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Ein Mann der Exaktheit

■ Filmregisseur Mike Leigh ist heute im Abaton zu Gast

Eigentlich ist der britische Regisseur Mike Leigh hierzulande erst vor zwei Jahren mit Naked bekannt geworden, einer Reise in die Dunkelheit, einem zynischen Spaziergang durch zerrüttete Sozialbeziehungen und durch ein unbewohnbares nächtliches London. Der Film trug Leigh den Ruf ein, ein Apokalyptiker zu sein.

Seine neueste Produktion, Lügen und Geheimnisse, ist gegenüber dem Vorgänger jedoch um einiges heiler, und gegen Ende gestattet sich Leigh hier sogar ein wenig Sozialkitsch. Der Film, ebenso wie Naked mit der Goldenen Palme der Filmfestspiele in Cannes ausgezeichnet, wird erst am 12. September in Deutschland anlaufen. Heute abend zeigt das Abaton ihn aber schon einmal vorab in einer Preview. Mike Leigh wird bei der Veranstaltung anwesend sein.

Natürlich wird er spätestens seit Naked als wichtiger politischer Filmemacher gesehen. Vergleiche mit seinem Landsmann Ken Loach (Land and Freedom) sind keine Seltenheit. Und vor zwei Jahren gehörte es zum filmkritischen Kleingeld, Naked auf die Ära der Eisernen Lady Margaret Thatcher zu beziehen; der Film wurde hauptsächlich als wütender Kommentar zu den Verwüstungen wahrgenommen, die der ungebremste britische Kapitalismus in den 80er Jahren angerichtet hatte.

An solcher Sicht ist manches dran. Nur sind plane oder gar didaktische politische Statements durchaus nicht Mike Leighs Sache. Wenn seine Filme politisch sind, dann auf eine indirekte, komplexe, fast ließe sich sagen: anarchische Weise.

Seine beiden bitteren Komödien Live is Sweet und High Hopes waren Zustandsbeschreibungen aus der britischen Klassengesellschaft, aber was sie darüber hinaus auszeichnete, das war ihre Genauigkeit und – wenn es das denn gibt – die in ihnen wirkende Kunst der Bosheit. In Mike Leighs neuem Film Lügen und Geheimnisse sucht eine Londoner Schwarze aus der Mittelklasse nach dem Tod der Adoptiveltern ihre leibliche Mutter. Sie findet sie – und: die Mutter ist weiß und Proletarierin. Es kommt zu allerlei Verwicklungen, am Schluß aber steht ein Hoffnungsbild – das Zusammenleben ist doch über alle Schranken hinweg möglich. Sogar mit ihrem Bruder rauft sich die Mutter wieder zusammen.

Kitschig? Nun, ein bißchen. Aber man kommt als Zuschauer gut damit klar. Viel wichtiger an dem Film sind die durch die Bank überragenden Schauspielerleistungen und die Exaktheit der Regie. Wie die Mutter in der Originalfassung etwa „Darling“ und „Sweetheart“ sagt, schon dies wird man so bald nicht vergessen.

Dirk Knipphals

Preview in Anwesenheit von Mike Leigh, 20 Uhr, Abaton

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