: „Franzose müßte man sein“
■ Boris Vian ist ein Vorbild unseres Sommerroman-Autors Lou A. Probsthayn, der bei seinen Lesungen gerne Dampfbügeleisen verlost
D
ichter wohnen doch immer im Keller“, empfängt der Autor unseres diesjährigen Sommer-Romans, Lou A. Probsthayn, den Besucher. Seine Hamburger Wohnung: Zwei Zimmer, Küche, Bad, fünfzig Quadratmeter, fast leer. Natürlich. Im einen Raum ein Bett und etwas Kunst – nicht gehängt, sondern auf dem Boden stehend an die Wand gelehnt, im anderen ein Mini-Stereo-Tower, ein schwarzes Sofa und ein Computer-Schreibtisch mit einem schwarzen Metall-Klappstuhl, über dessen Lehne die schwarze Lederjacke hängt. Schließlich ist ein richtiger Dichter naturgemäß ganz in der Farbe der Existentialisten gekleidet. Und lebt allein. Probsthayn aber ist nicht etwa ein weltabgewandter Grübler, im Gegenteil. Der ausgesprochen frankophile Schriftsteller versteht es nicht nur, bis in sprachliche Extreme hinein hart am Puls der Zeit entlangzuschreiben, sondern vermag sich auch ebenso überzeugend zu vermarkten. Eine Grundvoraussetzung für einen wie ihn, der heutzutage noch das Kunststück fertigbringt, von seinem Geschriebenen zu leben.
Daß dies funktioniert, verdankt er nicht zuletzt dem Südwestfunk, der Probsthayns gemeinsam mit Gunter Gerlach und Olaf Oldigs verfaßte Satiren als tägliche Sendereihe bringt. Deren erste Staffel erschien zudem 1994 bei Piper unter dem Titel „Weißer wurde über Nacht schwarz“, die zweite, „Lachgas im Airbag“, folgte unlängst im selben Verlag. Zwei Bücher, in denen die Autoren die journalistische Sensationsgier der Regenbogenpresse mit subtil überdrehten Nonsens-Meldungen aufs Korn nehmen. Da wird über Themen wie „Wanderaale in der Zentralheizung“, „Schaf brachte gesundes Mädchen zur Welt“ oder „Bauarbeiter mauerte sich versehentlich ein: tot!“ berichtet. Ganz im Zeitungsstil, mit fettgedruckter Zusammenfassung als Intro, mit Fotos als Belegen für den Wahrheitsgehalt der Meldung und hin und wieder mit Gast-Kommentaren irgendwelcher fiktiven Wissenschaftler.
Doch was den Romancier angeht, so ist Probsthayn immer noch auf kleine Verlage angewiesen, da Piper ihn nicht als Allein-Autor, sondern nur als Co-Autor im Bereich Satire publiziert. Sein erster Krimi „Bei Anruf Wort“ erschien 1993 im Hamburger Verlag Kellner, wo er schnell auf der Backlist landete, während der zweite, hier als Folge abgedruckte (“Dumm gelaufen“) bei der kleinen bremisch-hamburgischen Achilla-Presse unterkam.
„Ja“, seufzt Probsthayn „Franzose müßte man eben sein“. Will sagen: Im Nachbarland beweist man mehr Mut zu solcher Literatur, die eine wilde Montage aus Werbe- und Mediensprache darstellt und mit unzähligen Neologismen ge-spickt ist. Und tatsächlich, beinahe hätte es mit Frankreich auch geklappt. Denn für „Bei Anruf Wort“ interessierte sich vor einigen Jahren auf der Buchmesse der renommierte Gallimard-Verlag. Was sich dann leider zerschlug.
Vorerst ist es also nichts mit dem Traum von einer Veröffentlichung im Lande von Probsthayns erklärten Vorbildern Raymond Queneau, Boris Vian und Jean Vautrin. Doch dafür ist der Dichter in seiner Heimatstadt Hamburg inzwischen als umtriebiger Literat bekannt. Dies liegt vor allem an der Autorengruppe „Peng“, deren Name für die vier Autoren Probsthayn, Eilers, Novak und Gerlach steht. Vor zehn Jahren gegründet, hat die Gruppe es sich zur Aufgabe gemacht, „Literatur zum Ereignis und zum Medienspektakel zu machen“, wie Probsthayn erklärt.
Zu den aufsehenerregenden Aktionen von „Peng“ gehören solche wie die 1988 auf der Reeperbahn in einer Peep-Show abgehaltene, bei der sich anstelle nackter Mädchen lesende Dichter auf der Drehscheibe räkelten, die 1995 präsentierten Rap-Gedichte „Gebete für Claudia Schiffer“ oder das Rezitieren von Literatur aus den Bäumen am Alsterufer, auf denen sich die Autoren eingenistet hatten. Seit 1992 lädt „Peng“ zudem unterschiedliche AutorInnen nach Hamburg ein, um gemeinsam mit ihnen Jahr für Jahr zur Tag- und Nachtgleiche im September, verteilt über den ganzen Park „Planten un Blomen“ und mit Taschenlampen bewaffnet, Lyrik und Prosa unters Volk zu bringen.
Doch neben solch „trashigen“ Veranstaltungen geht es der Gruppe auch um ernsteres. So etwa, wenn sie in der beklemmenden Atmosphäre eines Tunnel-Bunkers aus der Nazizeit lesen, wie unlängst geschehen, oder wenn sie in einem Museum zu ausgesuchten Bildern eigens dafür verfaßte Texte vorstellen.
Das Jonglieren mit unterschiedlichen Präsentationsformen und Genres darf man jedoch, wie Probsthayn betont, nicht als postmodernen Abgesang auf die Inhalte des Geschriebenen mißverstehen, sondern allenfalls als Konzession an das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums. So sind Probsthayns Bücher „Bei Anruf Wort“ und „Dumm gelaufen“ auch nur deswegen Krimis, weil sich in dieser Form politische Aussagen über Neo-Nazis und Wohnungsnot, Reizüberflutung und psychische Erkrankung eben besser an die Leser bringen lassen. Und um diese Statements geht es dem Autor weit mehr als um den vorgeschobenen Kriminalfall. Was er rüberbringen will, sind Geschichten von Menschen, die angesichts einer chaotischen Welt in irgendwelchen „ökologischen Nischen“ ihre Existenz fristen, immer in der Gefahr, in den Wahnsinn abzugleiten. Letzterer ist eines der großen Themen des Autors, der selber, wie er sagt „über therapeutische Erfahrung verfügt“ und zu seinem Verwandten- und Bekanntenkreis mehrere psychisch belastete Personen zählt, die ihm zum Teil als Vorlagen für seine Romanfiguren dienen.
In seinem als Trilogie ausgelegten Krimi-Zyklus (dessen dritter Band, „Die Welt ist Hund“, im nächsten Jahr folgen soll) bewegt sich Probsthayn allerdings zunehmend weg von der anfangs noch sehr autobiographisch geprägten Perspektive. Denn die Betroffenheit beim Schreiben aus dem lebensgeschichtlichen Realismus wird auf die Dauer einfach zu schmerzhaft. So ist denn auch der Aktionismus des Literaten als notwendiger Ausgleich gegen die Qualen des Schreibens zu verstehen, und die Leichtigkeit, mit der er auf seinen Lesungen ein Suppenhuhn verlost oder den jeweils ersten Buchkäufer mit einem Dampfbügeleisen prämiert, als Kontrast zu sehen, vor dessen Hintergrund die depressiven und schizophrenen Gefährdungen seiner absurden Romanhelden nur um so deutlicher hervortreten. Moritz Wecker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen