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Nationale Ichschwächen?

■ Zu Konzept und Organisation des Berliner (Welt-)Musikpreises Musica Vitale

Schön war's im Monat Mai. Noch bestand Hoffnung auf einen heißen Sommer voller Mücken am Kreuzberg, auf dem Kottbusser Damm tanzte „lustiger noch als die Love Parade“ (wie der Jungle-DJ Bass-Dee sagte) der erste echte Berliner Karnevalszug, der „Karneval der Kulturen“. Schon aber wehen die ersten Herbststürme über das Land, der Sommer ist hin, da wird nichts mehr draus. Zeit, an die Ernte zu denken.

Da wird es ernst für die TänzerInnen und MusikerInnen aus Ghana, der Mongolei, aus Vietnam und Korea, aus Argentinien und der Türkei. Vom gemeinsamen Tanz auf der Straße heißt es Abschied nehmen, jetzt muß man sich für den Wettkampf wappnen. Denn Ruhm, Ehre und 4.000 Mark winken dem, der die Musica Vitale 96 gewinnt, den „Wettbewerb der traditionellen und urbanen Musik“ in Berlin. Und wer von den Berliner und Brandenburger MusikerInnen im Oktober dabeisein will, muß sich bis zum kommenden Montag in der Werkstatt der Kulturen angemeldet haben.

Als vor einem Jahr mit dem Geld der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John der Musikpreis Musica Vitale ins Leben gerufen wurde, war erstens unklar, ob es nicht bei einem einmaligen Sommerfestival bleiben, zweitens, wer überhaupt daran teilnehmen würde. Denn die Ausschreibung war denkbar unspezifisch gehalten. Man wolle, hieß es, „die prinzipielle Gleichrangigkeit der Kulturen der Welt“ ausgedrückt sehen, andererseits aber auch deren urbane Vermischung vorführen.

Es kamen schließlich 50 Berliner Gruppen aus 30 Ländern, und zwar kaum eine in Monokultur. Vor allem LateinamerikanerInnen und AfrikanerInnen standen gemeinsam auf der Bühne – und in den meisten Gruppen spielten deutsche MusikerInnen mit. Und die internationalen MusikethnologInnen in der Jury diskutierten über deutsche Weltläufigkeit und nationale Ichschwächen.

Andreas Freudenberg hingegen, der Leiter der Werkstatt der Kulturen, sieht eher urbane Einflüsse im allgemeinsten Sinne am Werk: „Berlin hatte schon immer eine rege kulturelle Immigration. Daraus bastelt sich eine Stadt dann ihre Kultur – oder sie läßt es.“ Wichtig ist für ihn vor allem, daß sich im letzten Jahr „viele Musikgruppen über den Musikpreis profilieren konnten“.

Dem widerspricht vehement Oruc Gürbüz von der aserbaidschanisch-deutschen Musikgruppe Fata Morgana. Obwohl diese sich bei Musica Vitale 95 weit nach vorn gespielt hat, ist Oruc enttäuscht. Er hält die ganze Veranstaltung für Augenwischerei: „Uns hat man versprochen, junge Talente durch diesen Musikpreis zu fördern. Statt dessen mußten wir für alle entstehenden Kosten bezahlen und dazu noch eine Teilnahmegebühr von 20 Mark entrichten. Und bekannter geworden sind wir durch die Auftritte auch nicht.“

Nguyen Van Nam aus Vietnam hingegen, der als Solist den Anerkennungspreis der Jury bekam, findet, daß sein Bekanntheitsgrad durch das Festival überraschend gestiegen sei. Äußerst heikel findet er nur den Beurteilungsmodus. Daß die Jury nicht nur unterschiedlichste Traditionen mit gleicher Elle messen solle, sondern außerdem noch so verschiedene Künste wie Tanz und Gesang, das kommt ihm unlauter vor.

Zumindest ansatzweise ist die Werkstatt der Kulturen auf die Kritik eingegangen. Oruc Gürbüz hätte dieses Jahr gute Chancen, die Unkosten wieder zurückzubekommen, denn wer sich unter die vierzig Auserwählten spielt, die beim Festival im Oktober auftreten dürfen, kriegt immerhin eine Anerkennung von 300 Mark. Damit auch AmateurInnen ihre Chance bekommen, gibt es diesmal zusätzlich einen Wettbewerb für die Jugend – Schallgrenze 25 Jahre. Daß Andreas Freudenberg darüber hinaus auch noch „einen Traum“ hat, wer wollte es ihm verdenken: „Ich wünschte mir, daß der Preis für traditionelle und urbane Musik seine Nachahmer findet und man ihn eines Tages für ganz Deutschland vergibt.“ Halil Can/fk

Die Bewerbungsfrist für die Teilnahme an Musica Vitale endet am Montag, dem 29. Juli.

Der Wettbewerb selbst wird im Oktober ausgetragen. Informationen gibt's in der Werkstatt der Kulturen in Neukölln, Wissmannstraße 31-33, 12049 Berlin, Telefon 6222024

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