: Toter bei Hungerstreik in türkischen Knästen
■ Auch nach 64 Tagen ist der Konflikt zwischen hungerstreikenden politischen Gefangenen und Justizministerium ungelöst. Proteste werden niedergeknüppelt
Istanbul (taz) – Der Hungerstreik der politischen Gefangenen in der Türkei hat ein erstes Todesopfer gefordert. Gestern früh starb im Istanbuler Ümraniye-Gefängnis der Gefangene Aygün Ugur. Das meldete das „Informationszentrum für freie Völker“ in Köln unter Berufung auf Informationen aus der Türkei. Seit 64 Tagen befinden sich politische Gefangene in verschiedenen Gefängnissen der Türkei im Hungerstreik, ohne daß eine Lösung des Konfliktes mit Justizministerium und Gefängnisverwaltung in Sicht wäre.
Die Rechtsanwälte Mihriban Kirdoek und Gülizar Tuncer, die am Samstag hungerstreikende Mandanten im Gefängnis Gebze nahe Istanbul besuchen konnten, berichteten, daß bereits mehrere Gefangene an der „Todesgrenze“ angelegt seien.
Viele Gefangene urinieren blutig und weisen Wahrnehmungsstörungen auf. Mehrere Gefangene sind nicht mehr in der Lage, Flüssigkeit aufzunehmen. Zuckerwasser ist die einzige Nahrung, die die Gefangenen zu sich nehmen. Grund des Hungerstreiks ist eine Verfügung des Justizministeriums, die die Haftbedingungen verschlechtert. Der ehemalige Justizminister und jetzige Innenminister Mehmet Agar, vor seinem Eintritt in die Politik in der Partei des rechten Weges Tansu Çillers berüchtigter Polizeipräsident, zeichnete verantwortlich für die Verfügungen. Als unter der neuen Regierung Necmettin Erbakans der islamistische Politiker Sevket Kazan Justizminister wurde, schien sich eine Lösung des Konfliktes abzuzeichnen. Kazan annullierte die Verfügungen und empfing sogar Vertreter der Familienangehörigen der politischen Gefangenen. Doch die Hoffnung trog. Die neuen Erlasse aus dem Justizministerium sind insgesamt fast identisch mit den alten.
Selbst die friedlichen Protestaktionen der Familienangehörigen, die landesweit stattfinden, toleriert die Regierung nicht. Typisch war am Samstag eine Protestaktion, die Familienangehörige in Ankara – zumeist Frauen – vom Stadtbüro der linken Partei Freiheit und Solidarität organisiert hatten. Als sich die Menge symbolisch für einen Sitzstreik auf der Straße niederlassen wollte, kam es zu einem brutalen Einsatz der Polizei, der mit Massenfestnahmen endete.
Die Redakteurin der linken Zeitschrift Özgür Gelecek (Freie Zukunft), Nuran Kalkan, wurde so schwer verletzt, daß sie sich im Koma in der Universitätsklinik Ankara in Behandlung befindet. Auch in anderen Städten der Türkei kam es zu Festnahmen von Familienangehörigen. Ömer Erzeren
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