Lebensgefährtin Jacqueline muß ihr Ohr an seinen Mund halten, um ihn zu verstehen. Einen Tag nach dem Unfall ist sie nach Berlin geflogen, nur mit einer Kreditkarte und Handgepäck.

Manchmal bittet Noäl sie, ihr aus einem Pferdebuch vorzulesen. Doch Jacqueline fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Von dem Geld, das er in Deutschland verdient hat, wollte sich Noäl ein Pferd kaufen. Und jetzt gibt es nur noch Fragen. Wann werden sie Noäl nach Birmingham fliegen können? Und wie soll sie den 10.000 Pfund teuren Transport bezahlen? Und was dann? Wird ihr Mann je wieder gehen können? Nur eins weiß sie: „Ich will die Wahrheit wissen.“

Natürlich sei sie dankbar, daß die Brandenburger Ausländerbeauftragte ihnen einen Anwalt besorgt hat und auch bezahlt. Doch daß die Leute im Dorf, über die ihr Mann nie schlecht gesprochen habe, „Lügner sind“, kann sie nur schwer verkraften: „Es hängt von den Mahlowern ab, Mut zu haben“, sagt die blasse Frau mit den roten Haaren. Auch Noäls Freund Arthur kommt über den Angriff nicht hinweg: „Wir haben nichts weiter getan, als in Mahlow Häuser zu verputzen, den Ort schöner zu machen“, sagt er. „Wir nehmen niemandem was weg. Niemand will die Arbeit machen. Doch wenn wir sie machen, paßt es ihnen auch nicht.“

In Mahlow, wo Geschäfte „Flying feelings“ und Pensionen „Look in“ heißen, scheint sich niemand für den Unfall der Briten zu interessieren. Die wenigen, die sich äußern, signalisieren Verständnis. „Natürlich stinkt es den Leuten, daß hier jede Menge Ausländer sind“, sagt ein Kellner im Restaurant „Lindengarten“ am Bahnhofsvorplatz. „So kann es nicht weitergehen“, fügt er hinzu. Worte des Bedauerns kommen nicht über seine Lippen. Er wünscht sich nur das „DDR-Strafrecht“ zurück.

Wer in Mahlow Zivilcourage zeigt, dem wird das Leben schwergemacht. Ein junger Mann, der beobachtet hat, wie der Golf hinter dem Jaguar herfuhr, hat einen der Jugendlichen im Auto erkannt. „Der war schon zu DDR-Zeiten ein rotes Tuch“, erzählt er. „Der ist so was wie ein Anführer der Clique am Bahnhof.“

Eine Woche nach seiner polizeilichen Vernehmung wurde sein Auto gestohlen. Kaum hat er Anzeige erstattet, findet er seine Katze tot im Graben. Seitdem schreckt er bei „jeder ungewohnten Situation“ auf. „Das ist die Hölle“, sagt er. Weil ihm die Polizei keine Anonymität zusichert, werde er einen Teufel tun, Gesichter auf Fotos zu identifizieren. „Was glaubst du, wie schnell die meinen Namen haben“, sagt er. „Die Mehrheit entscheidet.“ Seine Auskunft, daß viele Zeugen ihre Aussagen aus Angst vor Repressalien zurückgenommen hätten – „Die haben alle Schiß“ –, will die Staatsanwaltschaft mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht kommentieren.

Obwohl die Clique im Dorf bekannt ist, ist die Staatsanwaltschaft in Potsdam auch vier Wochen nach der Tat kaum einen Schritt weiter. Die Sprecherin Monika Haag beteuert, daß die Ermittlungen „auf Hochtouren laufen“. Trotzdem bleibt der Eindruck, daß bisher wenig getan wurde. Ermittelt wird wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“, und bisher gab es nur eine Gegenüberstellung. Arthur, Mikel und Noäls Lebensgefährtin glauben, daß die Polizei die Täter finden könnte, wenn sie nur wirklich wollte.

Bereits das Verhalten der Beamten am Unfallort ist nicht gerade ein Beispiel aus dem Polizeilehrbuch. „Die Polizei war nur mit der Straßenabsperrung beschäftigt“, sagt Arthur. „Ich will nicht sagen, sie hätten ihren Job nicht gemacht“, meint er zurückhaltend. Er kenne das hiesige System nicht. Doch daß die Polizei ihn aufforderte, den Stein aus dem Jaguar zu holen, daß niemand Anstalten machte, die beiden unter Schock stehenden Männer ins Krankenhaus zu bringen, daß die Polizisten statt dessen nur mit der Kontrolle ihrer Papiere beschäftigt waren, spricht für sich. „Es war wie in einem schlechten Film“, erinnert sich Arthur.

Die Rollen der Statisten sind mit Mahlowern besetzt. Die Anwohner, vor deren Haus der Unfall passiert ist, wenige Kilometer von der „Gefahrenzone“ entfernt, verschanzen sich hinter den Gardinen. Viele wollen nichts gesehen haben. Andere haben Angst. Ein junger Mann, der die Polizei gerufen hatte, läßt sich nach langem Zureden zu einigen Sätzen hinreißen. Die Arme fest aufs Gartentor gelehnt, erzählt er, warum er froh ist, daß ihn die Polizei nicht vernommen hat. „Dann schmeißen die mir die Scheiben ein oder sonstwas, das steht in keinem Verhältnis“, sagt der 29jährige.

Viel mehr als der Unfall selbst beschäftigt ihn die Tatsache, daß er direkt vor seiner Haustür passiert ist. Das ist ihm „unangenehm“. Er sei kein Neonazi, betont er. Doch Gründe, gegen Ausländer zu sein, habe er mehr als genug. Er erzählt von Kubanern, die als Vertragsarbeiter von der DDR-Regierung in Dollar bezahlt worden seien. Dieses Gerücht hat sich bei ihm so tief eingegraben wie die Felge des Jaguars in die Platane vor seinem Haus. Mit Mißfallen betrachtet er den Baum, dessen unteres Viertel zur Hälfte wegrasiert ist. Ein verkohltes Ventil ragt wie ein Ast in die Luft.

Sein Nachbar, der ebenfalls die Polizei gerufen hat, läßt sich zumindest zu einem „Das ist eine große Sauerei“ hinreißen. Doch gesehen haben will auch er nichts. Das habe er der Polizei gesagt. „Und was im Dorf passiert, sehe ich nicht“, brummt er und verschwindet im Haus.

Die Jugendlichen auf dem Bahnhofsvorplatz, von denen sich einer als „der Skin im Dorf“ vorstellt und stolz erzählt, daß er auch von der Polizei vernommen wurde, haben nur sarkastische Bemerkungen für die Briten übrig: „Sollen wir uns den ganzen Tag auf den Boden werfen und heulen?“ fragt einer. „Das waren doch nur Schwarzarbeiter“, fügt ein anderer hinzu und grinst übers ganze Gesicht.

Dieses Grinsen kennt der Chinese Lee seit 1994, als er in Mahlow sein Restaurant eröffnete. Während der 20 Jahre in Deutschland, erzählt er in fast akzentfreiem Deutsch, habe er „oft Sprüche gehört“. Aber in Mahlow habe er zum ersten Mal in seinem Leben Angst. Kurz nach der Eröffnung seines Restaurants wurden zweimal die Scheiben eingeworfen, regelmäßig wird er von den Jugendlichen angepöbelt, beleidigt und angespuckt. Eine Erklärung für deren „Angst vor dem Fremden“ hat er bisher nicht finden können. „Was soll ich denen antworten“, fragt er, „wenn sie mich fragen, warum ich mein Lokal ohne deren Erlaubnis eröffnet habe und warum ich einen schwarzen Tellerwäscher beschäftige?“

Die Polizei habe außer einigen sporadischen Besuchen bei der Clique nichts unternommen. Er fühlt sich mit seiner Angst allein gelassen. Eine Woche nach dem tragischen Autounfall der Briten, die oft bei ihm gegessen haben, wurde sein Tellerwäscher auf dem Weg zur S-Bahn mit Flaschen beworfen. Seitdem fährt er ihn jeden abend mit dem Auto nach Hause. Bis der Winter kommt.

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