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Mit dem gesunden Rohling ins Bett

Ob Matratze oder Bettwäsche: Ganz ohne Schadstoffe geht's nicht. Wer bewußt Betten kauft, achtet weniger aufs Geld, dafür aber auf Gesundheitsrisiken bei der Herstellung  ■ Von Matthias Fink

„In einer Zeitschrift las ich einen Artikel über Kopfkissen. Darin stand, daß ein zehn Jahre altes Kopfkissen zu zehn Prozent seines Gewichtes aus lebenden Milben, toten Milben und Milbenkot bestehe. Mich durchfuhr ein Grausen: Die Kissen, an die ich allnächtlich mein Haupt schmiege, (...)“ Max Goldt, 1993

Ähnliche Schrecken könnten sich unter vielen Bezügen verbergen. Das Auswechseln von Stücken im privatesten Bereich richtet sich nur begrenzt nach gesundheitlichen Erwägungen. Am ehesten geben noch Schmerzen den Anstoß, die offenbar auf die Matratze zurückgehen. Wie hart oder weich eine gute Matratze sein sollte, ist in der Fachwelt umstritten und auch individuell unterschiedlich. Doch auch Schadstoffe in Matratze oder Bettwäsche können eine Ursache von Allergien oder anderen Krankheiten sein.

Traditionelle Matratzenmodelle bestehen aus Materialien wie Roßhaar oder Stroh, die heute – zu teuer, zu hart – nur noch einen geringen Marktanteil erreichen. Technisch ausgereifter ist die Federkernmatratze mit ihrem charakteristischen Metallgestell. Ihre Abwandlung, die Taschenfederkernmatratze, ist komplizierter gebaut. Bei ihr sind die Federn einzeln aufgehängt und verkleidet, daher reagieren sie auf die Last des Körpers „besonders punktelastisch“ (Test-Heft 1/95). Ohne Metall kommen die neueren Kreationen aus Schaumstoff oder Latex aus. Schaumstoff, typischer Liebling der 70er Jahre, ist besonders billig. Der Grundstoff Polyurethan ist allerdings wegen seiner Herstellung umstritten, bei der die hochgiftigen, allergieauslösenden Isocynaten eingesetzt werden. Für die VerbraucherInnen (jawohl, auch eine Matratze hält nicht ewig!) sind sie wohl unbedenklich, bei der Herstellung können sie allerdings den ArbeiterInnen gefährlich werden.

Latex ist in den letzten Jahren in Mode gekommen. Sein Marktanteil dürfte heute zehn Prozent überschritten haben. Das Material paßt sich besonders gut den Belastungen an. Unter den schweren Partien gibt es stärker nach, so daß in der Seitenlage die Wirbelsäule schön gerade anzusehen ist – und lange so bleibt.

Wer es besonders natürlich mag, wird die Latexmatratze pflanzlicher Herkunft vorziehen. Was aus dem aufgeschlitzten tropischen Stamm des Kautschukbaumes in einen Becher floß, ist nun der Grundstoff des Materials, auf dem man sich räkeln kann. Die Energiebilanz ist erheblich günstiger als bei der künstlichen Variante auf Erdölbasis. Auch ist der Rohling aus Naturlatex tragfähiger. Der Benutzer liegt spürbar bequemer, der Preis spürbar höher. Bei manchen Anbietern enthält die Preisliste nur vierstellige Zahlen. Als Kompromiß bietet sich der Kauf einer Mischform an, die bisweilen als „Latex auf Naturbasis“ vermarktet wird.

Ganz schadstofffrei sind weder natürliche noch synthetische Latexmatratzenkerne. Das Ökotest- Magazin berichtete im Augustheft 1995: „Die 15 getesteten Produkte aus Natur- und Syntheselatex enthielten allesamt Rückstände von hochgiftigen Nitrosaminen.“ Die krebserregenden Stoffe sind durch die Warnungen vor kupferhaltigen Wasserleitungen, gebratenen Bockwürsten und aufgewärmtem Spinat schon alte Bekannte für Gesundheitsbewußte. Sie entstehen auch bei der Vulkanisierung von Latex – gleich welchen Ursprungs. Durch die Haut oder die Atemwege können sie in den Körper gelangen. Ob die in den Matratzen vorhandene Menge die BenutzerInnen gefährdet, ist nach Ökotest- Erhebungen umstritten. Auch hier sind indessen Gesundheitsrisiken in der Fabrik ein bekanntes Thema. Außer Nitrosaminen fanden die Ökotest-Labors noch andere Schadstoffe in den Latexmatratzen, namentlich Lösungsmittel wie Toluol. Neben den Chemiecocktails sollten die profaneren Dünste nicht vergessen werden. In den Luftkammern der Latexmatratzen sammelt sich Feuchtigkeit, so daß sie ohne ausreichendes Wenden und Lüften schimmeln können.

Auch bei den Bezugsstoffen der Matratze kann man sich gesundheits- und umweltbewußt zeigen. In Baumwolle können Pestizidrückstände lauern, Kunstfasern wie Polyester oder Polyamid nehmen die Feuchtigkeit schlechter auf. Dies betrifft nicht nur die Liegenden, die nicht gern schweißgebadet erwachen. Schon beim Färben der Stoffe wirkt sich der Unterschied aus. Bei den schlechter saugenden Kunstfasern müssen größere Mengen Farbe eingesetzt werden. Schwermetalle, Formaldehyd und Amine können in den reizvollen Farben enthalten sein.

Ob Baumwolle oder Synthetik, Kissenbezug oder Pyjama – die Gesundheitsrisiken der Farbstoffe bleiben leicht an den KundInnen hängen. Nacht für Nacht schwitzt der Mensch bis zu einem halben Liter Flüssigkeit aus. Bei der üblichen Körpertemperatur von rund 37 Grad herrschen also Bedingungen, die eher ans Waschen eines Stoffes erinnern als an ein bloßes Berühren. „Neue Bettwäsche sollte vor dem Aufziehen mehrmals gewaschen werden“, rät Ökotest (Heft 12/94).

Bereits beim Kauf lassen sich einige Schadstoffquellen und Umweltbelastungen vermeiden. Nicht nur leuchtend weiße Laken oder Bezüge sind während der Herstellung gebleicht worden. Die Prozedur dient auch zur Vorbereitung beim Färben. Wo mit Chlor gebleicht wurde, sieht die Umweltbilanz besonders schlecht aus. Was als pflegeleicht angepriesen wird, läuft zwar nicht ein, wird allerdings oftmals mit formaldehydhaltigen Stabilisatoren behandelt.

Beim Direktverkauf des Berliner Herstellers Coresta hat man die Erfahrung gemacht, daß die Berliner Kundschaft sich durchaus an ökologischen Kriterien orientiert. Doch „nur ganz wenige Kunden versuchen, knallige Farben zu vermeiden“, berichtet Ute Möbius. Auch bei der Baumwolle geben sich die typischen KundInnen mit Ware zufrieden, die den Standards des Siegels „Ökotex 100“ entspricht. Völlig biologisch angebaute Baumwolle kommt bei einem Bezug von 90 mal 200 Zentimeter immerhin rund 50 Mark teurer.

Die ärgsten Gifte sind inzwischen illegal. So tritt Anfang Oktober ein Verkaufsverbot für Textilien in Kraft, deren Farbstoffe die krebsverdächtigen Amine enthalten. Die Rechtsgrundlage bildet das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz. Es gilt unter anderem für Bekleidung, Spielwaren und Bettwäsche. Hingegen sind Sofas keine „Bedarfsgegenstände“, dürfen also nach wie vor Krebsverursacher enthalten. Wer „nur ein Viertelstündchen“ auf dem Sofa schlummert, kriegt seine Dosis weiterhin. Wer sich ökologisch korrekt bettet, kann hingegen sein Gesundheitsrisiko in verschiedenen Punkten mindern. Und wer doch einmal in einem fremden Bett aufwacht, hat wiederum gleich eine Projektionsfläche für das Gefühl von Schuld und Unreinlichkeit.

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