Fausthiebe gegen den Rassismus

■ Das multikulturelle Boxzentrum im holländischen Zutphen. Reportage von Jan Banning (Fotos) und Ruud Koolen (Texte)

Die niederländische Politik stellt Forderungen an ImmigrantInnen. Die Stationen auf dem vorgeschriebenen Einbürgerungsweg lauten: Lerne Niederländisch und besuche gesellschaftliche Orientierungskurse! Qualifiziere dich für einen Beruf und sorge dafür, daß du Arbeit findest! In den Medien wird viel über die Integrationsprozesse in Großstadtbezirken berichtet. Aber wie entwickelt sich die multikulturelle Gesellschaft in kleinen Gemeinden?

Das Box- und Konditionstraining im Provinzstädchen Zutphen übt eine Anziehungskraft auf Personen ganz unterschiedlicher Herkunft aus: Teens und Twens mit holländischen, surinamischen, türkischen, antillischen oder marokkanischen Eltern. Aber auch ein Berufssoldat mit libanesischen Wurzeln, ein Adoptivkind aus Kolumbien, ein Mann mit Lernschwierigkeiten aus einer therapeutischen Wohngemeinschaft und einige junge holländische Frauen sind dabei.

Die TeilnehmerInnen mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen begegnen sich mehrmals pro Woche in der Gymnastikhalle. Sie teilen ihre Freizeit miteinander, immer öfter auch außerhalb des Sportclubs. Der Fotograf Jan Banning und der Journalist Ruud Koolen folgten ihnen von der Gymnastikhalle nach Hause, in die Schule, zur Arbeit, in die Begegnungszentren und die Moschee.

In ihrer Fotoreportage porträtieren sie vier Mitglieder des Boxclubs. Moslem, Christ oder Heide, weiß, dunkel oder schwarz, arabischer, türkischer oder surinamischer Herkunft: Wenn Schläge ausgeteilt werden, spielt das alles keine Rolle mehr. Dies könnte man Integration nennen.

(Übersetzungen: Monika Götze)

Hüsamettin Yazici, früherer Boxchampion in Istanbul, ist ein Mordskerl. „Als ich 1965 aus dem Militärdienst kam, sagte jemand: ,Hüsamettin abi (älterer Bruder), eine Menge Leute gehen nach Europa. Willst du nicht auch?‘ Ich sagte: ,Wenn so viele Leute das wollen, schaffe ich es wahrscheinlich nicht. Man braucht einflußreiche Menschen, und die kenne ich nicht.‘“ Ich habe fast sieben Jahre gewartet. Über die „Musterung“ erzählt Yazici lachend: „Ich kam zu einem Niederländer und einem türkischen Dolmetscher. Dieser stellte eine Streichholzschachtel hochkant auf. Das tat ich auch. Dann drehte er sie um. Ich tat es ebenfalls. Das war der Test. Ich durfte nach Holland.“

Der Boxer wurde „Hühneraufhänger“ in einer Geflügelschlachterei und arbeitete später in einer Kabelfabrik. Yazicis Hände sind seit zwei Jahren ohne Arbeit, abgesehen von einem Job als Rausschmeißer in einer Diskothek. Übrigens benutzt er lieber seine Überzeugungskraft als seine Fäuste. Auch im Boxclub als Trainer.

Yazici ist ein sympathischer Kerl voller Widersprüche. Er ist Mitglied der sozialdemokratischen Partei der Arbeit (PVDA) und hegt ebenfalls türkisch-nationalistische Sympathien. Jungen wie Mädchen stecken eine gehörige Tracht Prügel vom bekennenden Moslem ein. Nach dem Gebet in der Moschee trinkt Yazici Tee mit gleichaltrigen Landesgenossen im türkischen Begegnungszentrum.

Seit zwei Jahren in den Niederlanden, seit sechs Monaten beim Training dabei. Und zack: Durch den Sieg in seinem vierten offiziellen Boxwettkampf holte der 18jährige Hüseyin Yildirim den niederländischen Titel. Wie er zu diesem Boxclub gekommen sei? „Gut“, antwortet er.

Vier Tage in der Woche besucht Hüseyin die Kurse einer Sprachschule. Eine „bunte“ Gesellschaft. Unterricht im Fach „Lernhilfen“: Welche Probleme haben Fußgänger in der Stadt, fragt der Dozent. Hüseyin versteht ihn nicht: „In der Stadt gibt es wenig Parkraum.“ Er sitzt neben Safya, einem Flüchtling aus Somalia. Das ist für ihn „normal“, genauso wie zweimal die Woche mit Surinamern, Marokkanern und Antillanern zu trainieren.

Zusammen mit drei Brüdern, drei Schwestern, zwei Schwiegertöchtern und vier Neffen und Nichten wohnt Hüseyin in zwei Reihenhäusern. Die Einrichtung ist schlicht, aber blumig: Große rosa Blüten auf der Tapete, ein rotgeblümter Teppich auf dem Linoleumparkett. An der Wand Fotos von der Sultan-Ahmet-Moschee in Istanbul und von der Kaaba in Mekka. Da gegenüber, erklärt Hüseyin, mache er abends Schularbeiten: „Hier essen und da schlafen.

Bruder Abdulkader und der älteste Bruder Selim haben einen niederländischen Paß. „Aber die Türkei ist unser Vaterland“, erklärt Selim. „Werden die Niederländer Deutschland nacheifern, mit all den Brandanschlägen und den Neonazis? Aber wenn es ruhig bleibt, wollen wir in Holland ein eigenes Geschäft aufbauen und hier alt werden.“

Mit Jungs zu trainieren find' ich kein Problem“, sagt die 22jährige Kirsten Geels. Ihr blonder Pferdeschwanz fällt unter den schwarzen Köpfen auf. „Man lernt mehr. Männer schlagen fester und zielen genauer. Ich hol' hier und da noch zu weit aus.“ Im „Koffieshop“ hat sie Roos kennengelernt, zwischen einem Flipper- und Billardspiel und einem guten Zug an der „Tüte“. Kirsten hilft ihrer legasthenischen Freundin bei den Schulaufsätzen: „Sie erzählt mir, was drin stehen soll. Ich tippe sie dann auf ihrem Computer. So nützt mir mein Schreibmaschinendiplom von der Einzelhandelsschule doch noch.“ Jeden Tag ist Kirsten beschäftigt. Schattenboxen, Seilspringen, Liegestütze, Bauchmuskelübungen. Und kilometerlange Wettrennen mit ihrem sibirischen Husky. Am liebsten würde sie bei Wettkämpfen boxen, gegen Mädchen ihres Alters und ihrer Gewichtsklasse. „Im Ring zu stehen ist das Schönste. Verteidigen, ausweichen und der entscheidende Schlag für den K.o.“ Aber Kirstens einzige Gegnerin hat sich nach fünf Schaukämpfen ans sichere Ufer des Pferdesports gerettet.

Man kann hier prima trainieren“, sagt der 20jährige Gwenny Schraa, ein Junge mit antillischen Eltern. „Viel besser als die Sportschule, wo Michael und ich vorher waren.“ Schwarze Kappen zieren seine dunklen Locken und den blonden Schopf von Michael Hulleman. Im Sandkasten spielten sie schon „Sjors en Sijmmie“, eine weiße und eine schwarze Comic-Figur. Noch immer sind die beiden unzertrennlich. Gwennys ganzer Stolz ist sein antillisches Auto, Baujahr 83, das er mit Michael aufgemöbelt hat. Fünf Tage in der Woche fahren die beiden in den Textilbetrieb, wo sie als Siebdrucker arbeiten. Sie montieren Schablonen, gefüllt mit Farbe, auf eine Arbeitsplatte. Wenn sie sich zu zweit dagegenlehnen, drückt eine Vorrichtung die Farbe auf eine Papierrolle. Der Vierfarbdruck ist Maßarbeit. Gwenny und Michael arbeiten sorgfältig. Trotzdem hat man sie auseinander gesetzt, weil sie sich die ganze Woche lang über ihre gemeinsamen Wochendeskapaden lauthals amüsierten.