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Ein Tütchen mit streng limitiertem Samen

Aus Kunst wird Kraut: Bis zum Herbst 1997 hat das Künstlerehepaar Harrison auf dem Dach der Bonner Bundeskunsthalle einen „Future Garden“ mit allerlei bedrohten Gräsersorten aus der Eifel und dem Rheinland installiert  ■ Von Jochen Pfender

Der Wind streicht sanft über die hohen Gräser, der Duft bunter Feldblumen verbreitet sich mit zarter Strenge. Eine Idylle, wenn auch nur eine der Kunst: Auf dem Dach der Bundeskunsthalle Bonn ertreckt sich zur Zeit eine 3.600 Quadratmeter große Wiese.

„Future Garden. Teil 1. Die gefährdeten Wiesen Europas“ heißt die Installation des amerikanischen Künstlerehepaares Helen Mayer Harrison und Newton Harrison, die auf den ersten Blick seltsam unspektakulär anmutet. Die Wiese setzt sich aus fünf Wiesenarten zusammen und wird durch Texte der Künstler sowie auf Kacheln aufgezogenen Wiesenfotos ergänzt.

In der europäischen Kulturlandschaft gibt es bereits zahlreiche Versuche, Natur zu Kunst zu machen. Der Engländer Andy Goldsworthly etwa fertigt eine Environments unter dem Label „Land Art“ aus Fundstücken der Natur – Steine, Äste, Erde. Keine Kunst fürs Museum, er beläßt die Werke in der Landschaft. Goldsworthy nimmt ihre Vergänglichkeit in Kauf und will auf diesem Wege meditativ in das Verständnis der Natur eindringen. Ganz anders der große Kunstbefreier Joseph Beuys, der 1982 zur documenta 7 in Kassel begann, 7.000 Eichen zu pflanzen, um mit dieser Kunstaktion auf die Zerstörung der Natur aufmerksam zu machen.

Die Wiese der Harrisons auf dem Museumsdach besitzt eine andere Qualität. Ebenfalls als ökologische Ermahnung gedacht, ist die Installation keine Neuanpflanzung, sondern ein „Original“. Allein vier der Wiesenarten mit unterschiedlichem Pflanzenbestand und unterschiedlicher Bodenbeschaffenheit wurden in der Eifel und in der Nähe von Köln abgetragen, wo sie menschlicher Bauwut weichen müssen. In eingerollten Stücken wurden sie auf das Dach der Kunsthalle gehievt und dort, betreut von Wissenschaftlern des Bonner Botanischen Gartens, in neuem Zusammenhang wieder angelegt. Zusätzlich wurde eine fünfte Wiesenart neu angepflanzt und integriert. So sind auf dem gesamten Areal 185, zum Teil bedrohte, Pflanzenarten vertreten, von der Sumpfdotterblume über die Bastardluzerne zum Gemeinen Ferkelkraut.

Alles aus Liebe zum Gemeinen Ferkelkraut

Seit dem Ende der 60er Jahre haben die Harrisons die Ökologie zum Thema ihrer künstlerischen Arbeit gemacht. Besonders in den USA wurden sie bekannt mit der landschaftlichen Umgestaltung von Gebieten, die vom Menschen in einem ökologisch total heruntergewirtschafteten Zustand hinterlassen worden waren. 1978 betrieben sie die biologisch-topologische Erneuerung eines Wiesengebietes im Art Park New York, 1987 mit „A Wetland Walk for Boulder Creek“ ein Projekt zur Abwasserregulierung in Colorado. Zuletzt entwarfen sie 1995 in Deutschland zusammen mit Vera Westergaard und Gabriel Harrison mit der „Witznitz-Suite“ ein Projekt zur Umgestaltung eines vom Braunkohletagebau verwüsteten Gebietes südlich von Leipzig.

Dies sind wie gesagt keine bloßen Landschaftsgestaltungen, sondern Kunstwerke. So nennen die Harrisons die Bonner Museumswiese denn auch „Wiesenskulptur“. Kein Denkmal für die generell strapazierte Natur soll sie sein, sondern auf ein spezielles gefährdetes Ökosystem aufmerksam machen. Seit Jahrhunderten funktionierte der Lebensraum „Wiese“ mit seiner ungeheuren Pflanzenvielfalt, das regelmäßige Mähen durch den Bauern bewirkte eine ständige gesunde Erneuerung. Seit einigen Jahrzehnten jedoch führen Entwässerung, Düngung und monokulturelle Nutzung zur Verarmung der Wiesen, zahlreiche Pflanzenarten sind heute vom Aussterben bedroht.

Helen Mayer Harrison und Newton Harrison hoffen, daß die Herauslösung dieses Stücks Natur aus seinem ursprünglichen Kontext entsprechende Assoziationen bei den Museumsbesuchern auslöst. Sie sollen sich der Notwenigkeit bewußt werden, die Wiesen Europas zu schützen und zu renaturieren. Die Gefahr ist jedoch, daß der Anblick dieses ja nicht nur mahnenden, sondern auch sinnlich erlebbaren Kunstwerks bestenfalls eine sentimentale Erinnerung an Naturerlebnisse bei den Besuchern auslösen wird und die Harrisonsche Wiese zur bloßen Stadtranderholung verkommen läßt.

Land-art als bloße Stadtranderholung?

Die Möglichkeit, die Wiese auf einem Rasenstreifen zu umrunden, könnte das Museumsdach zum Stadtpark degradieren. Die Versuchung ist groß – das merkt man schon beim ersten Spaziergang. Es bleibt bei der Möglichkeit, daß der „Future Garden“ denen, die nur die Schönheit der Natur suchen, auch noch Umweltbewußtsein vermitteln kann. Aber Vorsicht, es ist eben doch ein Kuntswerk: Betreten der Wiese verboten.

„Future Garden“. Bis Oktober 1997. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Der Katalog kostet 12 Mark, das limitierte Super-Öko-Paket (Katalog, signierte Kachel, Samentütchen, Pflanzanleitung) 50 DM.

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